Digitales Sondierungsbingo
Nach den Sondierungsgesprächen folgt das übliche Bingospiel mit den einschlägigen Floskeln: „Offen“ und „konstruktiv“ seien die Gespräche gewesen, es sei natürlich um Inhalte gegangen, und die Atmosphäre war durchaus angenehm. Doch neben der Tagesschau-Sprache der Parteipolitiker wird noch mehr kommuniziert. Twitter ist dafür bekannt, besonders schnell neue Informationen zu verbreiten, und aufgrund der Kürze jede Aussage auf den Punkt zu bringen. Der Ton in dem sozialen Netzwerk unterscheidet sich teilweise deutlich von den Presse-Statements der Parteien.
Die Sozialdemokraten
Besonders gelassen sieht Lars Klingbeil die laufenden Gespräche und erfreut sich – unter reger Eigenbeteiligung – am neuesten Twitter-Trend #sondierungssongs. Die Twittergemeinde verpackt hier den üblichen Politiksprech in die Zeilen bekannter Songtexte, um die Stimmung bei den Sondierungsgesprächen widerzugeben:„Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ (die besonders häufig zitierte Band Tocotronic) ist dabei ebenso vertreten wie die Klassiker „I never promised you a rose garden“ und „Über sieben Brücken musst du gehen“.
Am Account der SPD im Bundestag gehen die Sondierungsgespräche vollständig vorbei. Währenddessen bemüht sich der SPD Parteivorstand in seinen Tweets immerhin zeitweise neue Updates zu liefern – von aktuellen, regelmäßigen und aussagekräftigen Informationen kann hier allerdings nicht die Rede sein. Der Twitter-Account von Peer Steinbrück ist seit dem Wahlabend vollständig eingefroren (abgesehen von einem kurzen Dankes-Tweet) und Sigmar Gabriels Account wurde bereits eine Woche vor dem Wahltag stillgelegt. Andrea Nahles besitzt keinen Twitter-Account und die Aktivitäten ihrer Facebook-Fanseite haben sich mit der abgeschlossenen Wahl auch vorerst erledigt. Wer sich also auf dem Laufenden halten oder eine Meinung aus der SPD herausfinden will, muss entweder tiefer graben oder sich mit den Tagesschau-Zitaten zufrieden geben.
Die Grünen
Claudia Roth und Cem Özdemir pflegen keinen aktiven Twitter-Account, bei Renate Künast und Team findet sich kein Tweet über den Verlauf der Sondierungsgespräche und selbst der übergreifende Grünen-Account beschäftigte sich in den letzten Tagen mit allen anderen Themen außer der Regierungsbildung. Nur die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt (und ihr Twitter-Team) erwähnte das politische Dauerthema der letzten Woche an einigen Stellen. Differenzen zwischen Schwarz-Grün, meinte sie noch am 13. Oktober, reichten nicht von Berlin bis Sibirien. Zwei Tage zuvor äußerte sie, es seien „noch viele Fragen und konkrete Inhalte offen“, etwa beim Klimaschutz. Zu den Entwicklungen der letzten Tage twitterte sie jedoch nichts mehr.
Die Union
Die CDU Online-Redaktion bei Twitter zitiert besonders gern den Generalsekretär der CDU Hermann Gröhe, der seine Follower immerhin einigermaßen über den Stand der Dinge informiert hält, jedenfalls über den Stand seiner eigenen Meinung. „Sehr intensive und sachliche Gespräche“ hätten bei dem Treffen mit der SPD am 14. Oktober stattgefunden, bewertete er. Kommentare einige Tage vorher bezogen sich ebenfalls auf die Sondierungsmöglichkeiten, die Gröhe als „ergebnisoffen“ definierte. Nach dem ersten Treffen mit den Grünen am 10. Oktober drückte der CDU-Politiker seine Freude über das „offene, sachliche und sehr an Inhalten orientierte Gespräch“ aus und kündigte die zweite Sondierungsrunde am darauffolgenden Dienstag an. Die Ereignisse der letzten Tage kommentierte er jedoch nicht mehr über diesen Kanal.
Aktuell informierte die CDU in einem kurzen Artikel auf ihrer Website, den sie für ihre Follower twitterte, über den jüngsten Ausgang der schwarz-grünen Gespräche. Auch die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag greift in ihrem Twitter-Account gern auf Zitate von Gröhe zurück und informiert einigermaßen regelmäßig über die Kernpunkte der zurückliegenden Debatten. Es gebe keine unüberwindlichen Hindernisse mit den Grünen, schätzte Gröhe, während Alexander Dobrindt laut CDU/CSU feststellte, dass es bei den Grünen offenbar „eine Schwelle gab, über die sie wohl nicht gehen wollten“.
Die Stimmung ist ungeduldig
Unter dem Hashtag #sondierung melden sich vor allem politisch interessierte Twitter-Nutzer zu Wort und äußern ihre Meinung zum Verlauf der Gespräche. Die Tonalität der Tweets weist auf Ungeduld und Unverständnis hin. Hinzu kommt, dass die an den Sondierungsgesprächen teilnehmenden Politiker bisher keine näheren Details an ihre Bürger kommunizieren konnten oder wollten. Sie hätten die Möglichkeit, die Bürger an dem Prozess der Verhandlungen teilhaben zu lassen, indem sie etwa über regelmäßige Tweets kleine, unverbindliche Einblicke in die Gesprächsrunden gewähren würden. Doch es verwundert kaum, dass die Parteien in dieser Hinsicht zurückhaltend sind – schließlich wurde die Wahl bekanntlich nicht im Internet gewonnen.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital. Aylin Ünal ist als Redakteurin des wöchentlich erscheinenden Monitoring-Services für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.