#EU2020DE: Interview mit Tiemo Wölken
Tiemo Wölken | Pressefoto: Frank Beer, Pixabay User loginueve_ilustra, ADMC u. GregMontani
Der Niedersachse Tiemo Wölken ist seit 2016 Abgeordneter der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Neben einer nachhaltigen Klimapolitik setzt er sich für klare Rechtsstandards im digitalen Raum ein.
Im Rahmen der Reform der europäischen Urheberrechtsrichtlinie positionierte sich Tiemo Wölken klar gegen den Einsatz von Uploadfiltern. Denn gegen schädliche Inhalte im Netz, schreibt er auf seiner Webseite, helfe keine Zensur, sondern mehr Datenschutz und die Stärkung der Informationsfreiheit.
Als Berichterstatter im Rechtsausschuss erarbeitete Wölken einen Initiativbericht zum geplanten Digital Services Act. Darin betont er die Notwendigkeit von schärferen Regeln und klareren Verfahren beim Löschen von illegalen Inhalten auf Online-Plattformen. Außerdem spricht sich der SPD-Politiker dafür aus, personalisierte Online-Werbung schrittweise zu verbieten. Zur Überwachung der „neuen Regeln im Internet“ plädiert Wölken dafür, eine zentrale Plattformaufsicht einzurichten.
Mit seinen 34 Jahren ist Wölken einer der jüngsten Europa-Abgeordneten der SPD und mit Social Media bestens vertraut. Seit November 2016 betreibt er einen YouTube-Kanal, auf dem er seinen Alltag als Abgeordneter zeigt und die Arbeit des EU-Parlaments erklärt. Wir haben mit ihm über die aktuellen Herausforderungen der EU-Digitalpolitik und die Pläne der Europäischen Kommission gesprochen.
Während der Corona-Pandemie ist auch die Cybersicherheit wieder stärker in den Fokus gerückt. Welche Schwerpunkte sollten bei der anstehenden Überarbeitung der Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit gelegt werden?
Mit dem Ausbruch der Pandemie mussten wir plötzlich den Großteil unseres Zusammenlebens digital ausrichten. Unsere Wirtschaft, Verwaltung und unsere sozialen Interaktionen haben seitdem weitestgehend online stattgefunden. Das erfordert eine starke und sichere Netzinfrastruktur. Sowohl die Kommission als auch die deutsche Ratspräsidentschaft haben die digitale Souveränität Europas als Kernthema der nächsten Jahre hervorgehoben. Dazu gehört nicht nur Datensouveränität, sondern auch die Sicherheit unserer Netzinfrastruktur. Gerade vor dem Hintergrund des 5G-Ausbaus muss die EU verbindliche gemeinsame Sicherheitsstandards setzen. Bis Ende 2020 soll hierfür einen Vorschlag der Kommission für die Novellierung der NIS-Richtlinie von 2016 kommen.
Ein weiteres Legislativvorhaben der Kommission ist der Digital Services Act, der die veraltete eCommerce-Richtlinie ersetzen soll, die im Jahr 2000 entstanden ist. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Elemente, um die globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Internetunternehmen zu fördern?
Als Berichterstatter für den Digital Services Act im Rechtsausschuss habe ich mich intensiv mit diesem Bericht beschäftigt. Der DSA soll den digitalen Binnenmarkt dynamischer gestalten und die Marktdominanz der großen IT-Konzerne angehen. Gleichzeitig wird der DSA klare Regeln für den Umgang von Plattformen mit Inhalten und Daten setzen. Beide Ziele kann man kombinieren: Mein Bericht zum DSA sieht vor, dass die großen Plattformen eine offene Schnittstelle für Dritte anbieten, die andockende Dienstleistungen anbieten könnten, wie etwa das nach individuellen Vorlieben gestaltete Sortieren und Kuratieren von Inhalten. Dadurch würden wir dafür sorgen, dass kleinere europäische Unternehmen attraktive Dienstleistungen anbieten können – die gleichzeitig die Dominanz der Algorithmen einschränken, die bestimmen, wie viele Fake News und Corona-Verschwörungen uns täglich angezeigt werden.
Engagiert sich die EU aus ihrer Sicht ausreichend bei Forschung und Innovation? Können wir bei den Themen KI und Quantencomputing international mithalten?
Europa ist nach wie vor ein wichtiger Standort für Forschung und Innovation. Aber wir haben eine erhebliche Investitionslücke, die es zu überwinden gilt, wenn wir langfristig mit China und Silicon Valley mithalten wollen. Gerade China investiert massiv in Künstliche Intelligenz. Da können wir nur mithalten, wenn wir unsere Kräfte bündeln. Europa hat immer noch exzellente Forschungseinrichtungen und Universitäten, aber es sind gemeinsame Förderprogramme wie Horizon Europe oder das Digital Europe Programme, die einen echten Mehrwert liefern.
Kommission und Parlament wollen gemeinsame Ladegeräte für Mobiltelefone und ähnliche Geräte. Welche anderen Bausteine braucht es für eine nachhaltige Digitalisierung?
Einheitliche Standards für Ladekabel würden uns tatsächlich eine Menge Elektromüll ersparen. Aber das ist in der Tat nicht alles: Digitale Innovationen können den Weg zu einer nachhaltigen, klimaneutralen Gesellschaft erheblich beschleunigen. Aber auch die Digitalisierung an sich muss nachhaltig gestaltet werden – ich denke da etwa an den CO2-Verbrauch von Rechenzentren. In Brüssel hat man verstanden, dass der digitale Wandel und der ökologische Wandel Hand in Hand gehen. Industrie 4.0 und Kreislaufwirtschaft sind genauso digitalpolitische wie klimapolitische Themen. Datenbasierte Konzepte können helfen, deutlich Emissionen einzusparen, sei es durch smarte Mobilitätskonzepte oder Abfallreduzierung.
Die Kommission hat in ihrem Arbeitsprogramm einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung gelegt, das Parlament war in der Vergangenheit insbesondere bei der DSGVO die führende Kraft. Wer wird in dieser Legislaturperiode die Triebfeder in der Digitalpolitik sein – die Kommission oder das Parlament?
Ich sehe in dieser Hinsicht kein Wettrennen zwischen den Institutionen. Wichtig ist doch, dass die Digitalisierung in Europa nachhaltig und gerecht vorangetrieben wird. Mit Margrethe Vestager als Vizepräsidentin für das Digitale Europa hat die Kommission dem Thema einen besonders hohen Stellenwert zugeschrieben. Aber auch das Parlament treibt die Kommission in manchen Aspekten voran. Wir haben gleich zu Beginn der Legislaturperiode damit angefangen, mit einer Vielzahl von Initiativberichten zu künstlicher Intelligenz unsere digitalpolitischen Forderungen an die Kommission zu stellen. In manchen Feldern hat die Kommission noch keine Vorhaben geplant, etwa bei der Gestaltung der geistigen Eigentumsrechte für künstliche Intelligenz. Insofern bin ich froh, dass sich Parlament und Kommission hier gegenseitig ergänzen und sich die digitalpolitischen Bälle zuspielen.
Die EU ist aufgrund der Corona-Pandemie im Krisenmodus. Werden die EU und ihre Institutionen gestärkt daraus hervorgehen oder zerstrittener als zuvor? Welche Rolle wird dabei das Europaparlament spielen?
Die Corona-Krise hat gezeigt, welche Vorteile ein geeintes Europa bringt. Dadurch, dass die Anschaffung von Impfstoffen etwa von der Kommission verhandelt wird, können wir einen größeren Zugang zu Impfstoffen für alle sicherstellen, als wenn jedes Mitgliedsland seine eigene Verhandlungsmacht nutzen müsste. Dass wir in der Europäischen Union eine Solidargemeinschaft sind, hat sich nicht zuletzt auch in den Beschlüssen zum europäischen Wiederaufbaufonds, in dem sich die Mitgliedsstaaten erstmals auf eine gemeinsame Schuldenaufnahme verständigt haben. Das ist ein bedeutender Schritt für ein geeintes Europa! Gleichzeitig hat die Krise auch nationale Reflexe offenbart, etwa in den Reisebeschränkungen und Grenzschließungen. Da muss Europa deutlich mehr Präsenz zeigen und entschlossener koordinieren.
Alle Interviews aus dieser Serie:
#EU2020DE: Interview mit Alexandra Geese
#EU2020DE: Interview mit Svenja Hahn
#EU2020DE: Interview mit Axel Voss