Digitalisierung des Rechts: UdL Digital Talk mit Marco Buschmann und Valesca Molinari
Die Digitalisierung betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche und macht auch vor dem deutschen Justizwesen nicht halt. Unter dem Motto „Aktendeckel zum Cyberspace – wie digitalisieren wir den Rechtsstaat?“ diskutierten Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und Dr. Valesca Molinari, Mitglied des Vorstands des Legal Tech Verband Deutschland e.V., im UdL Digital Talk über die Möglichkeiten und Hindernisse auf dem Weg zum digitalen Rechtsstaat.
Nach fast einem Jahr war es am 24. November mal wieder soweit: In den Räumen des BASECAMP fand eine neue Ausgabe des UdL Digital Talk statt. Endlich wieder vor Publikum und mit einem gut aufgelegten Moderator Cherno Jobatey, der von den beiden Gästen wissen wollte, wie wir das Justizwesen moderner und digitaler machen können.
Der Minister und das Gürteltier
Marco Buschmann, der als Bundesjustizminister für diese Aufgabe zuständig, betonte gleich zu Beginn der Diskussion, dass der Rechtsstaat wandlungsfähig sein und sich immer wieder auf neue Phänomene einstellen können muss. Dazu gehöre auch die Digitalisierung von Abläufen und Prozessen. Trotzdem gebe es im Ministerium immer noch sogenannte Gürteltiere, sprich: Akten, die wegen ihrer umfangreichen Papierfülle mit Stoffgürteln verschlossen werden, weil sie sonst auseinanderfallen würden. Eines seiner Ziele bei der Digitalisierung sei aber, diese Gürteltiere „auf die Liste der bedrohten Arten zu setzen“, so Buschmann.
Valesca Molinari, General Counsel des Cleantech Unternehmens Sunfire, Vorstandsmitglied des Legal Tech Verband Deutschland e.V. und Mitglied im Advisory Board des Bundesverbands der Wirtschaftskanzleien in Deutschland e.V., ist nach eigener Aussage wie der Minister zwar auch ein optimistischer Mensch, verwies aber darauf, dass das Justizwesen eine konservative Branche sei, in der die Digitalisierung – speziell der alltäglichen Abläufe – nicht die oberste Priorität habe.
„Viele Prozesse haben ja ihre Legitimation, trotzdem ist es wichtig, wenn man das ganze effizienter gestalten möchte, einmal auszubrechen und zu überlegen, wo wollen wir hin.“
Veränderung als Führungsaufgabe
Der Justizminister nahm den Ball auf verwies auf seine Erfahrung als Parlamentarischer Geschäftsführer bei der Digitalisierung der FDP-Bundestagsfraktion, wo er genau dies trotz vorhandener Beharrungskräfte umgesetzt habe. In diesem Kontext und auch im weiteren Verlauf der Diskussion hob Buschmann mehrfach hervor, dass solche Veränderungen allerdings von den Führungsebenen in Politik und Justiz angestoßen werden müssten:
Wichtig sei dabei, auf der Arbeitsebene sowie allgemein immer wieder für Verständnis und Unterstützung zu werben. Denn nur wenn die Digitalisierung von den Menschen nicht als Belastung, sondern als echter Nutzen empfunden wird, könne diese große Aufgabe gelingen:
Mehr Experimente wagen
Angesprochen auf ihren Wunsch für eine bessere Justiz verwies Valesca Molinari auf die Notwendigkeit von experimentelles Setups, in denen man neue Modelle und Abläufe ohne Denkverbote ausprobieren könne. Traditionelle Regelungen im juristischen Bereich seien zwar wichtig, es brauche aber mehr „Reallabore“ wie in der Wirtschaft. Der Wille dafür sei bei vielen bereits vorhanden:
Marco Buschmann stimmte zu, dass neue Anwendungen und mehr Raum für Experimente notwendig seien. Im Laufe der Diskussion räumte er zudem ehrlich ein: „Wir hinken um Jahre hinter bestimmten Staaten hinterher, was die Digitalisierung unseres Rechtssystems angeht.“ Als Beispiel nannte er das Bundesverfassungsgericht, mit dem man aufgrund der jetzigen Rechtsauslegung nicht per Email, sondern nur per Papier-Fax kommunizieren kann. Im Bundesjustizministerium werde aber mit Hochdruck daran gearbeitet, solche Zustände zu verändern und für einen modernen Zugang zu Recht und Justiz zu sorgen.
Kein Versprechen, aber eine Zusicherung
Moderator Jobatey wies zurecht darauf hin, dass der Wandel in Deutschland oft lange braucht und auch schon die Vorgängerregierungen die Digitalisierung der Justiz auf ihrer To-Do-Liste hatten, ohne damit wesentlich vorangekommen zu sein. Auf seine Frage, ob wir die Digitalisierung des Rechtsstaats in den nächsten Jahren noch erleben werden, sicherte der Justizminister seine große Motivation zu – allerdings mit der Einschränkung, dass im Justizbereich aufgrund des Föderalismus auch die Länder mitgenommen werden müssen:
Mit Blick auf das für Veränderungen benötigte technische und innovative Verständnis bei Juristen bezeichnete Molinari das Mitdenken der Digitalisierung als eine Schlüsselkompetenz der Zukunft. Man sollte deshalb nicht auf ein verändertes Mindset warten, sondern auch über eine veränderte Ausbildung für den juristischen Bereich nachdenken, besonders das Jura-Studium sei in der Hinsicht reformbedürftig:
Weitere Themen, die im Laufe der Veranstaltung und bei den abschließenden Publikumsfragen kurz zur Sprache kamen, betrafen die unterstützende Rolle von Künstlicher Intelligenz bei Gerichtsprozessen, den Bürokratieabbau mithilfe des Normenkontrollrats oder die Potenziale von Blockchain-Projekten im juristischen Bereich. Alles in allem zeigte die muntere Diskussion, dass bei der Digitalisierung des Rechtsstaats zwar schon einiges in Bewegung geraten, der Weg aber noch lange nicht zu Ende ist.