Digitales Gesundheitswesen: Wie steht es um die E-Health-Vorhaben in Deutschland?
In der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie hilfreich die Digitalisierung sein kann – gerade auch im Bereich des Gesundheitswesens. Man denke nur an die Corona-Warn-App oder die Idee einer elektronischen Patientenakte. Wir geben einen Überblick, wie der momentane Stand beim Thema „E-Health“ in Deutschland ausfällt und was in nächster Zeit noch zu erwarten ist.
Unter dem Begriff E-Health versteht man ganz allgemein digitale Anwendungen und Kommunikation im Gesundheitswesen, die zum Beispiel die Behandlung und Betreuung von Patient:innen unterstützen oder die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung verbessern sollen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für solche Anwendungen hat insbesondere während der Corona-Pandemie stark zugenommen und einige politische Vorhaben wurden in diesem Zuge beschleunigt oder – für deutsche Verhältnisse – überraschend schnell umgesetzt.
Corona-Warn-App: Zukunft offen
Das bekannteste Beispiel ist sicherlich die Corona-Warn-App, die im Sommer 2020 als ein Angebot der Bundesregierung startete und zunächst bei der Kontaktnachverfolgung und Risikoermittlung von Infektionen helfen sollte. Später kamen weitere Funktionen wie die digitale Dokumentierung von Impfzertifikaten und Testergebnissen, Inzidenz-Statistiken sowie die Registrierungsmöglichkeit für Veranstaltungen hinzu.
Die App wurde mit 48 Millionen Downloads und in der Spitze ca. 25 Mio. aktiv Nutzenden im Jahr 2022 allgemein als ein Erfolg bewertet. Mit dem Abflauen der Pandemie stellt sich allerdings die Frage nach der Zukunft der Anwendung. So laufen die Verträge mit den Projektpartnern derzeit noch bis Ende Mai 2023, doch es gibt Überlegungen, die App aufgrund der breiten Akzeptanz und Nutzung künftig anderweitig zu verwenden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte zuletzt verlauten lassen, sie womöglich „zu einer allgemeinen App“ weiterzuentwickeln, zum Beispiel zu einer Smartphone-Version der digitalen Patientenakte oder einem digitalen Impfpass.
Derzeit gibt es innerhalb der Ampel-Koalition allerdings noch keine einheitliche Position dazu, zumal Kritiker:innen vor einer Zweckentfremdung der App warnen und zurecht darauf hinweisen, dass z.B. digitale Impfzertifikate eigentlich ein Teil der elektronischen Patientenakte sein sollten. Deshalb ist es durchaus denkbar, dass die Corona-Warn-App zwar im aktuellen Funktionsumfang erhalten bleibt, aufgrund der nachlassenden Nutzung aber nur im Hintergrund gepflegt und für den Fall einer neuen Pandemie einsatzbereit gehalten wird.
Elektronische Patientenakte: Mehr als eine Illusion?
Mit der elektronischen Patientenakte (ePA) ist hier bereits ein weiteres zentrales E-Health-Vorhaben der deutschen Politik angesprochen, das ebenfalls während der Pandemie-Jahre startete: Die ePA wurde unter Lauterbachs Vorgänger, Gesundheitsminister Jens Spahn, zum 1. Januar 2021 eingeführt und soll die die Versorgung der Patient:innen verbessern, indem in ihr medizinische Befunde und Informationen aus früheren Untersuchungen über Praxis- und Krankenhausgrenzen hinweg gespeichert werden. Darum sind die Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherten eine solche Akte in mehreren Ausbaustufen zur Verfügung zu stellen.
Bisher war es allerdings nötig, die eigene ePA zunächst aktiv selbst bei der Krankenkasse zu beantragen und einzelne Schritte der Befüllung mit Daten in Arztpraxen und Krankenhäusern dann jeweils einzeln freizugeben, das sogenannte Opt-in. Durch diese komplizierte Vorgehensweise blieben die bisherigen Nutzungszahlen jedoch weit hinter den Erwartungen zurück: Laut einer aktuellen Erhebung wurden in der zweiten Jahreshälfte 2022 gerade einmal 84.000 neue Akten ausgestellt nach 177.000 im Halbjahr zuvor. Insgesamt gab es Ende Januar 2023 nur knapp 600.000 ePA in Deutschland – und das bei ca. 73 Millionen gesetzlich Versicherten.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach nannte die elektronische Patientenakte deshalb vor kurzem „nicht mehr als eine Illusion” und gestand große Probleme bei Digitalisierung des Gesundheitssystems ein. Abhilfe sollen 2023 nun freiwillige Datenspenden der Versicherten und die Einführung des Opt-out-Verfahrens schaffen, um die Nutzungszahlen zu erhöhen: Künftig sollen für alle Versicherten automatisch eigene ePA eingerichtet werden und wer das nicht möchte, kann widersprechen. In der Bevölkerung scheint es für diese Regelung eine klare Mehrheit zu geben, wie eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung und Stiftung Münch vom vergangenen Jahr ergeben hat. Die Nutzungszahlen der ePA dürften hierzulande damit bald steigen, wie ein Blick nach Österreich zeigt, wo aufgrund der dortigen Opt-Out-Regel bereits 97% der Versicherten über eine elektronische Akte verfügen.
E-Rezept: Der Rollout kommt langsam voran
Erfolgreicher als die elektronische Patientenakte schneidet bisher das 2022 eingeführte E-Rezept in Deutschland ab: Wurden laut einer Erhebung von McKinsey im ersten Halbjahr nur 44.000 E-Rezepte ausgestellt, stieg ihre Zahl im zweiten Halbjahr 2022 bereits auf 844.000 Stück. Besonders aktiv sind dabei die Apotheken, von denen 91% die E-Rezept-Anwendung installiert haben und 69% diese nutzen. In der Ärzteschaft fallen die Zahlen mit einer Installationsrate von 31% und einer Nutzungsrate von nur 5% allerdings noch ziemlich gering aus. Bei jährlich 400 Millionen ausgestellten Rezepten, fallen die bisher eine Million E-Rezepte noch nicht groß ins Gewicht.
Mit der elektronischen Erstellung und Übermittlung von Rezepten wird die Hoffnung verbunden, dass Patient:innen schneller und verlässlicher an die benötigten Medikamente kommen, während die Arztpraxen und Apotheken durch die wegfallende Archivierung der Papierbelege Kosten und Zeit einsparen können. Langfristig soll das E-Rezept zudem neue digitale Anwendungen ermöglichen, zum Beispiel einen Medikationsplan plus Einnahme-Erinnerung oder ein Wechselwirkungscheck bei mehreren verschriebenen Arzneimitteln.
Um die Rezepte elektronisch empfangen und einlösen zu können, benötigen die gesetzlich Versicherten bisher jedoch die E-Rezept-App der nationalen Agentur für Digitale Medizin gematik, was gerade bei älteren Patient:innen ein Hindernis und für die Arztpraxen Mehraufwand bei der Erklärung darstellen kann. Deshalb prüft die Bundesregierung für den weiteren Rollout des E-Rezepts derzeit weitere digitale Einlösemöglichkeiten. Ein konkreter Zeitplan und weitere Ziele, wie etwa ein Anreizsystem für die Ärzteschaft, liegen momentan zwar nicht vor, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ergeben hat. Ab Sommer 2023 soll es laut gematik aber möglich sein, E-Rezepte mithilfe der elektronischen Gesundheitskarte zu beziehen.
Ein EU-Binnenmarkt für Patientendaten als langfristiges Ziel
Weitere Vorhaben im Bereich E-Health sind vor allem auf EU-Ebene geplant – wie der Europäische Raum für Gesundheitsdaten (EHDS), der als gesundheitsspezifisches digitales Ökosystem dafür sorgen soll, dass zum einen Patient:innen leichteren Zugriff auf ihre Daten und Aufzeichnungen über ihre eigene Krankheitsgeschichte bekommen. Und zum anderen sollen diese Daten zur Forschungsförderung und Steuerung der Politik aber auch statistisch ausgewertet werden können. So ist beabsichtigt, einen „echten Binnenmarkt für elektronische Patientendatensysteme“ zu schaffen. Da sich der entsprechende Entwurf der EU-Kommission aber noch im Gesetzgebungsverfahren der drei EU-Organe befindet, dürfte bis dahin noch etwas Zeit vergehen.
In der Digitalisierung des Gesundheitswesens gibt es hierzulande also durchaus Bewegung. Trotzdem trifft die Einschätzung von Matthias David Mieves, Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für E-Health, vom Sommer 2022 wohl weiterhin zu:
„Das Thema E-Health betrifft alle Menschen in Deutschland, gleichzeitig liegen wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern Jahre zurück.“
Dementsprechend wird es auch noch etwas dauern, diesen Rückstand aufzuholen. Wie lange, hängt dabei entscheidend vom künftigen Zusammenspiel von Politik, Gesellschaft und dem Gesundheitswesen selbst ab.
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