Ethik der Digitalisierung: Forschungsprojekt unter Schirmherrschaft des Bundespräsident
Foto: CC0 1.0, Pixabay User geralt | Ausschnitt angepasst
Die Frage, wie Digitalisierung ethisch gestaltet werden kann, treibt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um. Ein international angelegtes Projekt unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten soll konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeiten und Erkenntnisse in die Praxis bringen.
Durch das Internet können wir uns jederzeit digital nah sein und in Echtzeit erleben, was in weiter Ferne passiert. Wissen ist nur noch einen Knopfdruck entfernt. Arbeitsabläufe wurden durch digitale Technologien erleichtert, die Produktion global vernetzt. Das digitale Zeitalter hat uns zweifelsohne viel Gutes beschert, doch stellt uns der digitale Wandel als Gesellschaft auch vor Herausforderungen: Sei es das Internet, das als etabliertes Alltagsmedium Anforderungen an den Schutz persönlicher Daten und der Privatsphäre stellt; oder die Entscheidungsfindung durch Algorithmen – oftmals nicht nachvollziehbar und im schlimmsten Fall gar diskriminierend. Darüber hinaus liegen gewaltige Mengen sensibler Daten in der Hand weniger Digitalkonzerne. Verbindliche und akzeptierte Normen rund um das digitale Miteinander sind daher dringend notwendig.
„In vielen Bereichen des Digitalen fehlen uns noch Institutionen und Regeln, die Zusammenarbeit und Kooperation der Staaten und Gesellschaften ermöglichen könnten“, betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei der Auftaktkonferenz zum Start des Projekts „Ethik der Digitalisierung“. Im Rahmen des Projekts soll ein internationales Forschungsteam unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeiten. Die Ergebnisse sind dabei innerhalb kurzer Zeit aufzubereiten und sollen auch in die Praxis umgesetzt werden.
Derzeit bereite vor allem der Konflikt zwischen den USA und China Sorgen: „Bestrebungen, das Internet zum Zweck staatlicher Kontrolle und wirtschaftlicher Vorteile zu renationalisieren und aufzuspalten […], sind ein Ausdruck dieses Konflikts“. Während sich die Fronten zwischen den beiden Großmächten verhärten, bemüht sich der Bundespräsident um einen internationalen Dialog zur Erarbeitung von Mindeststandards für die digitalisierte Welt. Dabei geht es auch um die Gestaltung digitaler Produkte und Plattformen. Ziel müsse sein, dass sie individuelle Freiheitsräume schützen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.
Dialog statt nationaler Alleingänge
Dabei sollen weder Abschottung und Kleinstaaterei noch Dominanzstreben und Allmachtsphantasien die digitale Zukunft bestimmen. „Ein neues Jeder-gegen-jeden, damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben“, bekräftigte der Bundespräsident in seiner Rede. Bezugnehmend auf die Errungenschaften internationaler Abkommen nach Ende des Zweiten Weltkriegs betonte Steinmeier, „dass Dialog und Verständigung allemal mehr Frieden und Wohlstand bringen als Abschottung und Konfrontation.“
„Wenn wir nicht wollen, dass die Welt sich weiter fragmentiert, dass abgeschottete politische und technologische Räume entstehen, zwischen denen es kein Vertrauen, keine Schnittstellen, keine Verständigung mehr gibt, dann müssen wir selbst die Initiative ergreifen zum Dialog“, bekräftigte Steinmeier den Sinn und die Notwendigkeit des Projekts. Die „Revolution der Algorithmen“ und die Auswirkungen digitaler Kommunikation seien schließlich eine globale Herausforderung. Kein Staat könne sich ihr entziehen oder sie im Alleingang bewältigen.
Es sei zudem „naiv zu glauben“, dass aus verschiedenen nationalen Regelungen für soziale Netzwerke, die Auswertung von Massendaten oder die technischen Grundlagen des Internets „irgendwie ein sinnvolles Ganzes entstehen“ könne. Ziel müsse daher die Erarbeitung grundlegender Mindeststandards sein – einer „Ethik der Digitalisierung“ als ein „gemeinsames Fundament, auf dem Vertrauen wachsen kann“.
Transferwissen für Politik und Gesellschaft
Das internationale Projekt wird finanziell durch die Stiftung Mercator gefördert und läuft insgesamt zwei Jahre. Die Koordination erfolgt durch das Berliner Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) – unter dem Dach des Global Network of Internet and Society Research Centers (NoC). Weitere Projektpartner sind das Berkman Klein Center der Harvard University (BKC) und Digital Asia Hub mit Sitz in Hongkong – beide ebenfalls Mitglieder des NoC.
Im Herzen des Projekts stehen neue Formate der wissenschaftlichen Zusammenarbeit: „Research Sprints“ und „Research Clinics“. In den 10- bis 12-wöchigen „Sprints“ arbeiten Forscher*innen in interdisziplinären Gruppen intensiv und unter starkem Austausch an einer konkreten Frage. Der erste „Sprint“ widmet sich dem Einsatz von künstlicher Intelligenz und Algorithmen zur Moderation von Inhalten in sozialen Netzwerken – und läuft bis Ende Oktober 2020 digital unter der Führung des HIIG. In den „Clinics“ soll „unmittelbar umsetzbares Transferwissen für Politik und Gesellschaft“ erarbeitet und in die Praxis überführt werden. „Ihre Arbeit, das kann ich Ihnen versichern, soll keine akademische Fingerübung bleiben, im Gegenteil“, sagte Steinmeier an die Wissenschaftler*innen gewandt. „Ihr normativer Impuls soll gute Regeln und Gesetze ermöglichen, soll eine gemeinsame Grundlage für das Zusammenleben der Völker schaffen. Das und nicht weniger ist unser Ziel.“