„Eine Chance auf einen Neustart in eine Zukunft, die digitaler, nachhaltiger und sozial akzeptiert ist.“
Fotos: BASECAMP
Beim Plan W-Salon der Süddeutschen Zeitung ging es vergangenen Mittwochabend um Deutschlands und Europas Weg durch die Corona-Krise. Dazu diskutierte Telefónica Deutschland-Vorständin Valentina Daiber mit Viola Bronsema von BIO Deutschland und Eugénia da Conceição-Heldt von der TUM School of Governance.
Die Corona-Pandemie stellt Deutschland und Europa vor große gesundheits-, gesellschafts- und wirtschaftspolitische Herausforderungen. Aber wer ist der Retter in der Krise – Europa oder der Nationalstaat? Darüber diskutierte Valentina Daiber, Vorständin für Recht und Corporate Affairs bei Telefónica Deutschland, am Mittwochabend mit der Politikwissenschaftlerin Eugénia da Conceição-Heldt, Dekanin der TUM School of Governance in München, sowie Viola Bronsema, Geschäftsführerin der Biotechnologie-Industrie-Organisation Deutschland (BIO Deutschland). Den Impulsvortrag zur Diskussion im Rahmen des Plan W-Salons des Frauen-Wirtschaftsmagazins der Süddeutschen Zeitung hielt Philippa Sigl-Glöckner, Gründerin der überparteilichen Denkfabrik Dezernat Zukunft.
„Corona hat Europa sehr unterschiedlich getroffen und die Länder sind zudem sehr unterschiedlich damit umgegangen“, gab Philippa Sigl-Glöckner zu bedenken und stellte fest: „Das ist eine enorme Herausforderung für Europa.“ Um die europäische Wirtschaft nach den nationalen Lockdowns im Frühjahr wieder auf einen Wachstumspfad zu führen, haben sich die EU-Mitgliedstaaten dann auf ein 750 Milliarden Euro schweres Wiederaufbauprogramm verständigt. Zur Finanzierung soll die Europäische Union erstmals selbst Schulden aufnehmen dürfen. Das Programm soll Europas Wirtschaft aber nicht nur wieder wachsen lassen, sondern auch ihre digitale und ökologische Transformation voranbringen. Für Philippa Sigl-Glöckner setzt die EU mit der gemeinsamen Schuldenaufnahme ein wichtiges Zeichen, auch wenn der Schritt bisher noch in engen Grenzen stattfinde. Damit die Staatengemeinschaft in Bezug auf die Zukunftsherausforderungen wirklich handlungsfähig wird, ist aus ihrer Sicht aber eine europäische Fiskalpolitik notwendig. „Die EU braucht eigene Einnahmen, sie muss selbst Schulden machen dürfen und ihre Mitgliedstaaten müssen auch bereit sein, weitere Kompetenzen abzutreten, um ein starkes europäisches Entscheidungszentrum zu schaffen.“
Europa ist nur gemeinsam stark
Im Frühjahr hat die EU aber zunächst ein weniger geschlossenes Bild abgegeben. „Was wir am Anfang der Corona-Pandemie gesehen haben, war ein sehr zögerliches Handeln der EU“, konstatierte Eugénia da Conceição-Heldt. Die Mitgliedstaaten hätten in dieser Phase auch Zusammenhalt vermissen lassen. Die starke öffentliche Kritik daran habe dann aber dazu geführt, dass insbesondere die EU-Kommission aktiv wurde und versucht hat, die nationalen Regierungen mitzunehmen. Teil der Herausforderung war aus Sicht von Conceição-Heldt, dass die EU keine Kompetenz in der Gesundheitspolitik hat und die Entscheidungsfindung im föderalen System der Union grundsätzlich komplex ist.
Auch Valentina Daiber stimmte zu, dass die Einzelstaaten in der Bekämpfung der Pandemie ganz vorne stünden, ergänzte jedoch: „Den Weg aus der Corona-bedingten ökonomischen Krise kann uns nur ein starkes, handlungsfähiges Europa weisen.“ Mit Blick auf die Zukunft formulierte Sie zudem die Forderung, Europa müsse viel konsequenter als bisher auf die Digitalisierung setzen, um gut aus der aktuellen Krise zu kommen und für zukünftige Herausforderungen besser gerüstet zu sein. „Digitalisierung ist die wesentliche Triebkraft für eine resiliente und starke EU mit internationalem Gestaltungsanspruch“, erklärte die Telefónica-Vorständin.
Viola Bronsema erklärte, sie könne verstehen, dass sich die Regierungen in einer unüberschaubaren Situation, in der alle auf Sicht fahren, erst einmal orientieren mussten und sich auf ihr jeweiliges Land zurückzogen. „Ich hoffe nur, dass wir daraus lernen“.
Conceição-Heldt hob hervor, dass Europa auch sehr selbstkritisch sei. Wenn sie mit amerikanischen Kolleg*innen spreche, höre sie hingegen oftmals Bewunderung für den Umgang mit der Pandemie. Darüber hinaus, so Conceição-Heldt, „werden wir teilweise auch als Vorbild für andere politische Integrationsprojekte gesehen“.
Wie ein solches Projekt aussehen könnte skizziert Telefónica Deutschland mit dem „New Digital Deal“. Er verbindet eine konsequente Digitalisierung der europäischen Wirtschaft mit Vorschlägen, wie man die Menschen in Europa fit für die Ökonomie der Zukunft machen kann. Gleichzeitig räumt er der Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert ein. Von der Idee überzeugt zeigte sich Valentina Daiber: „Wir sehen bei allen furchtbaren Wirkungen der Pandemie eine Chance auf einen Neustart in eine Zukunft, die digitaler, nachhaltiger und sozial akzeptiert ist.“
Regionen, Nationalstaaten und EU haben ihre Rolle
Die Arbeit der Bundesregierung in der Krise bewertete Valentina Daiber weitgehend positiv. „Auf Corona bezogen hat die Bundesregierung einen sehr guten Job gemacht“. Sie habe in den vergangenen Monaten, wie die auch EU, den Stellenwert der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft erkannt, was sich in den Konjunkturprogrammen widerspiegle, sagte Daiber. Es gebe also genügend Pläne, fuhr sie fort, „was ich derzeit jedoch ebenfalls noch sehe, ist ein Umsetzungsproblem“. Es gelte jetzt aber auf den krisenbedingten „Digitalisierungsruck“ aufzubauen, den flächendeckenden Infrastrukturausbau in den Fokus zu nehmen und gleichzeitig darüber nachzudenken, wie ein besserer Regulierungsrahmen aussehen könnte.
Was den weiteren Weg durch die Pandemie betrifft, waren alle Diskutantinnen der Meinung, dass Gesundheitsschutz und Wirtschaft zusammengehen müssen und dies auch können. Dafür brauchen wir aber „maßgeschneiderte Lösungen und sollten nicht alles über einen Kamm scheren“, unterstrich Viola Bronsema. Ansonsten bestehe nämlich die Gefahr, dass die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit die Gesellschaft spalten. Eugénia da Conceição-Heldt fügte noch eine weitere Dimension hinzu: „Wir brauchen Wirtschaft und Gesundheit, genauso wie wir Europa und den Nationalstaat brauchen“. Jede Ebene, von den Kommunen über die Länder und den Bund bis hin zur EU, habe ihre Rolle zu spielen. „Die Europäische Union kann nur als föderales Gebilde erfolgreich sein“.
Einig waren sich die drei auch darin, dass sie sich trotz der digitalen Möglichkeiten der Kommunikation auf den Zeitpunkt freuen, an dem wieder mehr direkte Kontakte im Berufs- und Privatleben möglich sind. „Der zwischenmenschliche Austausch über die Ländergrenzen hinweg ist schließlich das Besondere an Europa“, schloss Valentina Daiber.