Ein Jahr Lobbyregister: Interview mit Julia Spitze (de’ge’pol)

Foto: Julia Spitze
Foto: Julia Spitze
Veröffentlicht am 14.02.2023

Lange wurde in der Bundespolitik um die Einführung eines Lobbyregisters gerungen, das die Einflussnahme von Interessenvertretungen auf den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess nachvollziehbar machen soll. Seit Anfang 2022 ist das digital einsehbare Register nun Realität. Mit Julia Spitze – Co-Vorsitzende der deutschen Gesellschaft für Politikberatung de’ge’pol und Co-Gründerin der im Bereich Public Policy, Krisenkommunikation und Datenanalysen aktiven Bernstein Group – haben wir über eine Zwischenbilanz, die Vorteile der digitalen Datenbank und eine mögliche Weiterentwicklung des Registers gesprochen.

Frau Spitze, vor einem Jahr wurde das Lobbyregister in Deutschland eingeführt und seither haben sich mehr als 5.500 Lobbyakteure dort digital eingetragen. Was hat das Register bisher gebracht? Hat es zu mehr Transparenz im Bereich der Interessenvertretung geführt?

Aus meiner Sicht ist das Lobbyregister – bei aller berechtigten Kritik zu Einzelheiten – ein Erfolgsmodell. Erstmals zeigt es für jede und jeden einsehbar die Vielfalt der Interessen in unserer Demokratie. Es macht deutlich, dass Interessenvertretung nicht nur durch bekannte Wirtschaftsverbände wie den BDI geprägt ist, sondern zum Beispiel auch der Bundesverband Biometriebildaufnahme in Kommunen – BioKom e.V. Lobbying betreibt. Auch für Menschen außerhalb der Berliner Blase ist es interessant zu sehen, welche Interessen sich organisiert haben. Das Register macht transparent, wer für wen spricht und wie viele Ressourcen jeweils zur Verfügung stehen.

Wie blickt die Branche der professionellen Interessenvertretung mittlerweile auf das Lobbyregister?

Ein Vertreter der Bundestagsverwaltung hat einmal gesagt: „Das Lobbyregister ist nicht die Gelben Seiten von Berlin.“ Aber, genau das ist es auch. Denn es schafft auf der Seite der professionellen Interessenvertretung mehr Transparenz. Bei jeder Pitch-Anfrage wird als erstes ein Blick ins Lobbyregister geworfen und geschaut, wer momentan für das entsprechende Unternehmen arbeitet. Darüber hinaus können sich auch Verbände untereinander vergleichen, etwa hinsichtlich der Anzahl registrierter Lobbyisten, der jährlich aufgewendeten finanziellen Ressourcen oder der Zahl der Mitglieder.

Last but not least macht es auch den Arbeitsmarkt viel transparenter als je zuvor. Das Geschäftsmodell von Headhuntern wird dadurch teilweise herausgefordert, da sich im Register alle Köpfe des Berliner Politikbetriebs finden, die direkt im Austausch mit Ministerien und Bundestag stehen. Damit ist die Suche nach Talenten viel leichter geworden. Diese Nebeneffekte waren sicherlich nicht vom Gesetzgeber intendiert, sind aber auch ein Ergebnis der täglichen Arbeit mit dem Lobbyregister.

Die Branche hat das Lobbyregister immer unterstützt, lediglich an der detaillierten Umsetzung gab es Kritik. So erfordert etwa die Ermittlung der Aufwände in manchen Organisationen eine Halbtagskraft. Und mittlerweile gibt es ja nicht nur auf Bundesebene ein Lobbyregister, sondern auch in einigen Bundesländern, nämlich Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt. Darüber hinaus planen Hessen und weitere Länder die Einführung eigener Register. Dabei beinhaltet jedes Lobbyregister unterschiedliche Vorgaben.

In diesem Zusammenhang würden wir uns eine bundeseinheitliche Regelung wünschen. Diese wäre administrativ einfacher zu handhaben und schafft außerdem mehr Vergleichbarkeit.

Fotos: Pixabay User Peggy_Marco und geralt | Ausschnitt bearbeitet | Montage

Was sind momentan die Vorteile bzw. Folgen der digitalen Datenbank? Gibt es z.B. mehr kritische oder sinnvolle Recherchen zum Thema Lobbyarbeit?

Positiv ist erst einmal, dass das Lobbyregister sehr gut zugänglich und auszuwerten ist – auch für Laien. Daten und Rechercheergebnisse können alle in ein maschinenlesbares Format exportiert werden. Sehr nützlich ist auch, dass die Anpassung von Lobbyregistereinträgen dokumentiert ist.

Die bloße Verfügbarkeit von Daten bedeutet allerdings noch nicht, dass diese auch sinnvoll genutzt werden. Zwar stehen nun sehr viel mehr Daten bereit, deren Interpretation ist jedoch sehr unterschiedlich. Eine tiefergehende Analyse findet selten statt. Die meisten Daten, die herausgezogen werden, sind oberflächlich – nach dem Motto: Wer hat welches Budget oder wie viele Mitarbeiter? Spannender ist jedoch, was es uns über die Strukturen politischer Interessenvertretung verrät.

Am Beispiel der American Chamber of Commerce in Germany (AmCham) sieht man, dass man über das Lobbyregister 134 Mitglieder identifizieren kann – aber nicht nur die. Über die Informationen, die in Mitgliedschaften, Kunden- und Spenderlisten im Register enthalten sind, kann man ein ganzes Netzwerk sehen. Dieser strukturelle Kontext, in dem sich eine Organisation wie die AmCham politisch bewegt, ist hochspannend. Zwar hat sie in diesem Fall selbst keine weiteren Mitgliedschaften, ihre Mitglieder dafür umso mehr.

Es stechen hier insbesondere der Bitkom, der VCI und die Atlantik Brücke hervor. Letzteres mag wenig überraschen, die ersten beiden Akteure zeigen aber durchaus die inhaltlichen Schwerpunkte der AmCham-Mitglieder – und damit vielleicht auch, womit sich die AmCham auseinandersetzen muss.

Wenn wir auf die Berichterstattung zu politischer Interessenvertretung schauen, wird nun zwar häufiger auf das Lobbyregister verwiesen, aber man wird den Eindruck nicht los, dass sich die Standpunkte nicht geändert haben. Man argumentiert gefühlt datenbasiert, die Art und Weise wie von Medien und handelnden Akteuren darüber der Diskurs geführt wird, hat sich aber nicht verändert.

Vielleicht liegt es auch daran, dass es eben bisher keine großflächigen Auswertungen oder Dashboards auf Basis des Lobbyregisters gibt, die diese Daten kontextualisieren. Es gab auch ein wenig die Erwartung, mit dem Lobbyregister ein Werkzeug zu erhalten, mit dem sich angeblich weit verbreitete „Lobbying-Skandale“ durch einfache Datenanalyse aufdecken lassen. Hier hat das Lobbyregister eher zu einer Versachlichung der Diskussion geführt.

Die Ampelkoalition hat bereits letztes Jahr angekündigt, das zugrunde liegende Lobbyregistergesetz zu überarbeiten. In welche Richtung sollte es aus Sicht der Politikberatung weiterentwickelt werden? Ist zum Beispiel eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf die Ebene der Referate in den Bundesministerien sinnvoll?

Foto: CC0 1.0, Pixabay User TPHeinz | Ausschnitt angepasst

Bevor neue Vorschriften erlassen werden, sollte das bestehende Gesetz erst richtig durchgesetzt werden. Hier sehen wir derzeit keinen ausreichenden Vollzugsdruck, ja sogar ein wenig Desinteresse auf Seiten der Adressaten von Interessenvertretung. Es darf keine Ausnahmen geben, weder bei Institutionen noch bei der Angabe finanzieller Aufwendungen: Alle Interessenvertretenden müssen gleichbehandelt werden. Deshalb sollten auch Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände usw. registerpflichtig werden.

In den letzten Monaten haben spendenfinanzierte Organisationen massiv Lobbying für den Erhalt der Ausnahme der Nicht-Nennung von Großspendern gemacht. Bisher ist dies zum Glück ohne Erfolg geblieben. Die Ausnahme für die Nicht-Nennung von Großspendern ist ausgelaufen.

Es muss künftig ganz klar sein, woher die Mittel für politische Interessenvertretung kommen. Sollte es hier Ausnahmen geben, wäre das ein Rückschritt hinsichtlich der angestrebten Transparenz.

Ein anderer Punkt ist der sogenannte exekutive Fußabdruck, der die Entstehung eines Gesetzes mit den wesentlichen Einflüssen von Interessenvertretenden aus der Sicht der Ministerien nachzeichnet. Ein entsprechender Entwurf, wie ihn die Große Koalition im Jahr 2021 beabsichtigt hatte, findet durchaus die Unterstützung der de’ge’pol. Wichtig ist nur, dass sich der bürokratische Aufwand in Grenzen hält und keine falschen Anreize zur Kontaktaufnahme gesetzt werden. Andernfalls würde es einen Wettbewerb der Interessenvertretenden geben, wer als erstes oder am häufigsten im Ministerium war. Das bindet Ressourcen, verbessert aber nicht zwingend den Entscheidungsprozess.

Hinsichtlich der Ausweitung des Fußabdrucks auf die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sieht die de’ge’pol hingegen hohe verfassungsrechtliche Hürden in Bezug auf die Freiheit des Mandats. Die in der öffentlichen Debatte kritisierten Missstände, wie zum Beispiel die sogenannten Maskenskandale, sollten primär durch eine Verschärfung der Bestechlichkeitsregeln und eine stärkere finanzielle Transparenz der Abgeordneten beseitigt werden statt durch das Lobbyregister. Gerade hier liegt der Gedanke nahe, künftig den von der de’ge‘pol bereits vorgeschlagenen unabhängigen Beauftragten für Interessenvertretung einzuführen.

Angesichts dessen, dass der Bundestag fast eine halbe Legislaturperiode benötigt, um seiner Veröffentlichungspflicht von Nebenbezügen und finanziellen Interessen der Abgeordneten nachzukommen, ist mit solchen Änderungen allerdings nicht so schnell zu rechnen.

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