Digitalisierung: Kommt der Gerichtssal 4.0?

Veröffentlicht am 10.07.2017

Roboter-Anwälte und Strafmaßalgorithmen – auch in der Justiz sind Chancen und Herausforderungen neuer digitaler Technologien ein Thema. Arbeitsfelder und -prozesse ändern sich, neue Rechtsfragen entstehen und neue Rechtsbeistandsmodelle erobern das Internet. Wie verändert die Digitalisierung die Juristerei?

Elektronische Gerichtsakte

Die Digitalisierung der Verwaltung betrifft auch die Gerichte: IT-Lösungen übernehmen Arbeitsprozesse, Kommunikation ist elektronisch, Verfahren digitalisiert und Informationen stehen online zur Verfügung. 2013 beschloss der Bundestag das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und auch in der Justiz zieht die elektronische Gerichtsakte ein.Ende Mai beschloss der Bundestag, die elektronische Akte in Strafprozessen ab 2018 möglich und ab 2026 verpflichtend zu machen.

Mitte Mai legte das Bundesjustizministerium (BMJV) außerdem den Gesetzesentwurf einer Elektronischen-Rechtsverkehr-Verordnung (ERV) vor, worin die technischen Rahmenbedingungen der elektronischen Kommunikation in der Justiz sowie das „besondere elektronische Anwaltspostfach”(beA) geregelt wird. Über beA bekommt jeder Anwalt Zugang und wird gleichzeitig zertifiziert, was Unterschriften oder Siegel obsolet machen sollen. Das digitale Postfach ist bei der Opposition umstritten, die unter anderem IT-Sicherheitsmängel und damit Gefährdung des Datenschutzes beklagt. Vergangene Woche beschloss der Bundestag ein weiteres Gesetz, das den Gerichtsaal modernisieren soll – und auch für Barrierefreiheit sorgt: Er kippte das Übertragungsverbot im Gerichtssaal von 1964. Nun dürfen wichtige Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte live im Fernsehen, Radio oder online übertragen werden.

IT-Juristen

Nicht nur Arbeitsprozesse und Kommunikation ändern sich in der Justiz, mit der Digitalisierung entstehen auch hier neue Arbeitsfelder. Gefragt sind IT-Juristen, die sich mit innovativen digitalen Geschäftsmodellen auskennen und sich neuen Rechtsfragen stellen, beispielsweise zum automatisierten Fahren. Themen wie IT-Security, Datenschutz oder E-Commerce gewinnen an Bedeutung. Und auch in der Ermittlung und Beweisführung gehört die Auswertung von Datenspuren und die Nutzung von IT dazu. Die Forderung nach Nachwuchs kommt langsam in den juristischen Fakultäten der Universitäten an, immer mehr führen IT-Recht im Curriculum ein.

Legal Tech

Neue Themenfelder und Verwaltungsprozesse in der Justiz sind das eine, Legal Tech das andere. Es ist der Insider-Hype in der Start-up-Welt. Bisher wenig in den Medien beachtet, wächst die Branche und hat eine Vielfalt von Start-ups hervorgebracht. Diese vermitteln beispielsweise Anwälte über Plattformen oder bieten Tools zur Aktenpflege oder Zahlungsabwicklung mit Mandanten an. Sehr beliebt sind Angebote, bei denen die User selbst online individuell angepasste Verträge oder Rechtsdokumente erstellen kann. Start-ups wie Flightright oder MyRight revolutionieren außerdem den Zugang zu rechtlichem Beistand. Sie bieten ihre Dienste zunächst kostenlos an und behalten nur im Erfolgsfall einen Teil der erstrittenen Summe. Flightright hilft bei Klagen gegen Fluggesellschaften, wenn zum Beispiel der Flug durch die Airline verschoben wurde. MyRight vereint unter anderem Kläger gegen VW, um im Abgasskandal auch Entschädigungen für deutsche Kunden zu erstreiten.

Mit der Automatisierung von Verfahren, die standardisierbar sind – also Sammelklagen oder Bereiche wie Fluggastrechte, die nach gleichen Verfahren ablaufen – übernimmt der Roboter vieles, was vorher Anwälte machten. Auch in diesem Arbeitsbereich ist die Idee, dass Anwälte dann mehr Zeit für schwierige Fälle und persönliche Interaktion haben. Bei Algorithmen, die beispielsweise das Strafmaß errechnen sollen, wie es in Großbritannien erprobt wurde, spielen ethische Fragen eine Rolle. Außerdem gelten –ähnlich wie bei der FinTech Branche – strengere Regulierungen für Start-ups in der Justiz, im Gegensatz zu Bereichen wie Unterhaltung oder E-Commerce.

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