EU-Plattformregulierung: Der Digital Services Act steht vor der Umsetzung

Foto: CC0 1.0, Pixabay User harakir / Ausschnitt bearbeitet
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Veröffentlicht am 04.05.2022

Das Gesetz über digitale Dienste steht bereits seit Dezember 2020 auf der Agenda der EU-Institutionen. Mittlerweile ist eine Umsetzung des Digital Services Act (DSA) in greifbare Nähe gerückt. Auf welche Inhalte man sich auf europäischer Ebene nun geeinigt hat und welche Reaktionen das hervorruft, fassen wir hier zusammen.

Lange wurde um den Digital Services Act gerungen. Ende April verkündete der Rat der EU, der die Regierungen der Mitgliedsstaaten repräsentiert, nun eine vorläufige politische Einigung mit dem Europäischen Parlament. Wenn diese Einigung von beiden Institutionen gebilligt wird, steht der Verwirklichung des ambitionierten Gesetzes über digitale Dienste nicht mehr viel im Weg.

Was ist geplant?

Im Kern geht es bei dem Gesetz – im Verbund mit dem Digital Markets Act (DMA) als zweiter Säule – um eine umfassende Regulierung des digitalen Raumes. Es richtet sich an alle Unternehmen, die digitale Dienste in der EU anbieten und folgt dabei dem Grundsatz, dass Dinge, die außerhalb des Internets verboten sind, auch im Digitalen nicht erlaubt sein sollen:

„Ziel ist es, die Verbreitung illegaler Inhalte im digitalen Raum zu verhindern und die Grundrechte der Nutzenden zu schützen.“ (Pressemitteilung des Rats der EU)

Vor allem die großen Internetkonzerne sollen mit dem DSA dazu verpflichtet werden, schneller und besser gegen Hetze, Desinformation und gefälschte Produkte vorzugehen. Inhalte, die nach nationalem oder europäischem Recht offensichtlich illegal sind, müssen künftig „unverzüglich“ bzw. innerhalb von 24 Stunden entfernt werden, nachdem eine Plattform Kenntnis darüber erlangt hat. Ähnlich wie beim deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) müssen Onlineplattformen zudem die nationalen Justizbehörden informieren, wenn sie bei Inhalten eine „schwere Straftat“ vermuten, die „das Leben oder die Sicherheit von Personen“ bedroht.

Zentraler Adressat: die großen Plattformen

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Foto: CC0 1.0/ Pixabay User SAM-RIZ44 / Ausschnitt bearbeitet

Zu den betroffenen „sehr großen“ Plattformen und Suchmaschinen mit mehr als 45 Millionen monatlich aktiven Nutzer:innen innerhalb der EU zählen unter anderem Google, YouTube, Facebook, Instagram, LinkedIn, Amazon, Apple, Ebay und Twitter. Als Plattformen definiert der DSA dabei Onlineangebote, die sich nicht nur aufs Speichern von Daten beschränken (wie etwa Hosting- und Clouddienste), sondern diese auch aufbereiten, sie verbreiten und eventuell auswählen (z.B. durch Algorithmen), welche Inhalte wem angezeigt werden. Für einfache Hostinganbieter und Plattformen mit weniger monatlichen Nutzer:innen sind weniger strengere Regeln bzw. Ausnahmen vorgesehen, um laut EU-Rat „die Entwicklung von Start-ups und kleineren Unternehmen im Binnenmarkt zu gewährleisten“.

Die großen digitalen Plattformen werden zudem verpflichtet, jährlich eine externe Analyse der von ihnen ausgehenden systemischen Risiken vorzunehmen und wie diese verringert werden können. Dazu gehören insbesondere die Überprüfung der Verbreitung illegaler Inhalte, von Manipulationen mit Auswirkungen auf demokratische Prozesse und die öffentliche Sicherheit, von nachteiligen Auswirkungen auf Grundrechte sowie von schwerwiegenden Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit der Nutzenden.

Änderungen bei Algorithmen, Cookies und Werbepraktiken

Darüber hinaus sieht das Gesetz einige weitere bemerkenswerte Punkte vor:

  • Plattformen müssen künftig die wichtigsten Parameter ihrer Empfehlungsalgorithmen offenlegen.
  • Manipulative Design-Praktiken, sogenannte „dark patterns“, die eine Kaufentscheidung oder die Auswahl von Cookie-Bannern beeinflussen können, werden verboten.
  • Nutzer:innen sollen mehr Einfluss bekommen, welche Werbeanzeigen ihnen auf den Plattformen angezeigt werden.
  • Die Daten Minderjähriger dürfen nicht mehr für zielgerichtete Werbung ausgewertet werden.
  • Erwachsenen dürfen keine Werbung mehr erhalten, die auf der Auswertung sensibler Daten (z.B. Informationen zur Gesundheit, sexuellen Orientierung, politischen Meinung oder religiösen Überzeugung) beruht.

Sollten die großen Digitalunternehmen systematisch gegen die Bestimmungen des DSA verstoßen, drohen ihnen Strafen von bis zu sechs Prozent ihres jährlichen globalen Umsatzes – was mehreren Milliarden Euro entsprechen kann. Außerdem soll ein Zwangsgeld von fünf Prozent des Tagesumsatzes verhängt werden können, um einzelne Verstöße zu sanktionieren.

Die Aufsichtsbefugnis über die großen Onlinedienste und ihre Verpflichtungen erhält die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, in denen neue Digitale-Dienste-Koordinatoren für die Einhaltung des DSA sorgen sollen. Staatliche Behörden können bei den großen Plattformen zudem einen Datenzugang für Forscher:innen anordnen. Bei kleineren Internetfirmen soll eine zuständige Behörde im jeweiligen EU-Land, in dem die Firma ihren Hauptsitz hat, die Durchsetzung der Regeln kontrollieren.

Erste Reaktionen von EU und Bundesregierung

Pressefoto Ursula von der Leyen: BPA/Steffen Kugler

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die gemeinsame Position der EU-Gesetzgeber zum DSA-Gesetz als „historisch, sowohl in Bezug auf die Geschwindigkeit, in der eine Einigung darüber erzielt wurde, als auch auf seinen Inhalt“. Auch die für Digitales zuständige EU-Kommissarin und Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager äußerte sich erwartungsvoll:

„Mit dem Gesetz über digitale Dienste tragen wir dazu bei, ein sicheres und verantwortungsvolles Online-Umfeld zu schaffen.“ 

Die zustimmende Position der deutschen Bundesregierung erläuterte Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, und ehemaliger EUropaabgeordneter:

„Europa hat sich auf die weltweit strengsten Regeln für mehr Wettbewerb und Fairness bei den großen digitalen Playern verständigt. Die großen Plattformunternehmen werden klaren und harten Regeln unterworfen und können nicht mehr länger einseitig die Spielregeln bestimmen.“

Das zuständige Bundesministerium für Digitales und Verkehr von Volker Wissing teilte zudem mit, dass mit Inkrafttreten des Digital Services Act hierzulande ein entsprechendes Digitale-Dienste-Gesetz erarbeitet werden soll, da dann bestehende nationale Regeln wie das NetzDG umfänglich überarbeitet werden müssten.

Lob, aber auch Kritik aus Politik und Wirtschaft

Die an den EU-Verhandlungen beteiligte Europaabgeordnete der Grünen Alexandra Geese sieht im DSA den möglichen „Beginn eines digitalen Frühlings und der erste, entscheidende Schritt zu mehr Demokratie und Freiheit im Netz.“ Auch Politiker:innen von SPD, CDU und Linkspartei im EU-Parlament begrüßten die Einigung. So betonte der Vorsitzende der Linksfraktion, Martin Schirdewan:

„Durch weitreichende Transparenzverpflichtungen öffnet der DSA die Blackbox der Algorithmen der Onlineplattformen.“

Auf ein weitgehend positives Echo stieß das geplante Gesetz zudem bei den Verbänden der Internetbranche, BVDW und Bitkom, sowie bei Amnesty International und der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi).

Patrick Breyer, EU-Parlamentarier der Piraten, widersprach den Bürgerrechtsorganisationen und zeigte sich enttäuscht vom Verhandlungsergebnis. Breyer kritisierte, dass sich letztlich Industrie- und Regierungsinteressen weitgehend gegen digitale Bürgerrechte durchgesetzt hätten. Kritik kam umgehend auch von Medienverbänden, die in der gebündelten Regulierung von Online-Inhalten auf der europäischen Ebene eine „Gefahr für die Pressefreiheit und Meinungsvielfalt“ sehen. So erklärte Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV): „Gut gemeint ist nicht gut gemacht.“

Insgesamt überwiegt bisher die positive Einschätzung des Digital Services Act, der von vielen als ein „Schritt in die richtige Richtung“ für mehr Transparenz digitaler Plattformen wahrgenommen wird, wie es die bekannte Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen bei einer Anhörung im Bundestag formuliert hatte.

Ob der DSA aber wirklich zu einem „Plattformgrundgesetz“ werden kann, wie es sich viele Akteure wünschen, wird sich letztlich erst in der Praxis und vermutlich nach einigen klärenden Gerichtsprozessen entscheiden. Doch zuvor muss das Gesetz erstmal in Kraft treten, wenn die EU-Institutionen ihm auch formell zugestimmt haben.

Anwendbar werden die Regeln des DSA nach einer Übergangsfrist von 15 Monaten. Für die sehr großen Plattformen und Suchmaschinen sieht die EU-Kommission jedoch nur eine Frist von vier Monaten vor – nachdem die Unternehmen in diese Kategorie eingeordnet wurden. Voraussichtlich wird der Digital Services Act den digitalen Raum in Europa somit so richtig ab Januar 2024 neu regulieren.

Mehr Informationen:

Europäisches Datengesetz: Worum geht es beim Data Act?
Europa Digital: Ziele, Pläne und Grundsätze für die digitale Dekade

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