E-Government: Kommt der Durchbruch in der 19. Legislaturperiode?
Es ist das erste Mal, dass E-Government ein Thema im Wahlkampf für eine Bundestagswahl ist. Auffallend dabei ist: Alle Parteien – die AfD ausgenommen – wollen die Digitalisierung der Verwaltung in der nächsten Legislaturperiode voranbringen. Sowohl die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Herausforderer Martin Schulz (SPD) werben aktuell für das Online-Bürgerportal, das den Gang zum Bürgeramt in den nächsten fünf Jahren obsolet machen könnte. Der so genannte Portalverbund soll die Online-Services von Bund, Ländern und Kommunen bündeln. 500 Millionen Euro plant das Innenministerium (BMI) derzeit für das Projekt ein. Immer mehr Studien und Berichte attestieren Deutschland Aufholbedarf. So zum Beispiel der aktuelle Jahresbericht des Normenkontrollrats (NKR), der in Bezug auf die wenig genutzten Chancen der Verwaltungsdigitalisierung von einem „strategischen Versäumnis“ spricht. Die EU-Kommission ist bei der Umsetzung ihres E-Government-Aktionsplans mäßig erfolgreich. Der so genannte „Digital Single Gateway“ (DSG) für ein einmaliges Login soll bald kommen, aber eine echte Harmonisierung sieht anders aus, ergab eine Diskussion des Städte- und Gemeindebunds und der Initiative D21 am 31. August in Berlin. IT-Staatssekretär Klaus Vitt gab dabei auch einen Ausblick auf die nächste Sitzung des IT-Planungsrates von Bund und Ländern, bei der die IT-Architektur des Portalverbunds zur Abstimmung gebracht werden soll.
E-Government-Bilanz der 18. LP
Die „Digitale Verwaltung 2020“ war bereits Teil der Digitalen Agenda der schwarz-roten Bundesregierung in der aktuellen Legislaturperiode. Doch viel zu wenig ist erreicht worden in dieser Zeit, urteilt der Nationale Normenkontrollrat in seinem Jahresbericht vom Juli 2017. Zwar seien mit dem Onlinezugangsgesetz, das 2022 in Kraft treten soll, und der Änderung des Grundgesetzes wichtige formale Voraussetzungen geschaffen worden, in der kommenden Legislaturperiode den Prozess „deutlich schneller und umfassender“ voranzubringen, jedoch bleibe „die bisherige Wirkung“ der Maßnahmen der Bundesregierung „weit hinter den Erwartungen zurück“. Die Fortschritte beim Schriftformabbau oder den neu geschaffenen Online-Zugängen zu Verwaltungsangeboten seien beinahe nichtig, urteilt das beim Kanzleramt angesiedelte Gremium zum Bürokratieabbau:
„Von der Digitalisierung der TOP-100-Verwaltungsleistungen für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen ist Deutschland noch genausoweit entfernt wie zu Beginn der 18. Legislaturperiode.“
Für die 19. Legislaturperiode (LP) schlägt der NKR vor, Ziele klarer zu definieren, Wirkungscontrolling zu intensivieren, aber auch organisatorische Anpassungen vorzunehmen. So soll der Bundes-CIO, derzeit BMI-Staatssekretär Klaus Vitt, in seiner Rolle gestärkt, die föderale IT-Koordinierung FITKO zu einer „leistungsstarten Digitalisierungsagentur“ ausgebaut und der IT-Rat des Bundes sowie der IT-Planungsrat von Bund und Ländern gestärkt werden. Doch neben der Neuausrichtung der bestehenden Strukturen, fehlt es auch an einer zentralen Stelle, die Innovationsakzente setzt, zum Beispiel nach dänischem Vorbild, bemängelt der Normenkontrollrat.
Portalverbund kommt bald
Der Portalverbund, der im Dezember 2016 vom Kabinett beschlossen wurde und dessen Weg durch Gesetzesänderungen, die noch vor der Sommerpause Bundestag und Bundesrat passiert haben, geebnet ist, wird derzeit vom IT-Planungsrat entwickelt. Einige derer, die dort mit am Verhandlungstisch sitzen, gaben bei der Veranstaltung am 31. August in Berlin einen kleinen Einblick in den Stand der Planungen. Ungeachtet des Ausgangs der Bundestagswahl soll bei der 24. Sitzung des Gremiums am 5. Oktober der Entwurf für die IT-Architektur des Online-Portals, den der Bund vorgelegt hat, zur Abstimmung gebracht werden. Zentrale Elemente sind nach Auskunft des Bundes-CIOs Vitt:
- Single-Sign-on für den Bürger
- Intelligente Verknüpfungen zum jeweils richtigen Portal von Kommunen, Ländern und Bund via Gateway
- Vereinheitlichung der Backend-Systeme
Der Normenkontrollrat warnt diesbezüglich in seinem Jahresbericht: „[Es] wird zu beweisen sein, dass der von Bund und Ländern angestrebte Portalverbund nicht einem bloßen ‚Verlinkungsverbund‘ entspricht, sondern in puncto Nutzerfreundlichkeit genauso leistungsstark sein wird wie ein Serviceportal aus einem Guss. Das Konzept eines Portalverbundes sollte frühzeitig einem Praxistest unterzogen werden.“ Einen solchen Test plant das BMI bereits – vorerst nur für das Portal des Bundes – allerdings gibt es noch kein Startdatum. Bei der Verlinkung sei das deutsche Portal gut aufgestellt, befand der CIO des Bundes, Klaus Vitt, bei der D21-Veranstaltung. Dem pflichtete auch der Leiter des Bereichs IKT-Strategie des Bundes im österreichischen Kanzleramt, Roland Ledinger, bei. Der Multi-Level-Access zeichne den deutschen Portalverbund aus. Vitt sieht allerdings für die nächste Legislaturperiode großen Handlungsbedarf bei der Zentralisierung und Modernisierung von Registern und Datenbanken in Deutschland. Dem Thema der Registermodernisierung widmet sich auch ein Gutachten des Normenkontrollrats, das derzeit final abgestimmt wird und schätzungsweise Anfang Oktober erscheinen soll.
Der Erfolg des Portalverbunds, soweit waren sich die Vertreter von Bund, dem Land Berlin und der EU einig, hängt vor allem auch von der Einbindung der Kommunen ab, für die die Länder formell die Verantwortung tragen.
Digital Single Gateway
Auf EU-Ebene gestaltet sich der Fortschritt beim E-Government schwierig, auch wenn die Europäische Kommission in ihrem „EU-eGovernment-Aktionsplan 2016-2020“ klare Prioritäten und Zielsetzungen festgelegt hat. Durch so genannte „delegated“ und „implemented acts“ – also Verordnungen – hat die Kommission die Ermächtigung, technische Standards zu erlassen. Der aktuelle Verordnungsentwurf für den „Digital Single Gateway“ (DSG) für Verwaltungsleistungen in der Union, der so etwas wie einen unionsweiten Portalverbund darstellt, enthält konkrete Anforderungen an beispielsweise Mehrsprachigkeit der verknüpften Angebote, damit die Dienstleistungen grenzüberschreitend genutzt werden können. Die Auffindbarkeit ist aber gar nicht das Problem, findet der IKT-Stratege aus Österreich. „Die Frage ist nicht, haben wir genug Verfahren online. Das eigentliche Problem ist, dass die Regelungen in der Union so unterschiedlich sind, zum Beispiel bei der Unternehmensgründung“, erklärt Ledinger. Zur Unternehmensgründung brauche man in Tirol im Vergleich zu Südtirol ganz andere Nachweise, das sei das eigentliche Hindernis für einen echten Binnenmarkt, nicht der Single Gateway, so der Vertreter des österreichischen Bundeskanzleramts. Von der technischen Verknüpfung erwarte man sich aber auch, dass es auch bei den Verfahrensabläufen Anpassungen gibt, versprach Sabine Verheyen (CDU/EVP), Berichterstatterin im Europäischen Parlament für die E-Government-Reform.
Von Abstimmung zwischen dem nationalen und europäischen Prozess scheint aber noch keine Rede zu sein. Schwierig genug ist schon die Abstimmung zwischen Bund und Ländern. „Derzeit orientieren wir uns an der Bundesebene“, sagte Berlins IT-Staatssekretärin und Mitglied des IT-Planungsrats, Sabine Smentek. Etwas Anderes sei technisch derzeit noch nicht nötig, erklärte Roland Ledinger. Die EU-Kommission gebe mit ihrem „Digital Single Gateway“ noch keine einheitliche IT-Architektur vor. Zumindest steht das DSG aber schon mal auf der Agenda der nächsten Sitzung des IT-Planungsrats im Oktober, bestätigte Vitt. Die Abstimmung wollen alle Ebenen nun intensivieren.
Zukunft der Verwaltung
Doch geht die Diskussion um zentrale Register und die digitale Ausführung von analogen Verwaltungsakten nicht an den realen technischen Möglichkeiten der Digitalisierung vorbei? Diese Frage wurde bei der Veranstaltung in Berlin ebenso diskutiert. Mit etwas Fantasie ist nämlich eine Verwaltung vorstellbar, die den Bürger bei Bedarf anspricht, statt umgekehrt. Mit u.a. Künstlicher Intelligenz und Big Data ließe sich analysieren, wo jemandem Leistungen welcher Art zustehen und wo der Staat nachjustieren muss. In Österreich müssen Eltern kein Kindergeld mehr beantragen, sondern bekommen es automatisch – allein auf Basis der Geburtsurkunde. Man habe festgestellt, dass die Zahl derer, die kein Kindergeld beantragen, ohnehin schwindend gering ist und sich entschlossen, das System umzukrempeln. Das sei wirklich „kein Hexenwerk“, erklärte Klaus Vitt, der bereits zu Anfang dieser Legislaturperiode einen Versuch unternommen hatte, dies auch in Deutschland zu ermöglichen. Er sei jedoch gescheitert. Inzwischen hat sich die Bundesregierung im Ersten Nationalen Aktionsplan für das Open Government Partnership (OGP) für die Jahre 2017-2019 dazu verpflichtet, das Stellen von Anträgen für „familienbezogene Leistungen“ wie Elterngeld in einem zentralen Portal elektronisch möglich zu machen, von automatisch ist jedoch noch keine Rede.
Der Aktionsplan der EU-Kommission sehe die vielen Potentiale bei der digitalen Verwaltung, bekräftigte die Vertreterin des EU-Parlaments bei der D21-Veranstaltung zu Portalverbund, DSG & Co. – nur in den nächsten zwei Amtsjahren der Juncker-Kommission wird auf EU-Ebene nicht mehr möglich sein als der Action Plan vorsieht, so Verheyen. Eins ist den Beteiligten jedenfalls klar: Wenn Behörden mehr Zugriff auf Daten der Bürger haben und diese mit anderen Methoden verarbeiten, braucht es auch dringend Anpassungen des Datenschutzrechts.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Lina Rusch schreibt über Netzpolitik und beobachtet die Landespolitik.