Digitalisierung nach Corona: „Ich bin sicher, das war der Wake-up Call“
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Die deutsche Wirtschaft ist durch die Coronakrise stark getroffen. Die Bundesregierung hat deshalb ein 130 Milliarden Euro umfassendes Konjunkturpaket beschlossen, von denen 50 Milliarden in Zukunftsinvestitionen fließen sollen. Vor diesem Hintergrund diskutierten Markus Rolle, CFO von Telefónica Deutschland, und Dr. Holger Schmidt, Digital Economist und Dozent an der TU Darmstadt, am vergangenen Dienstag bei BASECAMP ON AIR über den Stand und die Chancen der Digitalisierung in Deutschland. Die Ausgangsfrage der beiden lautete: Ist die aktuelle Krise der „Wake-up Call“ für Deutschland?
„Unsere digitalen Tools funktionieren“
Markus Rolle gab darauf eine klare Antwort: „Ich bin sicher, das war der Wake-up Call„. In vielen Unternehmen habe man jetzt gemerkt, dass die digitalen Werkzeuge funktionieren und das einmal Gelernte gelte es nun mitzunehmen. Auch Telefónica Deutschland habe die Erfahrung gemacht, dass die schnelle Umstellung auf das Home-Office gut gelaufen ist. Besonders stolz sei er aber auf zwei Dinge: „Dass wir in der Lage waren, unseren Quartalsabschluss komplett digital von zuhause zu erstellen“ und „unsere Hauptversammlung innerhalb von sechs Wochen auf ein digitales Format umzustellen“. Rolle schlussfolgerte: „Corona gibt der Digitalisierung einen großen Schub. Was gestern schwierig schien, geht heute plötzlich doch.“
Auch aus Sicht von Holger Schmidt hat die Umstellung auf das Home-Office in weiten Teilen gut funktioniert und Deutschland sei bei dem Thema insgesamt „vorangekommen“. Gleichzeitig habe man aber auch sehen können, „dass wir in einigen Bereichen noch nicht so weit sind“. In dem Zusammenhang verwies Schmidt auf das digitale Lernen und Lehren, die Verwaltung sowie die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Sodann warf er die Frage auf, inwieweit die jetzige Krise auch zu einem Digitalisierungsschub in der Industrie führen kann. Er könne sich auch vorstellen, dass anstatt zu investieren, jetzt an vielen Stellen gespart werden müsse.
„Einige Unternehmen investieren jetzt sogar mehr“
Hier müsse man zwischen den verschiedenen Industriezweigen differenzieren, betonte Rolle. „Es gibt natürlich Industrien, wo das Geschäftsmodell komplett weggebrochen ist“. Beispielhaft nannte er die Reisebranche und Teile des produzierenden Gewerbes. „Da ist natürlich die erste Maxime, Kosten einzusparen“, so Rolle. Gleichzeitig gebe es aber Wirtschaftszweige, die in der aktuellen Situation sogar profitieren. Nämlich diejenigen, die über ihr Geschäftsmodell das vernetzte Leben und Arbeiten ermöglichen. Und diese Unternehmen, unterstrich Rolle, „investieren tendenziell sogar mehr“. Diesen Weg sei Telefónica Deutschland auch schon vor der Krise gegangen – mit Investitionen in das Netz. „So können auch wir als Enabler für weitere Zukunftstechnologien fungieren“, erklärte Rolle.
„Wir sehen aber auch, dass hier ein Ruck durch die Unternehmen geht“. Das Interesse aus der Wirtschaft an der mit 5G ausgestatteten Factory 56 von Telefónica und Mercedes Benz Cars nehme zu, sagte Rolle. Insbesondere aus den DAX-Konzernen kämen vermehrt Anfragen zu dieser ersten vollautomatisierten Fabrik eines deutschen Automobilbauers. Der Wille, in Automatisierung zu investieren, sei also da und aus seiner Sicht auch die Bereitschaft, dies in Deutschland zu tun, betonte Rolle. „Automatisierung ist natürlich auch ein wichtiges Thema, um konkurrenzfähig zu bleiben“, ergänzte Schmidt. In Bezug auf die Arbeitsplätze erklärte er, zeige die Vergangenheit, dass Automatisierung mittel- bis langfristig eher mehr Jobs schaffe – wenn auch oftmals an anderer Stelle und mit anderen Anforderungen an die Qualifikation.
„Das Geld ist da, jetzt müssen wir es sinnvoll nutzen“
Ein weiteres Thema, das Markus Rolle und Holger Schmidt diskutierten, war das Konjunkturpaket der Bundesregierung. Dieses ist aus Sicht von Rolle „ein guter erster Schritt in die richtige Richtung“. Viel wichtiger sei nun aber, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, „dass das Geld auch sinnvoll genutzt wird“. In den Unternehmen gelte es jetzt, die richtigen Dinge zu fördern, die Mitarbeiter weiterzubilden und neue Jobprofile zu entwickeln. Telefónica Deutschland begrüße auf jeden Fall, dass die Bundesregierung 5G in ihrem Paket klar als Zukunftsthema behandelt – denn darauf können weitere digitale Dienste aufgebaut werden. Die Frage beim 5G-Aufbau laute jetzt allerdings, wie sich der Staat die Aufgabenteilung zwischen sich und den Telekommunikationsunternehmen vorstellt.
Für Schmidt stellt sich in Deutschland daneben die Aufgabe, „verschärft über digitale Geschäftsmodelle nachzudenken“. Bisher sei die Plattformökonomie in Europa im internationalen Vergleich unterentwickelt und die Industrieunternehmen in Deutschland zu zurückhaltend, was die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle anbelangt. Was sicherlich auch daran liege, dass bisherige Modelle gut funktioniert haben und man diese daher nicht schnell über Bord wirft. Auch an dieser Stelle sieht Markus Rolle, dass die „Not zur Tugend gemacht wird“ und viele Unternehmen aktiv werden. Gerade kleinere Unternehmen hätten in der Zeit des Lockdowns ihren Kontakt zu den Kunden schnell digitalisiert und dabei auf cloudbasierte Dienste gesetzt. Aber das seien in der Tat hauptsächlich Dienste aus den USA.
„Wir liegen da als Deutschland noch zurück“, gestand Rolle ein. Aber, so erklärte er weiter, „unsere Chance könnte tatsächlich in dem liegen, wo wir ohnehin schon stark sind – nämlich in der Industrie“. Grundsätzlich sei „5G der Schlüssel, mit dem wir die Tür zur vierten industriellen Revolution öffnen“. Deshalb müssten Deutschland und seine großen Unternehmen jetzt den Mut haben, verstärkt in die Digitalisierung und digitale Geschäftsmodelle zu investieren. Vielversprechend sei beispielsweise die industrielle Cloud von Siemens, „die zum Nukleus eines Plattformmodells für die Industrie werden könnte“. Hier fordert Rolle alle Beteiligten auf, „groß zu denken“ und die „Krise als Katalysator“ zu nutzen. Es gelte, die Stärke der Industrie und des Mittelstandes zu nutzen und Plattformthemen gemeinsam voranzubringen. So könne der Standort Deutschland für die nächsten Jahre gesichert und der Rückstand auf andere Länder aufgeholt werden.
„Innovationskraft der Start-ups nutzen, aber richtig“
Holger Schmidt hob in Bezug auf die digitalen Geschäftsmodelle das Potenzial der Künstlichen Intelligenz (KI) hervor. Insbesondere in der Industrie habe Deutschland die Daten, über KI „datengetriebene Services zu Produkten wie Maschinen anzubieten“. Diese könnten helfen, deren Verschleiß oder den Energieverbrauch zu verringern. Aus Sicht von Markus Rolle lassen viele Unternehmen noch aus Angst die Finger vom Thema KI. Sein Appell lautete daher: „Einfach mal machen und starten“. Das sei auch der Weg von Telefónica gewesen. Im ersten Projekt habe das Unternehmen KI genutzt, um die Leistung von Basisstationen im Netzbereich zu optimieren. Aus diesen ersten Erfahrungen, erklärte Rolle, ergaben sich dann wieder neue Anwendungsfälle und gleichzeitig nähmen sie die Angst vor der Technologie.
Neben KI thematisierten Schmidt und Rolle auch den Beitrag von Start-ups zur Innovation in größeren Unternehmen. Rolle erklärte, dass Telefónica gelernt habe, weniger nach Start-ups zu suchen, die schnell skalieren können, um sie dann teuer zu verkaufen, als nach jungen Unternehmen, die praktische Lösungen für konkrete Probleme im Konzern anbieten. „Das ist dann eine echte Win-Win-Situation“, betonte Rolle. Denn Telefónica bekomme Hilfe und das Start-up gewinne seinen ersten großen Kunden. Vor diesem Hintergrund lobte Rolle auch das zwei Milliarden Euro umfassende Programm der Bundesregierung zur Stützung von Start-ups – dies helfe diesen bei der Überbrückung. Daneben seien die deutschen Unternehmen gefragt, „die Produkte und Services der Start-ups in ihr Kerngeschäft mit zu integrieren“, um deren Skalierung zu ermöglichen. Holger Schmidt betonte, dass ein Einbruch der Start-up-Szene wie zu Zeiten der New Economy verhindert werden müsse, denn das wäre „fatal für die Innovationskraft Deutschlands und Europas“.
„Klimaschutz ist das nächste große Megathema“
Auch der Klimaschutz wurde zum Abschluss der Diskussion zum Thema: Holger Schmidt und Markus Rolle sprachen darüber, wo deutsche Unternehmen den Klimaschutz vor dem Hintergrund der Corona-Krise auf ihrer Agenda verorten. „Das ist das nächste große Megathema“, war seine klare Antwort und es werde auch nicht von Corona verdeckt. Er glaube vielmehr, dass die Krise das Thema noch stärker in den Unternehmen verankern werde. Denn diese sähen, dass lange Lieferketten nicht grundsätzlich von Vorteil seien und dass die Politik auf nachhaltige Technologien setzt. Nachhaltigkeit werde aber vor allem von Investoren immer stärker nachgefragt. „Wir können auf dem Weg aus der Krise also die richtigen Weichen für Klima und Umwelt stellen. Es macht mir Mut, dass die Bundesregierung das auch so sieht“, unterstrich Rolle. Im Kleinen habe die Krise ja schon gezeigt, dass es auch mit weniger Dienstreisen funktioniert und digitale Werkzeuge helfen, effizienter, sparsamer und nachhaltiger zu handeln.