EU-Digitalpolitik: Vorerst kein Hate-Speech-Gesetz und Verspätungen beim digitalen Binnenmarkt
Während die deutsche Digitalpolitik mit dem Einsetzen des alten Bundestagsausschusses Digitale Agenda – mit einigen neuen Gesichtern – langsam wieder handlungsfähig wird, wird die Luft für digitalpolitische Initiativen auf EU-Ebene dünner. Die letzten Kommissionsinitiativen der amtierenden Juncker-Kommission sollen im Laufe des Jahres auf den Weg gebracht werden, doch bei einigen digitalpolitischen Dossiers, die längst vom Verhandlungstisch sein sollten, tut sich nichts. Dazu gehören die reichlich verspätete E-Privacy-Verordnung und die ins Stocken geratene Urheberrechtsreform. Die Justiz- und Verbraucherschutzkommissarin Vĕra Jourová will außerdem kein Hate-Speech-Gesetz auf den Weg zu bringen – auch mit Blick auf die Funktionsweise des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.
Hate Speech: Freiwillige Selbstverpflichtung
Das in Deutschland zum Jahreswechsel in Aktion getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wird wohl keine Blaupause für eine europäische Regulierung. Die zuständige EU-Kommissarin sieht vorerst davon ab, die Betreiber mit einer gesetzlichen Lösung zum Löschen von strafrechtlich relevanten Inhalten zu bringen und setzt weiterhin auf die freiwilligen Zusagen der großen Tech-Firmen. Im Mai 2016 hatten Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft sich in einem freiwilligen Verhaltenskodex zur stärkeren Eindämmung der Hetze im Netz verpflichtet. Die dritte Evaluierungsrunde habe ergeben, dass Plattformen bereits jetzt 70 Prozent aller gemeldeten Inhalte löschen, berichtete die Kommission am 19. Januar. Auch aufgrund der stark steigenden Tendenz – in der ersten Bewertungsrunde 2016 waren es noch 28 Prozent, im Mai 2017 wurden bereits 59 Prozent der gemeldeten Inhalte entfernt – zeigte sich die Kommission zufrieden mit diesem Fortschritt.
Weiteren Handlungsbedarf sieht die Kommission allerdings in Bezug auf die Feedbackmechanismen der sozialen Netzwerke an die Nutzer bei Meldung und Sperrung von Inhalten sowie bei der Ahndung von tatsächlich strafrechtlich relevanten Inhalten.
„Ab Frühjahr 2018 soll es einen gezielten Dialog zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und IT-Konzernen geben,“ hieß es dazu in der Kommissionsmitteilung.
Hate Speech: (Kein) EU-Gesetz
In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel nimmt Jourová Bezug auf das deutsche Hate-Speech-Gesetz.
„Die Abschreckungswirkung des deutschen Gesetzes funktioniert, aber sie funktioniert vielleicht zu gut. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das für ganz Europa wünsche,“ erklärt die Kommissarin.
Eine 100-Prozent-Löschquote, wie in Deutschland ihrer Ansicht nach angestrebt, sei nicht ihr Ziel. Die meisten EU-Justizminister seien mit ihr einer Meinung, dass das deutsche NetzDG nicht zum Vorbild für Europa taugt.
„Wir setzen auf Verantwortung, das deutsche Modell auf Sanktionen,“ so Jourová.
Anders als das Spiegel-Interview suggeriert, schließt die tschechische EU-Kommissarin ein EU-weites Gesetz aber nicht gänzlich aus. „Never say never“ hatte sie dem EU-Nachrichtenportal Euractiv zu diesem Thema gesagt. Sie sei grundsätzlich gegen Überregulierung und bevorzuge das aktuelle System der Selbstverpflichtung. Sollte es aber eine „wrong fragmentation of rules in the EU“ geben oder die Unternehmen ein neues Management bekommen, das „not on the same page“ mit den Vorstellungen der Kommission ist, könne „eine andere Situation eintreten“.
Sie gehe davon aus, dass beim Treffen der EU-Justizminister am 25. und 26. Januar in der bulgarischen Hauptstadt Sofia weiter über dieses Thema debattiert werde. Sie sehe aktuell drei Trends bei den Mitgliedstaaten: Einige Staaten würden eine Regelung nach deutschem Vorbild anstreben, etwa Österreich. Eine zweite Gruppe spreche sich für die Fortführung des Verhaltenskodexes aus, will aber schnell durchgreifen, falls dieser in seiner Wirkung nachlässt. Eine dritte Untergruppe berufe sich strikt auf die Meinungsfreiheit und will diesen Bereich nicht „anfassen“.
Hate Speech: Automatische Löschung & Upload-Filter
Im Euractiv-Interview sprach Jourová auch über ihre Forderung an die Unternehmen, technische Lösungen zur Löschung von wiederholt ins Netz gestellten illegalen Inhalten zu entwickeln. Sie gehe davon aus, dass die großen Netzwerke bereits an Tools arbeiten und hofft, dass sie diese auch kleineren, finanzschwächeren Firmen zur Verfügung stellen werden. Vor kurzem hat ein österreichisches Gericht einen Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) überwiesen, in dem es um die wiederholte Beleidigung eine Grünen-Politikerin auf Facebook ging. Der soll nun klären, ob Facebook selbstständig und weltweit nach Inhalten suchen muss, die die wortgleiche Beleidigung enthalten, die bereits per Einstweiliger Verfügung gesperrt wurde.
Die beteiligten Unternehmen gelobten im Anschluss an die Ankündigungen der Kommission Besserung im Kampf gegen illegale Inhalte.
„There is still more we can do. That’s why we’re now training machine learning models to flag hateful content at scale,”
wird Googles VP of Public Policy für Europa, den Nahen Osten und Afrika, Nicklas Lundblad, von Politico Europe zitiert. Möglich wäre, dass solche technischen Lösungen zur automatischen Löschung bestimmter Inhalte auch Upload-Filter umfassen. Diese sind auch in der Debatte um die europäische Urheberrechtsreform im Rahmen des digitalen Binnenmarktes hoch umstritten. Ein Bündnis aus Verbraucherschützern und Wikimedia wirbt gerade eindringlich für eine Lösung, mit der die Plattformen nicht zum automatischen Filtern von Content mit Blick auf Urheberrechtsverletzungen verpflichtet werden. Die Abstimmung im federführenden Rechtsausschuss (JURI) des Europäischen Parlaments (EP) wird nach mehrmaligem Verschieben für den 26./27. März erwartet, die Abstimmung im Plenum über die EP-Position dann vermutlich nicht vor Frühsommer 2018. Erst dann folgt der Trilog.
2018: Jahr des digitalen Binnenmarktes?
Die Kommission hält nach wie vor an ihrem Ziel fest, alle den digitalen Binnenmarkt betreffenden Vorhaben bis Ende 2018 zu den Akten zu legen – pünktlich zur Europawahl im Mai 2019. Digital-Kommissarin Mariya Gabriel bekräftigte dieses Ziel noch einmal bei ihrer Rede auf der Konferenz Digital-Life-Design (DLD 18) in München am 22. Januar. Von den 24 Legislativvorschlägen der Juncker-Kommission auf diesem Gebiet sind erst 11 abgeschlossen. Ein von Kommisssionsvizepräsident Andrus Ansip auf Twitter veröffentlichter Zeitplan sieht die bulgarische Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union in der Pflicht, bei zehn der übrigen 13 Vorhaben einen Konsens unter den Mitgliedstaaten zu finden. Zum 1. Juli übernimmt Österreich den Vorsitz und soll die drei finalen Kapitel abschließen: die Vertragsregeln im Online-Handel, die E-Privacy-Verordnung sowie das im September 2017 vorgelegte Cyber-Sicherheitspaket. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte bis vor kurzem noch die Festlegung der Ratsposition zur E-Privacy-Verordnung in der Zeit des bulgarischen Vorsitzes erwartet.
Neben den bereits bekannten Verzögerungen, berichtet Politico Europe inzwischen über ein Dossier, das die Kommission angeblich gerne gänzlich zurücknehmen will – um den Entwurf nach der Europawahl 2019 erneut einzubringen. Die Reporterin Joanna Plucinska will aus Kommissionskreisen erfahren haben, dass die Kommission in Erwägung zieht, ihren Vorschlag für eine
„Verordnung mit Vorschriften für die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten in Bezug auf bestimmte Online-Übertragungen von Rundfunkveranstaltern und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen“
zurückzuziehen. Der federführende Rechtsausschuss hatte im November entschieden, dass die neuen Regeln für Online-Übertragungen vorerst nur für „news and current affairs content“ gelten sollen und explizit nicht für Filme und Serien. Damit hatte sich eine konservative Mehrheit im Ausschuss gegen den Vorschlag des sozialdemokratischen deutschen Abgeordneten Tiemo Wölken durchgesetzt und ist damit vom Plenum am 12. Dezember 2017 bestätigt worden. Wie das Tagesspiegel Politikmonitoring aus Parlamentskreisen weiß, hatte die Kommission einen solchen Schritt vor der Abstimmung in Erwägung gezogen, aber den MdEPs nicht klargemacht, wo sie die rote Linie sieht. Verwundert sei man deshalb darüber, dass der eingeschränkte Anwendungsbereich auf lediglich „news and current affairs“ trotzdem ein Dorn im Auge der Kommission zu sein scheint.
Relativ unumstritten scheint hingegen bisher der im September 2017 eingebrachte Vorschlag zum „Free flow of non-personal data“. Eine aktuelle Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins moniert zwar, dass es heutzutage schwierig sei, trennscharf zwischen personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten zu unterscheiden, begrüßt aber grundsätzlich, dass sich die Kommission mit ihrem Entwurf auf das Terrain der „Maschinen-Daten“ zubewegt und Rechtsklarheit schaffen will. Sowohl der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) als auch der Rechtsausschuss (JURI) sehen von einer Stellungnahme zu dem Thema ab und überlassen dem federführenden Binnenmarkt- (IMCO) und dem mitberatenden Industrieausschuss (ITRE) die Positionsfindung.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Lina Rusch schreibt über Netzpolitik und beobachtet die Landespolitik.