Digitalpolitischer Jahresausblick: Die Pläne und Vorhaben für 2023
2023 erwartet die Bundesrepublik nicht nur vier Landtagswahlen und die (teilweise) Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin. Die nächsten zwölf Monate könnten auch ein Schlüsseljahr für die deutsche und europäische Digitalpolitik werden. Welche Änderungen und Vorhaben stehen an?
Im Bundestag tut sich etwas. Wenn auch (noch) nicht in Sachen Wahlreform, so doch in der Digitalisierung des politischen Betriebs im Herzen Berlins. Insbesondere die Kommunikation nach außen, also mit der bundesrepublikanischen Bevölkerung sieht einige Änderungen vor.
Bundestag und Regierung: Dreimal Digitalisierung für mehr Transparenz
So werden Gesetze seit dem 1. Januar 2023 ausschließlich digital veröffentlicht. Das elektronische Bundesgesetzblatt ersetzt die papiergebundenen Ausgaben, schont so nicht nur die Umwelt, sondern erleichtert auch den Zugang für Bürger:innen.
Eine weitere digitale Wende vollzieht das Parlament mit neuen Regelungen für Liveübertragungen. Ab sofort werden eine Vielzahl von Ausschusssitzungen online live zu sehen sein, die bisher nur angemeldeten Besucher:innen oder Journalist:innen zugänglich waren. Ziel ist auch dabei, die Transparenz bei politischen Entscheidungsprozessen zu stärken. Denn die meisten Gesetze sind oft schon abgestimmt, über Feinheiten, Zustimmung oder Ablehnungen bereits entschieden, wenn sie in das Plenum getragen werden. Neben Fraktions- oder Kabinettssitzungen sowie Diskussionen innerhalb der Parteien geschieht diese Arbeit vor allem in den Ausschüssen.
Monitoring der Regierungsarbeit
Und auch die Ampel versucht, digitale Transparenz zunehmend walten zu lassen. Mit dem sogenannten Regierungsmonitor zeichnet sie ihre Fortschritte innerhalb von sieben Kapiteln von „Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen” bis „Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen” auf. Jedes Projekt der Koalition wird in einem Drei-Stufen-System bewertet.
Während zum Beispiel das Ziel „Dynamisierung Zukunftsvertrag” mit drei Balken als „abgeschlossen” markiert wurde, zeigt sich das Vorhaben „Beschleunigung der Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich” noch – mit einem Balken – als „in Vorbereitung”. (Wem dieser Monitor zu parteiisch wirkt, kann übrigens auch auf den kritischeren Koalitionstracker von FragDenStaat zurückgreifen. Hier wird der Fortschritt von 268 Vorhaben der Regierung beobachtet.)
Digitalpolitische Gesetzgebung und Projekte in Deutschland
Gesetzgeberisch könnte 2023 ein Schlüsseljahr für eine digitalpolitische Wende werden. Nicht zuletzt wird es als Zieljahr für einige Vorhaben in der Digitalstrategie der Ampelkoalition festgelegt. In diesem Rahmen könnte eine ganze Reihe von Vorhaben ressortübergreifend realisiert werden. Eine Auswahl:
- Gesundheit: Die elektronische Patientenakte soll durch freiwillige Datenspenden einen Informationsbooster erhalten.
- Verkehr: Der Rechtsrahmen für autonomes Fahren soll wissenschaftlich evaluiert werden.
- Kultur: Mit dem Projekt „Datenraum Kultur” soll ein Kompetenzzentrum für digitale Kultur geschaffen werden, das Kultur-Akteure berät, vernetzt und qualifiziert.
- Digitales: Ein Förderprogramm zur Stärkung der Nachrichtenkompetenz soll die Digitalkompetenz in der Gesellschaft, die Erkennung von Qualitätsmedien, und die Bekämpfung von Desinformation im Internet fördern.
- Umwelt: Es soll ein Onlineportal für einen zentralen Zugang zu deutschlandweit verfügbaren Umweltdaten und Informationen zur Stärkung der Transparenz zum Zustand der Umwelt gelauncht werden.
- Vorratsdatenspeicherung: Zu erwarten ist auch, dass die Bundesregierung einen neuen Anlauf bei der Regulierung der Vorratsdatenspeicherung wagt, nachdem die bisherige Regelung im Herbst 2022 vom Europäischen Gerichtshof gekippt wurde.
Auch im Bereich der Digitalen Verwaltung ist mit weiteren Fortschritten zu rechnen. Auch wenn bei weitem noch nicht alle Verwaltungsleistungen im Rahmen des OZG-Ansatzes digitalisierziert wurden, werden neue Anwendungen zunehmend verfügbar: So werden beispielsweise heiratende oder verheiratete Paare werden davon profitieren können. Denn Standesämter sind seit dem 1. Januar im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes verpflichtet, weitere Dienstleistungen digital anzubieten und auch ihre inneren Prozesse zu digitalisieren. So müssen heiratswillige Paare künftig keine Geburtsurkunden mehr nachweisen, weil die Ämter ihren Datenaustausch automatisieren. Und weitere Nachweise können Bürger:innen künftig über ein sicheres Nutzerkonto digital anstatt postalisch übermitteln. Eltern wiederum können sich den Gang zum Standesamt nach der Geburt ihres Kindes sparen: Auch Geburtsanzeigen können nun rein digital erfolgen.
Start des Dateninstituts und Digitalchecks
Weiter entfernt vom Alltag der Bundesbürger und doch wichtig dafür, dass wirtschaftliche Prozesse besser funktionieren, dass die Wissenschaft besser arbeiten und informieren sowie mit der Politik interagieren kann: Ein Dateninstitut soll künftig die Datenverfügbarkeit und -standardisierung vorantreiben. Im Dezember veröffentlichte die Gründungs-Expertenkommission ihren ersten Bericht: Bis zum Sommer 2023 kann das Institut seine Arbeit aufnehmen.
Ein zentrales digitalpolitisches Versprechen der Ampelkoalition war außerdem die Einführung eines Digitalchecks. Damit sollen relevante zu beschließende Gesetz nunmehr verpflichtend auf ihre digitale Praxistauglichkeit getestet werden. Dabei sollen nicht nur die Bundesministerien, sondern auch Länder und Expert:innen zusammenarbeiten, um beispielsweise zu verhindern, dass neue Gesetzgebung digitalisierungsbremsend wirken könnte. Noch im Dezember bestätigte die Bundesregierung, dass „intensiv an der konkreten Ausgestaltung des Digitalchecks” gearbeitet werde. Es wird mit einer Einführung noch in der ersten Jahreshälfte 2023 gerechnet.
Streitthema Chatkontrolle
Während die Koalition in einigen digitalpolitischen Projekten also erste Erfolge vorweisen kann, bleiben wichtige Grundsatzdebatten noch ungeklärt. So wird der Streit um die geplante EU-Regulierung zur Chatkontrolle wohl noch weitergehen, da keine Einigung in Sicht ist. Bundesinnenministerin Faeser verfasste noch im Dezember ein Positionspapier, in dem sie sich für eine anlasslose Überwachung von Chatnachrichten aussprach: Ein Reizthema vor allem für den liberalen Koalitionspartner.
Nach einem teils öffentlich ausgetragenen Koalitionsstreit und sogar Kritik aus der eigenen SPD-Fraktion räumte Faeser ihre Position. Doch ausgerechnet ihr Ministerium muss nun das deutsche Veto gegen den EU-Vorschlag durchsetzen. Dabei kann sie das gesamte Vorhaben torpedieren – oder minimale Änderungen verlangen, um den im Koalitionsvertrag vereinbarten Positionen nur ansatzweise Genüge zu tun. Ein weiterer heftiger Streit der Regierungsparteien wäre dann vorprogrammiert.
Große EU-Vorhaben
Im Rahmen von „Europas digitaler Dekade” machen die EU-Institutionen bereits seit Jahren Druck für einen umfassenden Digitalisierungsschub des Kontinents bis 2030. Auch im neuen Jahr soll es hier vorangehen. Zunächst plant die EU, 2023 eine ganze Reihe laufender Gesetzgebungsverfahren abzuschließen: So soll der Data Act einen fairen Zugang zu Daten garantieren und bestehende Regelungen harmonisieren. Der AI Act soll weltweit die erste systematische Regulierung von Künstlicher Intelligenz schaffen. Mit dem Cyber Resilience Act will die EU wiederum das Risiko für Verbraucher:innen reduzieren, durch gekaufte Produkte gehackt zu werden.
Seit Jahren diskutiert vor allem die EU-Kommission, den Digitalen Euro einzuführen – eine Art institutioneller Kryptowährung, die insbesondere für mehr Sicherheit im Zahlungsverkehr sorgen und das digitale Bezahlen für EU-Bürger:innen vereinfachen soll. Im Arbeitsprogramm der Kommission für 2023 steht nun, dass sie einen konkreten legislativen Vorschlag für die Einführung der Digitalwährung erarbeiten wird. Die Digitalisierung des Euros wird damit in diesem Jahr sicherlich ein relevantes digitalpolitisches Thema.
Ähnlich wie in der Bundesrepublik steht auch auf EU-Ebene zudem eine digitale Reform des Gesundheitswesens an. Getrieben durch Erkenntnisse aus den Jahren der Pandemie will die EU digitale Gesundheitsdaten künftig auf zwei Arten nutzen: Erstens sollen Patient:innen leichteren Zugriff auf ihre eigenen Daten und Aufzeichnungen über ihre Krankheitsgeschichte haben. Damit sollen auch Rezepte leichter digital abgerufen werden können. Zweitens sollen diese Daten auch statistisch ausgewertet werden – zur Forschungsförderung und Steuerung der Politik.
Brennpunkt Twitter
Doch beginnt das Jahr für die EU wohl mit einem besonders viralen Thema: Twitter. Die Einführung des Digital Services Act 2022 verpflichtet Soziale Medien unter anderem zu transparenten Nutzerrichtlinien und einer systematischen Moderation von Inhalten. Die EU, insbesondere in Gestalt ihres Binnenmarktkommissars Thierry Breton, ist nach den Eskapaden des neuen Twitterchefs Elon Musk und Berichten über häufigeren Hass auf der Plattform alarmiert. Nun soll ein Stresstest ergeben, ob Twitter den EU-Gesetzen standhält. Breton kündigte bereits an, dass „enorme Arbeit“ auf Musk zukäme. Im schlimmsten Fall drohen Millionenstrafen oder sogar die Sperrung der Plattform innerhalb der Europäischen Union.
Die wahrscheinlich anstehende Auseinandersetzung zwischen der EU und Elon Musk könnte ein wegweisendes Jahr für digitalpolitische Themen einläuten. Sowohl die Bundesregierung als auch die EU haben sich viel vorgenommen. Sollten alle geplanten Vorhaben tatsächlich umgesetzt werden, könnte 2023 als Schlüsseljahr in die digitalpolitischen Geschichtsbücher eingehen.
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