Digitale Gesellschaft: So präsentiert sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Netz
Derzeit wird viel über den Zustand und die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) diskutiert. Eine Rolle spielt dabei auch, wie gut er im digitalen Raum aufgestellt ist. Eine Bestandsaufnahme zu den aktuellen Angeboten des ÖRR.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in letzter Zeit durch diverse Skandale und politische Debatten unter erhöhten Rechtfertigungsdruck geraten. Die Frage nach der Legitimität und Notwendigkeit von aktuell elf bundesweiten und neun Regionalprogrammen sowie mehr als 70 Radiosendern wird allerdings bereits seit Jahrzehnten gestellt. Die Digitalisierung und das veränderte Mediennutzungsverhalten besonders unter jüngeren Menschen tragen ihren Teil dazu bei. ARD, ZDF und Co. haben deshalb in den vergangenen Jahren auf diesen Wandel reagiert und die Verbreitungswege ihrer Inhalte stark erweitert.
Viele Kanäle, viele Angebote
Mittlerweile verfügt jeder Sender selbstverständlich über eine eigene Website, es wurden Mediatheken für ARD, ZDF, arte, 3sat sowie den Bayerischen Rundfunk aufgebaut und Online-Livestreams der aktuellen Programme sind ebenfalls möglich. Mit dem Spartenprogramm Funk wurde 2016 sogar ein reines Online-Angebot gestartet, das sich als „Content-Netzwerk“ vor allem an junge Zielgruppen richtet und seine Inhalte deshalb besonders auf den großen Social-Media-Plattformen (YouTube, Instagram, Facebook, TikTok und Snapchat) präsentiert.
Thematisch setzt Funk auf eine breite Mischung aus Information und Unterhaltung, was unter anderem an der Zahl von momentan 57 aktiven Kanälen und 17 Web-Serien deutlich wird. Die erfolgreichsten Formate, wie zum Beispiel maiLab, Y-Kollektiv oder MrWissen2go, erreichen dabei auf YouTube jeweils deutlich mehr als eine Million Abonnent:innen. Im letzten Jahr gab es zudem einen Schwerpunkt mit viel Content zur Bundestagswahl, der auf YouTube ca. 15 Millionen Views, auf Instagram ca. 12 Millionen Views und auf Facebook ca. 4 Millionen Views erzielen konnte.
Rege Aktivität in den sozialen Medien
Neben Funk sind auch die „klassischen“ Fernsehsender des ÖRR in den verschiedenen sozialen Medien präsent, um dort auf ihre Inhalte hinzuweisen. So kann man auf YouTube etwa Dokus und Reportagen von arte, Ausschnitte von Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale oder vielen weiteren Sendungen auf Abruf schauen. Überhaupt weisen einzelne Sendungen eine hohe Social Media-Präsenz auf, z.B. die heute show mit 1,5 Mio. Followern auf Twitter oder die Tagesschau mit 4,3 Mio. Followern auf Instagram.
Neben den großen Accounts von allgemein sehr bekannten Formaten gibt es aber auch jede Menge kleinere – und das auf allen relevanten Plattformen. Wie die im April veröffentlichte Studie „Journalismus in sozialen Netzwerken. ARD und ZDF im Bann der Algorithmen?“ der Otto Brenner Stiftung herausgefunden hat, gibt es mehr als 750 Social Media-Accounts, die 273 unterschiedliche Formate des ÖRR repräsentieren. Die meisten davon findet man auf Facebook (194), Instagram (165) und Twitter (131). Die Studie konstatiert zudem „eine hohe Dynamik in der Neugründung von Kanälen“, die der allgemeinen Konjunktur der sozialen Netzwerke folgt:
„Waren in den Anfangsjahren Facebook und Twitter die meistbespielten Netzwerke, kommen seit etwa 2012 neue Anbieter dazu, die für eine weitere Fragmentierung der Distributionsstrategien sorgen. Die Investitionen in einzelne Plattformen verlaufen in Wellen und sind volatil.“ (OBS-Studie, Seite 53)
Teilhabe am Podcast-Boom
So sind seit 2011 verstärkt YouTube-Kanäle, seit 2012 Instagram-Accounts und seit 2017 Angebote auf Spotify hinzugekommen. Letzteres verweist auf den generellen Boom von Podcasts, die sich seit wenigen Jahren in Deutschland zunehmender Beliebtheit erfreuen und deren Nachfrage auch vom ÖRR bedient wird. Dementsprechend haben die Programme dieses Angebot zuletzt weiter ausgebaut: Die ARD hat z.B. eine gemeinsame Audiothek ihrer vielen Hörfunksender eingerichtet oder Funk diverse Podcasts gestartet. Das Deutschlandradio hat als bundesweite Rundfunkanstalt eine eigene App für smarte Endgeräte entwickelt, mit der die Inhalte ihrer drei Hörfunkprogramme digital zugänglich sind. Ähnliche Apps gibt es zudem für die Mediatheken von ARD, ZDF und Co., die in den entsprechenden Stores bereits millionenfach heruntergeladen worden sind.
Obwohl es viele ÖRR-Formate gibt, die exklusiv für soziale Netzwerke produziert werden (75), wird der überwiegende Anteil (198) zugleich über die bewährten linearen und die digitalen Kanäle ausgespielt. Dabei werden zu 90 Prozent mehrere Plattformen bzw. Netzwerke bedient. In der Folge werden lineare Inhalte zunehmen auch für die digitale Präsentation optimiert.
Kritik aus verschiedenen Richtungen
All dies zeigt, dass der ÖRR hinsichtlich der Digitalisierung durchaus versucht, mit der Zeit zu gehen und sich mit neuen Verbreitungswegen an die veränderte Mediennutzung der Bevölkerung anzupassen. Trotzdem erfährt auch dieser Kurs regelmäßig Kritik aus der Gesellschaft: Besonders privatwirtschaftliche Medien und Verlage warnen vor unfairer Konkurrenz durch „presseähnliche“, digitale Angebote des ÖRR. Andere Stimmen fordern hingegen noch mehr neues Denken und Offenheit für einen „Digitalen Public Value“. Neben der Erstellung innovativer digitaler Inhalte – siehe das Beispiel Funk – sei es nämlich ebenso wichtig, für deren Verbreitung „eine alternative Kommunikationsinfrastruktur zu den dominanten, kommerziellen Plattformen anzubieten“, die sich am Gemeinwohl orientiere. Die Idee eines öffentlich-rechtlichen Social-Media-Angebots hat dabei besonders aufgrund der umstrittenen Twitter-Übernahme durch Elon Musk an Zuspruch gewonnen.
Darüber hinaus wird auch der Aspekt der für den ÖRR genutzten Infrastruktur von einigen Akteuren diskutiert. So setzt sich Bitkom als Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsunternehmen dafür ein, die terrestrische Verbreitung der öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme kritisch zu überprüfen:
„Die Versorgung der derzeit noch rund 2,35 Millionen DVB-T2-Haushalte allein mit terrestrischem Fernsehen kostet die Öffentlich-Rechtlichen und damit die Beitragszahlenden fast 75 Millionen Euro jährlich. Die Verbreitung der Fernsehprogramme via Satellit oder in leitungsgebundener Form ist dagegen um ein Vielfaches günstiger.“
Mit Blick auf die technische Seite der Digitalisierung hat der Bayerische Rundfunk gemeinsam mit dem Institut für Rundfunktechnik und Telefónica Deutschland bereits 2019 ein Testprojekt gestartet, um die Rundfunkübertragung mittels der 5G-Technologie auszuprobieren. Die Frage der Verbreitungswege und Frequenzen für Fernseh- und Radiosender wird uns allerdings noch in den nächsten Jahren beschäftigen.
Zur Akzeptanz und Relevanz des ÖRR
Auf die gesellschaftliche Akzeptanz des ÖRR haben diese Debatten und Entwicklungen derweil nur wenig Einfluss. Während die Höhe des Rundfunkbeitrags regelmäßig für Unmut sorgt und ein rechts-konservatives Spektrum sich an Themen der Diversität und sozialen Gerechtigkeit im ÖRR stört, werden die Rundfunkangebote von vielen Menschen genutzt und wertgeschätzt. Gerade im Vergleich zum privaten Rundfunk und den sozialen Medien erfahre der ÖRR eine hohe Wertschätzung hinsichtlich gesellschaftlicher Relevanz und Glaubwürdigkeit, so das Ergebnis der Studie „Massenkommunikation Trends 2022“ im Auftrag von ARD und ZDF.
Weitere Erhebungen zum Thema zeigen zwar, dass es eine generationelle Spaltung hinsichtlich der Nutzung gibt: die Bedeutung des linearen Fernsehens ist bei älteren Menschen wesentlich größer, jüngere nutzen hingegen hauptsächlich Angebote auf Abruf. Aber auch in den jungen Zielgruppen sei der ÖRR „ein gefragter Orientierungsanker, der noch immer hohes Ansehen und große Akzeptanz genießt“, wie die Fachzeitschrift Media Perspektiven jüngst festgestellt hat.
Digitale Formate sind dabei durchaus ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bieten sie mehr Diskussions- und Austauschpotenzial als klassische Sendungen, können das Publikum stärker einbinden und so zur gesellschaftlichen Verankerung des ÖRR beitragen. Andererseits geht damit auch das Risiko einher, den interaktiven Raum für Desinformationen, Hate Speech und Spam-Kommentaren zu öffnen und so den gegenteiligen Effekt zu bewirken – wie es in vielen sozialen Netzwerken leider bereits der Fall ist.
Da dies aber ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und das positive Potenzial digitaler Formate vermutlich noch lange nicht ausgeschöpft ist (z.B. durch konsequente Moderation von Diskussionen), wird der ÖRR den digitalen Raum weiter bespielen. Etwas anderes bleibt ihm angesichts der fortschreitenden Digitalisierung auch gar nicht übrig, wenn er gesellschaftlich relevant bleiben möchte.
Zugleich ist dafür auch eine grundlegende Reform des ÖRR nötig, der von vielen als aufgebläht empfunden wird. In dem Zusammenhang wird es nicht nur um die mögliche Zusammenlegung von (redundanten) Sendeanstalten und -formaten gehen, sondern es sollte auch kritisch hinterfragt werden, ob es wirklich für jeden Sender und jede Sendung einen eigenen Insta-, TikTok- und Twitter-Kanal braucht – gerade mit Blick auf die Inhalte und Gebührengelder. Die aktuelle öffentliche Debatte über den ÖRR kann hierfür vielleicht ein erster, wichtiger Schritt sein.
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