EuGH-Urteil zur Löschung von Links bei Google-Suchanfragen
Im Streit zwischen Google und der spanischen Datenschutzagentur hat der Europäische Gerichtshof am 13. Mai 2014 überraschend die Löschung von Links unter bestimmten Vorgaben angeordnet. Der Gerichtshof bezieht sich in seinem Urteil auf die Richtlinie95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr. Das Urteil weicht allerdings von den Schlussanträgen des Generalanwalts Jässkinen vom Juni 2013 ab bzw. geht in der Auslegung noch darüber hinaus.
Der Hintergrund des Urteils
Ein spanischer Staatsbürger hatte bei der Datenschutzagentur Beschwerde gegen eine Tageszeitung sowie gegen Google Spain und Google Inc. eingelegt, da bei Eingabe seines Namens in der Suchmaschine Links zu zwei Seiten der Tageszeitung mit einem Bericht über die Zwangsversteigerung des Hauses der Privatperson angezeigt wird. Der Spanier beantragte die Löschung oder Änderung dieser Seiten, um seine personenbezogenen Daten im Rahmen der technischen Möglichkeiten der Suchmaschine unzugänglich zu machen. Die spanische Datenschutzagentur wies die Beschwerde gegen die Tageszeitung zurück, denn diese habe die Informationen rechtmäßig veröffentlicht. Google Spain und Google Inc. hingegen wies sie an, die betroffenen Daten aus dem Index zu entfernen und den Zugang zu ihnen künftig zu verhindern, woraufhin diese beiden Gesellschaften Klagen zur Aufhebung dieser Entscheidung erhoben. Das spanische Gericht legte dem Europäischen Gerichtshof schließlich einige entsprechende Fragen vor, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. Mai beantwortete.
Der Inhalt des Urteils: Ausgleich der Interessen
Der Gerichtshof versteht den Suchmaschinenbetreiber, in diesem Fall Google, als Datenverarbeiter und als für diese Verarbeitung Verantwortlichen. In den Verantwortungsbereich des Betreibers Google fällt nach Auffassung des Gerichts damit auch die Wahrung der Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten im Rahmen seiner Möglichkeiten. Unter bestimmten Voraussetzungen, so das Gericht, sei der Suchmaschinenbetreiber verpflichtet, Links aus der Ergebnisliste einer Suchanfrage zu entfernen, wenn sie zu Seiten von Dritten mit Informationen über den Namen der Person in der Suchanfrage führen. Dies gelte gegebenenfalls auch dann, wenn die Veröffentlichung als solche rechtmäßig war, wie in diesem vorliegenden Fall. Da die mit Namen verknüpften Informationen im Netz einen potenziell sehr schweren Eingriff in die Rechte der betroffenen Personen darstellten, könne diese Tätigkeit „nicht allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers an der Verarbeitung der Daten gerechtfertigt werden“.
Allerdings räumt das Gericht ein, dass es ein berechtigtes öffentliches Interesse an den Informationen aus den Links der Ergebnisliste geben könne. Daher sei „ein angemessener Ausgleich zwischen diesem Interesse und den Grundrechten der betroffenen Person, insbesondere des Rechts auf Achtung des Privatlebens und des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten, zu finden“. Diese Entscheidung sei abhängig von der Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person und dem Interesse der Öffentlichkeit.
Der Inhalt des Urteils: Recht auf Löschung der Daten
Personen können nach Auffassung des Gerichtshofs auf Grundlage der Richtlinie die Löschung von Internetseiten aus der Ergebnisliste vom Suchmaschinenbetreiber verlangen, sofern die Daten den ursprünglichen Verarbeitungszwecken nicht mehr entsprechen, etwa wegen der verstrichenen Zeit oder anderen Umständen des Einzelfalls. Weiterhin entschied der Gerichtshof, dass betroffene Personen ihre Anträge zur Löschung direkt an den Suchmaschinenbetreiber richten können, der „sorgfältig ihre Begründetheit zu prüfen hat“. Sollte der Datenverarbeiter den Anträgen nicht stattgeben, könne sich die Person an die nationale Datenschutzbehörde oder das zuständige Gericht wenden, um Maßnahmen ergreifen zu lassen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist für nationale Gerichte, die ähnliche Fälle behandeln, verbindlich.
Reaktionen von Politik und Behörden
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) begrüßte das Urteil und freute sich insbesondere über die Klarstellung, dass für weltweit agierende Unternehmen auch das Datenschutzrecht des jeweiligen europäischen Landes gültig sei. Der Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erklärte in einem FAZ-Beitrag, das Wirtschaftsministerium und das Bundeskartellamt müssten „prüfen, ob ein Unternehmen wie Google seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, um durch die Beherrschung einer ‚essential facility‘, einer wesentlichen Infrastruktur, Wettbewerber systematisch zu verdrängen.“ Das EuGH-Urteil habe gezeigt, dass man über eine Entflechtung von Google und die gesamte marktwirtschaftliche Ordnung nachdenken müsse.
Auf dem Datenschutzkongress 2014 kommentierte der Berliner Beauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Alexander Dix, dass das Urteil ein guter Schritt für den Datenschutz sei. Er hoffe außerdem, die Entscheidung werde den europäischen Gesetzgebungsprozess der Datenschutzgrundverordnung beschleunigen. Das Recht auf bzw. die Pflicht zur Löschung sollte auch durchgesetzt werden, mahnte er, wies allerdings auch darauf hin, dass eine Löschung im Internet derzeit technisch nicht vollständig möglich sei. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar spricht in seinem Blogbeitrag von einem „Etappensieg für den Datenschutz“ und begrüßt, dass Konzerne durch Aufteilung ihrer Tätigkeiten nun nicht länger dem europäischen Datenschutzrecht entfliehen könnten.
Reaktionen von Rechtsanwälten
Auch viele Rechtsanwälte äußerten ihre Position zur EuGH-Entscheidung. Der Rechtsanwalt Niko Härting, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht sowie der Freien Universität Berlin, kritisierte, dass für Google das Löschen „stets die bequemste Lösung“ sei, um drohende Bußgelder bei einer Verweigerung abzuwenden. Die Öffentlichkeit jedoch habe keine Anwälte und vor dem EuGH kein Klagerecht, um ihr Interesse am Zugang zu den Informationen durchzusetzen. Ähnlich sieht es auch der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Stephan Dirks, der zusätzlich noch seine Befürchtung äußerte, Privatpersonen könnten missliebige Inhalte und kritische Informationen aus dem Google-Index entfernen lassen. Besonders deutlich formulierte Thomas Stadler seine Ablehnung des Urteils. Seiner Meinung nach gebe es eine deutliche Parallele zur Maßnahme der Netzsperren, welche die Meinungs- und Informationsfreiheit beeinträchtige.
Reaktionen aus der Wirtschaft
Ein Google-Sprecher zeigte sich stellvertretend für den Konzern überrascht über das Urteil. Es sei eine enttäuschende Entscheidung für alle, die Inhalte online publizieren. Während der Google-Hauptversammlung drückten Chairman Eric Schmidt und Justiziar David Drummond ihre Kritik aus. Die Balance zwischen Recht auf Vergessen und Recht auf Wissen sei durch das Urteil gestört worden. Der Branchenverband BITKOM äußerte sich sehr kritisch zum EuGH-Urteil. Der Gerichtshof erzeuge nicht nur Rechtsunsicherheit, da unklar bliebe, in welchen Fällen Ergebnisse gelöscht werden müssten. Vielmehr beschränkten die Richter durch ihr Urteil die Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf Informationsfreiheit, wenn Suchmaschinen bestimmte Ergebnisse nicht mehr anzeigen dürften, betonte der Hauptgeschäftsführer Rohleder. Eine Einzelfallprüfung mit der Abwägung verschiedener Interessen sei zudem nicht umsetzbar, betonte er.
Reaktionen aus der Zivilgesellschaft
Leonhard Dobusch, Juniorprofessor an der Freien Universität Berlin und regelmäßiger Blogger auf netzpolitik.org, lobte einige Punkte des Urteils, etwa zur Klarstellung der Tatsache, dass Googles Geschäftstätigkeit der europäischen Gerichtsbarkeit sowie der EU-Datenschutzrichtlinie unterliege. Doch der kritische Punkt sei die Abwägung zwischen Privatsphäre und der Meinungs- und Informationsfreiheit, die der Gerichtshof nicht klarstelle, sondern die Entscheidung privaten Unternehmen, in diesem Fall Google, überlasse, bemängelt Dobusch. Die Meinungen in der Zivilgesellschaft gehen derweil auseinander. Einige halten die im Urteil geforderte Abwägung für eine maßvolle Entscheidung und sprechen Privatpersonen das Recht auf Vergessen zu, andere sehen in der Löschung von Wahrheiten im Netz ein großes Missbrauchspotenzial und eine erschwerte Arbeit für Journalisten.
Die Experten erwarten nun eine Flut an Löschanträgen – erste Anleitungen dazu kursieren bereits im Netz. Google will das Urteil und seine Auswirkungen noch genauer prüfen.
Stimmen zu dem Thema:
Heiko Maas, Bundesjustizminister
Der EuGH hat dem Grundrecht auf Datenschutz erneut einen hohen Stellenwert eingeräumt.
(heute.de, 13.05.2014)
Bernhard Rohleder, BITKOM-Hauptgeschäftsführer
Für Online-Medien gelten Meinungs- und Pressefreiheit. Suchmaschinen machen diese Informationen für eine breite Öffentlichkeit auffindbar. Faktisch bedeutet das Urteil eine Einschränkung der Informationsfreiheit für jeden Einzelnen. Das Spannungsverhältnis zwischen informationeller Selbstbestimmung und Informationsfreiheit muss künftig klarer und für alle verständlich geregelt werden. Informationsfreiheit bestimmt sich in der digitalen Welt primär danach, inwieweit verfügbare Informationen praktisch auffindbar sind. Dabei sind Suchmaschinen das entscheidende Werkzeug. Es ist eine der wesentlichen Errungenschaften des Internet, Informationen frei zugänglich machen. Das will der EuGH nun teilweise rückgängig machen.
(BITKOM, 13.05.2014)
Michaela Zinke, Referentin im Projekt „Verbraucherrechte in der digitalen Welt“ beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)
Wir werden in unseren Gerichtsverfahren gegen Facebook prüfen, ob die Niederlassung von Facebook in Deutschland nicht auch als datenverarbeitende Stelle angesehen werden kann. Trotz dieser erfreulichen Klarstellung ist jedoch weiterhin ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen für den Datenschutz in Europa unerlässlich.
(vzbv, 13.05.2014)
Stephan Dirks, Rechtsanwalt und Partner in der Medienkanzlei Dirks & Diercks
Es werden ab heute sehr viele Menschen es sehr viel leichter haben, gegen Inhalte jeder Art in Suchmaschinen vorzugehen. Denn mit der Entscheidung des EuGH, Google zur verantwortlichen Stelle zu machen, macht das Gericht das Datenschutzrecht gleichsam zu einer Waffe gegen missliebige Inhalte jeder Art.
(Social Media Recht Blog, 14.05.2014)
Thomas Stadler, Fachanwalt für IT- Recht und Fachanwalt
Der EuGH etabliert mit dieser Entscheidung nichts anderes als eine weitere Spielart der Netzsperren, durch die die Meinungs- und Informationsfreiheit im Netz beeinträchtigt wird. Das ist für die europäischen Bürger mit Sicherheit keine gute Nachricht. Wer gegen Netzsperren aufgestanden ist, muss diese Entscheidung des EuGH ebenfalls ablehnen.
(internet-law, 13.05.2014)
Leonhard Dobusch, Juniorprofessor Freie Universität Berlin
Die entscheidende Funktion von Suchmaschinen für Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet wird hingegen kaum behandelt. Zu einem guten Teil steht das Urteil in der Linie jener Argumentation, die Suchmaschinen- und Hosting-Provider stärker für Handlungen Dritter haftbar machen möchte und so ein Regime privater Rechtsdurchsetzung forciert.
(netzpolitik.org, 14.05.2014)
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital und ist Teil der aktuellen Ausgabe zur Netzpolitik. Aylin Ünal ist als Redakteurin des wöchentlich erscheinenden Monitoring-Services für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.