#EU2020DE: Interview mit Svenja Hahn

Veröffentlicht am 30.09.2020

Pressefoto: Hannah Lebershausen-Theobald, Pixabay User loginueve_ilustra, ADMC u. GregMontani
Svenja Hahn zog als Spitzenkandidatin der Jungen Liberalen vergangenes Jahr ins Europäische Parlament ein. In den Ausschüssen Binnenmarkt, Handel und KI setzt sie sich als Abgeordnete der Fraktion Renew Europe für eine europäische Digitalisierung ein.

In ihrer ersten Rede im EU-Parlament erklärte Svenja Hahn den Binnenmarkt zum „Herzstück“ der Europäischen Union (EU). Den digitalen Binnenmarkt will sie daher auch  vom „Schlagwort zur Priorität“ machen. Ziel der EU müsse es insbesondere sein, einen Rechtsrahmen für den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) im Binnenmarkt zu entwickeln.

Dafür setzt sich Hahn sowohl im neuen Sonderausschuss für KI im digitalen Zeitalter (AIDA) als auch als Mitglied des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) ein. Das Thema internationaler Handel, schreibt Hahn auf ihrer Website, sei ihr sehr vertraut. Zum einen als Hamburgerin, der Stadt mit dem größten deutschen Hafen und zum anderen als Kind von Eltern, die selbst ein Handelsunternehmen führten.

Svenja Hahn zählt zu den jüngsten Mitgliedern im EU-Parlament. Zwei Jahre lang war die 30-jährige Präsidentin der europäischen liberalen Jugend, LYMEC. Als Vorsitzende von LYMEC bereiste sie in den letzten Jahren insgesamt 34 Länder und erklärte die Jugendpolitik zu ihrer „Herzensmotivation“. In unserer Interview-Reihe #EU2020DE sprach sie mit uns über die Herausforderungen und Ziele der europäischen Digitalpolitik.

Während der Corona-Pandemie ist auch die Cybersicherheit wieder stärker in den Fokus gerückt. Welche Schwerpunkte sollten bei der anstehenden Überarbeitung der Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit gelegt werden?

Cybersicherheit ist ein zentrales Thema, nicht nur für kritische Infrastruktur und unsere Wirtschaft, sondern auch für den Schutz persönlicher Daten und der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern. Derzeit läuft gerade die öffentliche Konsultation der EU-Kommission, bei der Interessenvertreter und die Öffentlichkeit nach ihren Erfahrungen mit der Umsetzung der Richtlinie und ihren Empfehlungen für deren Revision gefragt werden. Bevor wir vorschnelle Forderungen erheben, sollten die Ergebnisse der Konsultation ganz genau ausgewertet werden – gerade vor dem Hintergrund der noch immer aktuellen Corona-Krise. Hier müssen wir insbesondere das digitale Risikomanagement der Mitgliedstaaten unter die Lupe nehmen. Ziel der Überarbeitung muss eine weitere Angleichung des Sicherheitsniveaus in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sein. Hier sind wir bereits auf dem richtigen Weg, es kann aber im Zuge der Überarbeitung der NIS-Richtlinie noch einiges nachgebessert werden.

Pressefoto: Hannah Lebershausen-Theobald

Ein weiteres Legislativvorhaben der Kommission ist der Digital Services Act, der die veraltete eCommerce-Richtlinie ersetzen soll, die im Jahr 2000 entstanden ist. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Elemente, um die globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Internetunternehmen zu fördern?

Die Überarbeitung der aktuell geltenden Regeln für digitale Dienstleistungen muss in jedem Fall mit Augenmaß geschehen. Wichtig ist, dass kleine und mittlere Unternehmen sowie Startups dabei nicht als Verlierer vom Platz gehen. Ihnen müssen wir einen fairen Wettbewerb mit den Giganten der Branche ermöglichen. Die Innovationsfähigkeit der europäischen Tech-Unternehmen muss mit dem Digital Services Act gestärkt und nicht durch überbordende Bürokratie oder unverhältnismäßige Auflagen blockiert werden. Zugleich müssen Verbraucherinnen und Verbraucher vor Verletzung ihrer Rechte geschützt und dazu in die Lage versetzt werden, informierte Entscheidungen zu treffen. Außerdem ist mir persönlich im Rahmen der Verhandlungen wichtig, dass Bürgerrechte wie die Redefreiheit nicht unter die Räder kommen. Ich setze mich daher beispielsweise aktiv gegen verpflichtende Uploadfilter ein. Der Staat darf die Verantwortung zur Bekämpfung von Hate Speech und Fake News nicht einfach gänzlich auf Unternehmen auslagern.

Engagiert sich die EU aus ihrer Sicht ausreichend bei Forschung und Innovation? Können wir bei den Themen KI und Quantencomputing international mithalten?

Als Europaparlamentarierin sehe ich es mit großer Sorge, dass die Mitgliedstaaten in ihrem Entwurf für den mehrjährigen EU-Haushalt die Mittel für Forschung gekürzt haben. Das Parlament setzt sich derzeit am Verhandlungstisch vehement für zusätzliche Forschungsgelder ein. Dies ist einer der entscheidenden Bereiche, um mit den digitalen Entwicklungen der Zukunft nicht nur Schritt zu halten, sondern die EU zum Innovationsmotor in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Quantencomputing zu machen. Wir arbeiten derzeit bereits an einer einheitlichen europäischen Regulierung für KI, um Innovationen den Weg zu bereiten und ideale Bedingungen für europäische Unternehmen im weltweiten Wettbewerb zu schaffen.

Kommission und Parlament wollen gemeinsame Ladegeräte für Mobiltelefone und ähnliche Geräte. Welche anderen Bausteine braucht es für eine nachhaltige Digitalisierung?

Elektroschrott zu vermeiden ist ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Wir sind beim Thema Ladegeräte in Europa schon sehr weit gekommen, auch weil Unternehmen gezielt Verantwortung übernommen haben. Gab es in den 2000er Jahren noch über 30 verschiedene Steckertypen, sind es jetzt nur noch drei. Bei der Einführung des gemeinsamen Ladegerätes muss zwingend auch ein Weg gefunden werden, wie wir Innovation hin zu neuen Anschluss- und Ladetypen weiterhin ermöglichen. Auch der separate Verkauf von Ladeblöcken, Kabeln und Geräten kann viel zur Reduzierung von Elektroschrott beitragen. Darüber hinaus arbeiten wir im Europaparlament derzeit an einer Reihe weiterer Maßnahmen für nachhaltiges Wirtschaften, etwa in Zusammenhang mit dem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Dazu gehören etwa Maßnahmen für eine längere Lebensdauer von Geräten sowie höhere Recycling- und Reparatur-Quoten.

Die Kommission hat in ihrem Arbeitsprogramm einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung gelegt, das Parlament war in der Vergangenheit insbesondere bei der DSGVO die führende Kraft. Wer wird in dieser Legislaturperiode die Triebfeder in der Digitalpolitik sein – die Kommission oder das Parlament?

Idealerweise arbeiten Kommission und Parlament bei diesem Thema Hand in Hand und drängen gemeinsam auf fortschrittliche Lösungen für Europa. Im Bereich der Regulierung von Künstlicher Intelligenz funktioniert das derzeit bereits sehr gut. Nachdem die Kommission im Februar dieses Jahres ihr Weißbuch zu KI veröffentlicht hat, haben wir im Parlament an mehreren Initiativberichten zum Thema gearbeitet, mit denen wir unsere Positionen und Forderungen gegenüber der Kommission klar machen. Die Berichte werden noch im Herbst abgestimmt, anschließend erwarten wir Gesetzesvorschläge der Kommission, die wir dann wiederum im Parlament weiterentwickeln und hoffentlich zu einem zügigen Abschluss bringen werden. Mit einem Sonderausschuss zu Künstlicher Intelligenz stellt sich das Parlament auch organisatorisch stark auf. Das Ziel, eine smarte und innovationsfreundliche KI-Regulierung für Europa zu erreichen, ist also nicht so weit entfernt wie mancher glauben mag.

Die EU ist aufgrund der Corona-Pandemie im Krisenmodus. Werden die EU und ihre Institutionen gestärkt daraus hervorgehen oder zerstrittener als zuvor? Welche Rolle wird dabei das Europaparlament spielen?

Während viele Menschen zu Beginn der Krise eine koordinierende EU schmerzlich vermissten, ist inzwischen die Stärke der Europäischen Union wieder deutlich zu erkennen. Viele wegweisende Entscheidungen wurden getroffen, Hilfsprogramme kreiert in sehr kurzer Zeit. Die EU hat Handlungs- und Kooperationsfähigkeit bewiesen. Andererseits hat die Krise auch deutlich gemacht, wo die Bruchlinien verlaufen. Denn es war vor allem der Rat, die Mitgliedsländer, die zu Beginn der Krise in nationales Denken zurückgefallen sind. Erneut hat sich gezeigt, dass institutionelle Reformen dringend nötig sind, zuvorderst die Stärkung des Europäischen Parlaments. Diese Reformen sollten eigentlich seit Frühjahr 2020 auf einer groß angelegten “Konferenz zur Zukunft Europas” debattiert werden. Die Konferenz muss schnellstmöglich auf die Beine gestellt werden. Denn die EU braucht ein Update im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger, hin zu mehr Transparenz und demokratischer Mitwirkung.

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