Digitale Gewalt: Wie steht es um das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung?

Credit: iStock/Olga Kurbatova
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Veröffentlicht am 10.07.2024

Seit etwas mehr als einem Jahr plant die Bundesregierung ein Gesetz gegen digitale Gewalt, über das wir hier bereits berichtet haben. Wie ist hier der Stand und wie wird das Phänomen von Hass im Netz momentan wahrgenommen? Dazu geben wir in diesem Artikel einen Überblick.

Laut einer Erhebung von HateAid kennen neun von zehn jungen Menschen zwischen 18 und 35 Jahren digitale Gewalt in den sozialen Medien. Und jede zweite junge Person war bereits selbst davon betroffen. Da bisherige Regelungen wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hier kaum für Verbesserung gesorgt hat und das neue Digitale-Dienste-Gesetz vor allem die Haftung von Online-Plattformen adressiert, kündigte die Bundesregierung Anfang 2023 ein Gesetzesvorhaben gegen digitale Gewalt an. Es soll die bisher eher spärlichen gesetzlichen Regelungen zum Thema Cybermobbing, Hate Speech und Cyberstalking ergänzen.

Rechtliche Einschränkungen für das Gesetzesvorhaben

Ein konkreter Termin für die Vorlage des Gesetzes lag zwar nie vor, jedoch wurde nach der Präsentation entsprechender Eckpunkte durch das Bundesjustizministerium ein erster Referentenentwurf ursprünglich für Herbst 2023 erwartet. Seither ist allerdings wenig passiert.

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Grund dafür sind unter anderem zwei Gerichtsentscheidungen: zum einen des Europäischen Gerichtshofs zum Herkunftslandprinzip und zum anderen des Bundesgerichtshofs zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. So dürfen deutsche Gerichte keine Datenherausgabe erwirken, wenn Daten im EU-Ausland betroffen sind. Dadurch kann die im Eckpunkte-Papier vorgesehene Regelung zur Datenherausgabe zu Täter:innen, um zivilrechtlich Klage gegen sie einzureichen, nicht umgesetzt werden.

Zudem stellte der EuGH fest, dass die grundsätzliche Aufsicht über ein Unternehmen ausschließlich bei dem Land liegen kann, in dem sich der Unternehmenssitz befindet. Diese Bestimmung verbietet de facto die in den Eckpunkten vorgesehenen Zustellungsbevollmächtigten. Dadurch kann ein EU-Mitgliedstaat wie Deutschland nicht gegen Kommunikationsplattformen mit ausländischem Sitz vorgehen – also gegen alle größeren Plattformen wie Instagram, X/Twitter oder Telegram.

Kritik und Konsens zum Gesetz

Nun muss das Justizministerium prüfen, ob das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt überhaupt bestehen bleiben kann und welche Änderungen gegebenenfalls nötig sind. Da der Gesetzesentwurf noch vor Ablauf der aktuellen Legislaturperiode durch das Kabinett und den Bundestag gebracht werden muss, wenn er Aussicht auf Verwirklichung haben soll, drängen mittlerweile mehrere Stimmen aus Politik und Öffentlichkeit auf eine schnelle inhaltliche Anpassung.

Dabei sollte auch auf die Kritik eingegangen werden, die sowohl aus der Parteienlandschaft als auch aus der Zivilgesellschaft an den Eckpunkten geübt wurde. Laut Verbänden und NGOs bieten die momentanen Pläne beispielsweise keinen ausreichenden Schutz gegen sogenannte Shitstorms. Auch rechtliche Verfahren blieben für die Opfer digitaler Gewalt äußerst langwierig und ressourcenintensiv. Organisationen wie HateAid oder Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hatten indes eigene Entwürfe für ein Gesetz vorgelegt. Darin wird verstärkt die Rolle der Opfer in den Blick genommen, die im Eckpunkte-Papier der Bundesregierung noch zu kurz gekommen sei.

Aber trotz der angemahnten Verbesserungen besteht weiterhin ein breiter Konsens, dass es dringend ein Gesetz braucht, das den Opfern von Hass und Drohungen im Netz erweiterte Handlungsspielräume gegen die jeweiligen Täter:innen einräumt. Für eine notwendige Ergänzung der bisherigen Gesetzeslage bietet das Vorhaben immer noch die vielversprechendsten Aussichten.

Wie die deutsche Politik zum Vorhaben steht

Betrachtet man die Stimmen aus der Politik zum Vorhaben, zeigten sich einige Abgeordnete der Ampelkoalition bis vor kurzem optimistisch, dass es mit dem Gesetz noch klappt. Speziell Renate Künast (Grüne), die sich jahrelang selbst rechtlich gegen Hate Speech im Netz gewehrt hat, sieht darin eine große Chance:

„Das digitale Gewaltschutzgesetz ist ein wichtiger Bestandteil des Kampfes gegen insbesondere rechtsextreme Gewalt. Betroffen sind nicht nur politisch aktive Menschen, sondern auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommunen. Da brauchen wir jedes Werkzeug.“

Vertreter:innen der Opposition im Bundestag äußerten sich zuletzt hingegen eher skeptisch, was die Umsetzungschancen und manche Inhalte angeht. So bemängelt Günter Krings (CDU), rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion den zivilrechtlichen Fokus des Gesetzesvorhabens, während Anke Domscheit-Berg (Die Linke) insbesondere Lücken bei der Finanzierung der Präventivangebote und dem Thema bildbasierter Gewalt sieht.

Komplette Ablehnung kommt dagegen von der AfD, die im Mai sogar die Einstellung des Gesetzesvorhabens beantragt hatte. Sie sieht unter anderem keine Notwendigkeit für die gesonderte Auflistung rechtlicher Online-Verstöße als digitale Gewalt und möchte richterliche Maßnahmen wie Accountsperren auf ein Minimum begrenzen. Der Antrag wurde letzte Woche aber von allen anderen Fraktionen und Gruppen, abgesehen vom nicht-anwesenden BSW, abgelehnt.

Mehr Hass im Netz

Dort herrscht nämlich weitgehend Einigkeit, dass politisch etwas gegen digitale Gewalt unternommen werden muss. Gestützt wird diese Sichtweise unter anderem von den Ergebnissen der repräsentativen Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ des Kompetenznetzwerks gegen Hass. Demnach sieht die Realität in den digitalen Medien so aus, dass dort mehr Hassnachrichten und sexualisierte Gewalt zu finden sind.

Foto: CC0 1.0, Pixabay User HaticeEROL | Ausschnitt angepasst

Insbesondere junge Menschen sind laut der Studie davon betroffen, genauso wie Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund oder bei Zugehörigkeit zur LGBTQ+-Community. In der Folge würden sich die Betroffenen aus den sozialen Medien zurückziehen, wodurch jene, die für Hass im Netz verantwortlich sind, noch weiter Erstarken können. Und das ist nur eines der jüngsten Beispiele, die die Dringlichkeit eines effektiven gesetzlichen Schutzes vulnerabler Gruppen in den sozialen Medien untermauern.

Was gegen digitale Gewalt helfen kann

Einen kleinen Schritt auf dem Weg zu mehr Schutz beinhaltet das Mitte Juni verabschiedete Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz. Die darin vorgesehene Abschaffung des „Schriftformerfordernisses“ ist aus Sicht von HateAid geeignet, die Anzeigebereitschaft bei Betroffenen digitaler Gewalt zu erhöhen und dadurch zu mehr Strafverfolgung entsprechender Taten beizutragen.

Solange weitere effektive gesetzliche Maßnahmen noch auf sich warten lassen, gibt es von HateAid zudem Tipps für den Umgang mit Gewalt im Netz in Form einer Guideline. Auch das Kompetenznetzwerk gegen Hass bietet Handlungsempfehlungen für Menschen, die akut betroffen sind. Dabei geht es vor allem darum Resilienz aufzubauen, also ein Schutzschild, das den digitalen Hass, dem man ausgesetzt ist, abmildern kann. Hierzu wird auch der Rückgriff auf therapeutische Angebote angeraten. Dass das auf Dauer jedoch nicht die einzige Lösung sein kann, liegt auf der Hand.

Eine verstärkte juristische Handhabe gegen digitalen Anfeindungen bleibt letztlich essentiell, um digitaler Gewalt bereits im Entstehen Einhalt zu gebieten. Die angestrebte Herausgabe von Täter:innen-Daten und die damit verbundene Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung sind hier die vielversprechendste Lösung. Nur ob und wann dies politisch durchgesetzt wird, ist momentan noch unklar.

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