Digitaler Verbraucherschutz: Interview mit Christian Kastrop

Veröffentlicht am 22.07.2020

Pressefoto: BMJV/Thomas Imo/photothek
Christian Kastrop ist seit Mai Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Wir wollten von ihm wissen, was aus seiner Sicht die wichtigsten Meilensteine im digitalen Verbraucherschutz sind. Ein Interview.

Die gegenwärtige Coronakrise offenbart, wie wichtig eine funktionierende und sichere digitale Infrastruktur ist. Einen Einblick in die aktuellen Ziele und Herausforderungen der digitalen Verbraucherpolitik gibt der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung 2020, den das Bundeskabinett vergangene Woche beschloss. Er beleuchtet etwa die Frage, wie eine vertrauenswürdige digitale Gesellschaft gestaltet werden kann und wie eine stärkere Ausrichtung der Verbraucherpolitik an den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 möglich ist.

Einen Schwerpunkt der Verbraucherpolitik sieht Prof. Dr. Christian Kastrop in einer „gemeinwohl- und verbraucherorientierten“ Bewältigung der digitalen Transformation. Kastrop selbst ist Ökonom und Honorarprofessor im Fach Finanzwissenschaft. Bis er als Staatssekretär ins BMJV wechselte, war er Direktor des Programms Europas Zukunft der Bertelsmann Stiftung. Davor war er von März 2014 bis Ende 2017 Direktor der Abteilung für wirtschafts- und finanzpolitische Studien der OECD in Paris.

Herr Kastrop, Sie sind seit Mai als Staatssekretär im BMJV für die Belange des Verbraucherschutzes zuständig. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten verbraucherpolitischen Themen auf dem digitalen Markt, mit denen Sie sich befassen werden?

Wir müssen die digitale Transformation gemeinwohl- und verbraucherorientiert bewerkstelligen. Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig Daten und die Digitalkompetenz dabei sind. Wir wollen bei der nationalen Datenstrategie schnell Fortschritte machen. Aus meiner Sicht gilt es, dabei die Chancen der Datennutzung im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher zu nutzen – also Datenmissbrauchs- und Diskriminierungsrisiken zu vermeiden. Wir wollen ein Künstliche Intelligenz-Ökosystem, das soziale Ungleichheit reduziert und nicht verschärft. Es soll Innovationen anreizen und muss Vertrauen bei Bürgerinnen und Bürgern schaffen. Es darf nicht digitale „Superstar-Firmen“ marktmächtiger werden lassen.

Zudem ist der Schutz vor Hass und Hetze im Netz von zentraler Bedeutung. Um Hasskriminalität und Rechtsextremismus noch konsequenter entgegenzutreten, haben wir bereits ein umfassendes Reformpaket vorgelegt, das in Kürze in Kraft treten wird. Darüber hinaus werden wir uns für weitere hohe Standards in diesem Bereich auch während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft stark machen. Auf EU-Ebene wollen wir den Digital Services Act voranbringen, der eine zeitgemäße Plattformregulierung und einen fairen Wettbewerbsrahmen schafft. Damit stärken wir Verbraucherinnen und Verbraucher, den digitalen Binnenmarkt und schaffen hochwertige Arbeitsplätze in Deutschland. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zu Digitalen Inhalten und dem Warenkauf machen wir das Gewährleistungsrecht fit für die digitale Welt: Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten dann unter anderem ein Recht auf Updates bei Produkten mit integrierter Software.

Wie bewerten Sie den Verbraucherschutz beim Online-Einkauf generell und in welchen Bereichen sehen Sie noch Nachholbedarf?

In Europa müssen wir weiterhin auf einen hohen Schutzstandard für Verbraucherinnen und Verbraucher bei Online-Einkäufen achten. Im Kern ging es im vergangenen Jahr darum, den Verbraucherschutz zu stärken, indem wir ihn an den zunehmenden Online-Handel angepasst haben. Hier möchte ich auch die Richtlinie zur Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften nennen, in der es etwa um mehr Transparenz auf Vergleichsplattformen und Online-Marktplätzen geht. Gerade die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie schnell der Online-Handel in Krisen profitieren kann.

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Das zeigt auch eindrücklich, wie wichtig es ist, bestehende Verbraucherschutzregelungen fortlaufend auf den Prüfstand zu stellen und gerade auch im Hinblick auf eine nachhaltige digitale Transformation anzupassen – durch weitere Maßnahmen für die Langlebigkeit und Reparierbarkeit von Produkten oder durch eine angemessene Ausgestaltung von Sorgfaltspflichten der Online-Plattformen gerade auch mit Blick auf die Produktsicherheit. Noch in diesem Jahr wird die EU-Kommission hierzu konkrete Vorschläge vorlegen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft wollen wir dazu nutzen, zu der konkreten Ausgestaltung dieser Vorschläge auf unterschiedlichen Ebenen aktiv beizutragen. Dabei müssen wir aber vor allem auf zwei Dinge achten: Zum einen dürfen bestimmte Verbrauchergruppen im Online-Handel nicht abgehängt oder benachteiligt werden, z. B. Senioren oder auch Menschen mit Migrationshintergrund. Zum anderen müssen wir auf Netzwerkeffekte in digitalbasierten Märkten achten – ansonsten wächst die Marktmacht von digitalen und anderen Konzernen, was Verbraucherinnen und Verbraucher über zu hohe Preise belasten kann.

Im zweiten Halbjahr steht eine große Novelle des Telekommunikationsrechts auf dem Aufgabenzettel der Bundesregierung. Welche Veränderungen haben Verbraucher und Unternehmer da zu erwarten?

Die anstehende Reform wird Änderungen für den gesamten Telekommunikationsbereich umfassen und dabei Verbesserungen für Verbraucherinnen und Verbraucher bringen. Der Anlass der Novelle ist eine europäische Richtlinie für die elektronische Kommunikation, der TK-Kodex. Die Richtlinie enthält Regelungen zu ganz unterschiedlichen Bereichen des Telekommunikationsrechts und wird die Marktregulierung, vor allem aber die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern, verbessern. So werden Kundinnen und Kunden zum Beispiel die Möglichkeit haben, einen Vertrag nach einer automatischen Vertragsverlängerung mit höchstens einem Monat Frist zu kündigen. Sie sollen z. B. auch mehr Rechte bei der Rufnummerübertragung bei Anbieterwechseln erhalten.

Digitalisierung verändert allen Branchen, Produkte und Unternehmen. Welche Rolle nimmt aus ihrer Sicht die Wirtschaft für eine verantwortungsbewusste Digitalisierung ein und wird die Wirtschaft ihrer Verantwortung schon ausreichend gerecht?

Die Wirtschaft ist wichtig für Arbeitsplätze und Wohlstand und somit ein zentraler Akteur der Digitalisierung. Die Bundesregierung unterstützt daher Unternehmen in der Corona-Krise mit umfassenden Hilfsprogrammen. Dazu kommt das Konjunkturpaket, mit dem wir gezielt die digitale und ökologische Transformation in Unternehmen fördern. Gleichwohl gilt: Unternehmen tragen eine große Mitverantwortung für das Gelingen der Digitalisierung und den Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit auf allen Ebenen. Sie müssen verantwortungsvoll mit Algorithmen und sensiblen Verbraucherdaten umgehen und sich zu unseren Werten in der Datenökonomie bekennen. Sie müssen durch Zukunftsinvestitionen ihren Teil zur Digitalkompetenz der Beschäftigten und zur digitalen Infrastruktur beitragen.

Das gelingt einigen Unternehmen bereits sehr gut, andere können noch dazulernen. Auch deshalb treiben wir die Initiative „Corporate Digital Responsibility“ voran: Im Dialog mit Unternehmen erarbeiten wir beispielsweise, was Künstliche Intelligenz darf, wie der verbraucherorientierte Umgang mit Daten aussehen sollte und wie Unternehmen ihrem gesellschaftlichen Auftrag im digitalen Wandel gerecht werden können. Wir arbeiten dabei gemeinsam an konkreten Standards und guten Praxisbeispielen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, das weitere Unternehmen zum Mitmachen motivieren soll.

Welche Rolle spielt die EU beim Verbraucherschutz im Netz und welche verbraucherpolitischen Akzente will die Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft setzen?

Natürlich regeln wir viele Teile des Verbraucherschutzes zunächst in Deutschland. Die EU spielt aber dennoch eine wichtige Rolle etwa für den Verbraucherschutz im Netz. Viele Bürgerinnen und Bürger kennen die Datenschutz-Grundverordnung. Die bereits genannte Richtlinie über Digitale Inhalte, ein „Update des Gewährleistungsrechts“, ist bereits in der Umsetzung. Und im Dezember dieses Jahres soll der Digital Services Act folgen, der Online-Dienste und Online-Plattformen umfassen soll. Ganz entscheidend ist dabei: Diese Vorhaben stärken nicht nur Verbraucherrechte in ganz Europa. Sie gehören auch zum gemeinsamen Binnenmarkt, eine große Errungenschaft Europas, die gerade im Zusammenhang mit der Corona-Krise seiner Rolle als Wachstumsmotor wieder schnell gerecht werden muss.

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Foto: CC0 1.0, Pixabay / mohamed_hassan / Ausschnitt bearbeitet

Im deutschen EU-Präsidentschaftsprogramm ist die digitale Transformation daher ein zentrales Thema. Neben ihrer gemeinwohl- und verbraucherorientierten Ausgestaltung ist für mich wichtig, dass wir uns auch an Nachhaltigkeitszielen, etwa SDG12 zum nachhaltigen Konsum und der nachhaltigen Produktion, und dem Modell einer Kreislaufwirtschaft orientieren. Denn Verbraucherinnen und Verbrauchern in Europa ist keineswegs nur der Preis wichtig, sondern auch die Langlebigkeit und Nachhaltigkeit von Produkten. Bei der Künstlichen Intelligenz braucht Europa einen eigenständigen Weg, der europäische Werte und Grundrechte mit einem Innovationsschub für eine nachhaltige Wirtschaft und zukunftssichere Arbeitsplätze verbindet. Unser Ziel ist ein klarer Rahmen, der Unternehmen und den Bürgerinnen und Bürgern in Europa Sicherheit bietet, Vertrauen in die Technologie fördert und Europa für den Wettbewerb in der digitalen Welt fit macht.

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