Digitalisierung ist Chance für gute Arbeit
Es gibt eine Chance, gute Arbeit für möglichst viele Menschen zu organisieren. Mit diesem optimistischen Urteil startet Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB, in den UdL Digital Talk im BASE_camp von Telefónica Deutschland. Im Gespräch mit Holger Weiss, CEO bei aupeo – einem Anbieter für Streaminglösungen im Fahrzeugbereich – , ging es moderiert von Cherno Jobatey am Mittwoch, 10. Juni 2015, um die Frage „Digitalisierung in der Arbeitswelt – Wie arbeiten wir morgen?“
Viele Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt seien noch nicht absehbar, stellte Hoffmann gleich zu Beginn des Talks fest. Derzeit schauen die Gewerkschaften deshalb genau, wie sich Berufe verändern und welche Arbeitsplätze entstehen. Um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden, will der DGB neue Leitplanken entwickeln und setzt dabei auf bewährte Themen wie Arbeits- und Gesundheitsschutz.
Begrenzter Handlungsspielraum in entgrenzter Arbeitswelt
Weiss machte dagegen schnell klar, dass er den Handlungsspielraum von Gewerkschaften in einer durch die Digitalisierung entgrenzten Arbeitswelt für eingeschränkt hält. Provokant stellt er die Frage, welche Regulierungsmöglichkeiten deutsche Gewerkschaften haben, wenn die Mitarbeiter über Länder und Kontinente zusammenarbeiten. Die Vorteile dieses flexiblen Arbeitsrahmens liegen für den IT-Unternehmer auf der Hand – wenn Weiss mit Kollegen aus USA, Japan und Korea zum Conference Call zusammenkommt, macht es für ihn keinen Unterschied, ob sich jemand aus dem Büro oder von der Datscha aus einwählt.
Hoffmann hält dagegen und fordert, dass deutsche Standards nicht an deutschen Grenzen haltmachen dürfen. Für ihn gibt es deshalb ganz klar einen europäischen und sogar einen internationalen Handlungsauftrag für die Gewerkschaften. Zur Begründung gab der DGB-Vorsitzende an, dass viele Fragen national oder europäisch nicht mehr zu beantworten seien, deshalb müssten beispielsweise über Betriebsvereinbarungen allgemein gültige Standards auch für Mitarbeiter im Ausland geschaffen werden. Da in anderen Ländern, wie den USA, Gewerkschaften oft nicht die Schlagkraft ihrer deutschen Pendants haben, unterstützt beispielsweise die IG Metall die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten an den US-Standorten von Siemens. Dort ist das deutsche Unternehmen mit 120.000 Mitarbeitern vertreten.
Arm trotz Arbeit
Nicht ganz unterwartet kam für den Gewerkschaftsführer und das Publikum, dass Weiss im eigenen Unternehmen keinen Betriebsrat hat. Bei seinen 35 Mitarbeitern setzt der Gründer unter anderem auf Vertrauensarbeitszeit ohne Arbeitszeiterfassung. Dass es dabei schon mal zur Selbstausbeutung kommen kann, schließt Weiss nicht aus, doch Regulierungsbedarf sieht er trotzdem nicht. Anders sehe es aber mit Blick auf die Plattform-Geschäftsmodelle, wie man sie beispielsweise bei Uber und Co. findet, aus.
Hier waren sich die Diskutanten schnell einig, dass die Digitalisierung zum Problem werden kann, wenn die absolute Transparenz der Dienstleistungsangebote zu einer negativen Preisspirale führt und die Menschen nicht mehr von ihrer Arbeit leben können. Gerade die so genannten „Click Worker“, die nach dem Crowdsourcing-Prinzip Projekte für Unternehmen abarbeiten, müssten vor Dumpinglöhnen geschützt werden. Hoffmann kündigte auch hier an für neue Spielregeln zu streiten, denn: „Es war schon immer Aufgabe der Gewerkschaften, die Konkurrenz der Beschäftigten gegeneinander auszuschalten.“
Angebote à la carte
Dieses Argument hat allerdings nicht alle im Publikum überzeugt. In der Fragerunde, stand noch einmal zur Diskussion, ob die neue Arbeitswelt die Gewerkschaften nicht einfach abschaffe. Während Weiss davon ausgeht, dass in der „old economy“ durch die Digitalisierung einfach Parallelstrukturen entstehen, da Unternehmen die angestammte Belegschaft nicht immer in das neue Zeitalter mitnehmen könnten, gibt Hoffmann sich überzeugt, dass sich zwar die Zugänge zur Arbeit änderten, die physische Tätigkeit dahinter allerdings gleich bleibe. Und damit auch der Bedarf an Arbeitnehmerschutz. Doch auch der DGB-Chef räumt selbstkritisch ein, dass die Gewerkschaften nach intelligenten Lösungen suchen müssten, wie sie mit der Auflösung von Raum und Zeit in der Arbeitswelt umgehen. Neben den einheitlichen Tarifmodellen für die Masse der bestehenden Mitglieder aus der „old economy“ wird es zukünftig auch „Angebote à la carte“ geben müssen. Auch für die neuen Formen der Arbeit will man überzeugende Lösungen bieten.