Digitale Entscheidungshilfen zur Bundestagswahl: Das sind die Kinder des Wahl-O-Mats

Foto: Pixabay User damaris-unterwegs | CC0 1.0 | © bpb | Placeit | Ausschnitt bearbeitet | Montage
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Veröffentlicht am 09.09.2021

Laut Umfragen hat etwa ein Viertel der Wahlberechtigten noch keine Entscheidung für die Bundestagswahl am 26. September getroffen. An einem Mangel an digitalen Hilfsmitteln wird es nicht liegen. Denn im Superwahljahr stehen so viele (digitale) Wahltools zur Verfügung wie nie zuvor. Wir stellen sie vor: Die Kinder des Wahl-O-Mats.

Nicht nur der Wahlausgang bleibt bei der volatilen Lage der Umfragen und einer Vielzahl möglicher Koalitionen unübersichtlich. Eine Sprachanalyse der Universität Hohenheim hat nun auch nachgewiesen, was viele bereits so empfanden: Die Parteiprogramme bei dieser Bundestagswahl sind so unverständlich formuliert wie nie zuvor (das Wahljahr 1994 einmal ausgenommen). Doch erleben wir geradezu eine Flut nützlicher – und teils hochunterhaltsamer – Tools in der Tradition des Wahl-O-Mats, der mittlerweile so sehr zur Bundestags-Wahlroutine gehört wie die Urne, Desinformationskampagnen oder das nächste „Zerstörungsvideo“ des Youtubers Rezo.

In diesem Jahr lässt sich ein Trend besonders spezialisierter Wahl-O-Mat-Copycats feststellen. Nutzer:innen können sich gemäß ihrer politischen Interessen – sei es Agrarpolitik, Feminismus oder die Gesetzgebung für Startups – gezielt informieren. Während keines der Tools eine explizite Wahlempfehlung verspricht, sehen einige diese Entwicklung durchaus kritisch. Ob Zeichen einer lebendigen (digitalen) Demokratie oder ein trügerisches Informations-Versprechen, Wahltools nehmen längst Einfluss auf Wahlausgänge: Eine Meta-Studie der Hertie School in Berlin hat ergeben, dass Wähler:innen, die solche Apps nutzen, mit etwa 50 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit ihre Meinung darüber ändern, wo sie ihr Kreuz setzen wollen.

Damit Sie bei den vielen Angeboten nicht den Überblick verlieren und zielgenau die für Sie geeignete Wahl-Entscheidungshilfe wählen können, haben wir die verschiedenen Tools für Sie getestet.

Der Klassiker: Wahl-O-Mat

Grafik: © bpb

Zwar haben die „O-Mate“ gerade insbesondere in Deutschland Konjunktur, doch die ersten digitalen Wahlhilfen kamen noch auf Papier, dann auf Disketten aus den Niederlanden. Der Ursprung des deutschen Wahl-O-Mats liegt im niederländischen Tool StemWijzer, das seit 1985 vom Instituut voor Publiek en Politiek (IPP) angeboten wird. Seit 2002 gibt die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) den mit dem StemWijzer baugleichen Wahl-O-Mat heraus. Expert:innen aus Wissenschaft, Journalismus und Bildung sind gemeinsam mit 19 Jungwähler:innen für die Redaktion der Thesen zuständig. Allein bei der Bundestagswahl 2017 verzeichnete er 15,7 Millionen Aufrufe.

Wahl-O-Mat

Thema: allgemein
Stil: O-Mat*
Herausgegeben von: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)
Fragen oder Thesen: 38 Thesen
Gewichtungsmöglichkeit: ja
Parteien: 39 von 40 Parteien, die mit einer Landesliste zur Bundestagswahl antreten

*Unter dem O-Mat-Stil verstehen wir die Beantwortung einer Reihe von Fragen bzw. Thesen durch die User mit dem Produkt einer prozentual und als Ranking angegebenen Übereinstimmung mit einer Auswahl von Parteien.

Die Speziellen: Die Kinder des Wahl-O-Mats

Logo: Klimawahlcheck

In dieser Wahlperiode stechen aber insbesondere thematisch spezialisierte Formate hervor. So widmet sich der Klimawahlcheck der immer wichtiger werdenden Klimapolitik. Anders als der Wahl-O-Mat basieren die Positionen nicht auf eingeholten Antworten der Parteien selbst. Der Klimawahlcheck baut vielmehr auf eine Analyse von Parteiprogrammen durch die Kooperation der Klima Allianz Deutschland, der Initiative German Zero und des NABU. Nutzer:innen können zwischen sechs klimarelevanten Themen wählen: Energie, Mobilität, Industrie, Gebäude, Klimagerechtigkeit & Klimaziele sowie Landwirtschaft & Artenvielfalt.

Klimawahlcheck

Thema: Klimapolitik
Stil: O-Mat
Herausgegeben von: Klima Allianz Deutschland, German Zero, NABU
Fragen oder Thesen: je 5 Fragen in 6 Themenbereichen
Gewichtungsmöglichkeit: nein
Parteien: CDU, SPD, Grüne, FDP und Linke

Logo: bitkomat

Der Bitkomat wird vom Digitalverband Bitkom erstmals zu dieser Bundestagswahl herausgegeben und ist als digitalpolitische Entscheidungshilfe gedacht. Das Tool führt durch sechs Schwerpunkte: Politik & Verwaltung, Wirtschaft & Arbeit, Alltag & digitales Leben, Bildung & Teilhabe, Sicherheit & Datenschutz sowie Infrastruktur & Souveränität. Wissenschaftlich unterstützt wird er durch die NRW School of Governance. Grundlage sind die Antworten aller beteiligten Parteien, die sich zu den jeweiligen Thesen positioniert und ergänzende Erläuterungen abgegeben haben.

Zusätzlich hat der Verband mit den zugrundeliegenden Thesen des Bitkomats eine repräsentative Umfrage zu den digitalpolitischen Wünschen der Bundesbürger durchgeführt. Nutzer:innen können also nicht nur ihre Nähe zu den Parteien prüfen, sondern auch zum Rest der Wählerschaft.

Bitkomat

Thema: Digitalpolitik
Stil: O-Mat
Herausgegeben von: Bitkom
Fragen oder Thesen: insgesamt 29 Thesen in 6 Themenbereichen
Gewichtungsmöglichkeit: ja
Parteien: im Bundestag vertretene Parteien

Logo: Wahltraut

Die im Frühjahr 2020 gegründete feministische Initiative #stattblumen bietet mit Wahltraut ein Tool zu den Themen feministischer und Gleichstellungspolitik. Die Ergebnisse basieren auf einer Mischung aus den Antworten der Parteien und einer Auswertung durch ein Gremium aus Expert:innen von etablierten Institutionen wie UN Women oder der Amadeu Antonio Stiftung.

Wahltraut

Thema: Feministische und Gleichstellungspolitik
Stil: O-Mat
Herausgegeben von: Initiative #stattblumen
Fragen oder Thesen: 32 Thesen
Gewichtungsmöglichkeit: ja
Parteien: CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, Linke

Logo: Sozial-O-Mat

Für wen Sozialpolitik ein entscheidendes Wahlkriterium ist, dem hilft das Tool der Diakonie Deutschland, dem Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirchen in Deutschland. Der Sozial-O-Mat, welcher erstmals zur Bundestagswahl 2017 zur Verfügung stand, fokussiert die Themen Arbeit, Gesundheit, Familie und Kinder sowie Migration. Grundlage für die Auswertungen sind die Antworten der Parteien, die im Tool ebenfalls veröffentlicht sind.

Sozial-O-Mat

Thema: Sozialpolitik
Stil: O-Mat
Herausgegeben von: Diakonie Deutschland
Fragen oder Thesen: insgesamt 20 Thesen in 4 Themenbereichen
Gewichtungsmöglichkeit: nein
Parteien: im Bundestag vertretene Parteien

Screenshot: Start-O-Mat

Sie wollen, dass die Innovationskraft von deutschen Startups floriert und das Land gründungsfreundlicher wird? Dann könnte der Start-O-Mat etwas für Sie sein. Der Bundesverband Deutsche Startups hat die Bundestagsparteien mit Ausnahme der AfD über ihre Positionen zum Startup-Ökosystem befragt. Zusätzlich gibt es eine statistische Auswertung der Erwähnungen relevanter Themen in den Wahlprogrammen.

Start-O-Mat

Thema: Gesetzgebung für Startups
Stil: O-Mat
Herausgegeben von: Bundesverband Deutsche Startups
Fragen oder Thesen: insgesamt 26 Thesen in 13 Themenbereichen
Gewichtungsmöglichkeit: nein
Parteien: CDU/CSU, SPD, FDP, Linke, Grüne

Logo: Progressomaschine

Die Progressomaschine konzentriert sich hingegen – man mag es erahnen – auf progressive Politik. Klimaschutz, Tierschutz, Arbeitnehmerschutz, Schutz vor Diskriminierung: Eine breite Palette progressiver Kernthemen deckt das Tool ebenso ab wie eine Auswertung auch kleinster progressiver Parteien. Mehr als 30 zivilgesellschaftliche Organisationen haben diese Entscheidungshilfe mitentwickelt, gefördert wurde es unter anderem von der Alfred Landecker Stiftung und dem Aktion Mensch e.V.

Progressomaschine

Thema: Progressive Politik
Stil: O-Mat
Herausgegeben von: Verbund zivilgesellschaftlicher Organisationen
Fragen oder Thesen: insgesamt 33 Thesen in 13 Themenbereichen
Gewichtungsmöglichkeit: ja
Parteien: CDU, SPD, FDP, Linke, Grüne, Freie Wähler, ÖDP, VOLT, Piraten, Partei für Gesundheitsforschung

Logo: Agrar-O-Mat

2021 haben die Landwirte der Bundesrepublik ihren Unmut mit großen Demonstrationen kundgetan. So sammelten sich im März tausende Traktoren vor den zuständigen Lokal- und Bundesbehörden. Dennoch spielt die Agrarpolitik kaum eine Rolle vor dem Höhepunkt dieses Superwahljahrs. Mit dem Agrar-O-Mat können sich Interessierte dennoch informieren, welche Partei ihnen bei diesem Thema am nächsten steht.

Agrar-O-Mat

Thema: Agrarpolitik
Stil: O-Mat
Herausgegeben von: Agrarheute (Nachrichtenportal über Landwirtschaft)
Fragen oder Thesen: 24 Thesen
Gewichtungsmöglichkeit: ja
Parteien: im Bundestag vertretene Parteien

Die Besonderen: Die Enkel des Wahl-O-Mats

Neben der sprunghaften Vermehrung spezialisierter „O-Mate“ finden sich zunehmend auch Formate, welche die Idee des Wahl-O-Mats weiterdenken, verfeinern oder gar fundamental erneuern.

Logo: Polit-Kompass
Logo: Wahl-Kompass

So bietet eine Forschungsgruppe der Universität Münster gleich zwei Varianten, die einem mehr als ein Parteiranking und Prozente der Übereinstimmung bieten. Nachdem man sich durch 30 Thesen geklickt hat, verortet das Format die eigene Position auf einem Koordinatensystem mit den Achsen „Umverteilung“ bis „Eigene Verantwortung“ sowie „Konservativ-Traditionell“ bis „Progressiv-Ökologisch“, in denen auch ein Dutzend Parteien markiert sind. Während der Wahl-Kompass speziell Thesen zur Bundestagswahl abfragt, gibt der Polit-Kompass eine eher allgemeine Orientierung über das Superwahljahr hinaus.

Wahl-Kompass

Thema: allgemein (Bundestagswahl)
Stil: Verortung auf einem politischen Koordinatensystem
Herausgegeben von: Projekt PRECEDE an der Universität Münster
Fragen oder Thesen: 30 Thesen
Gewichtungsmöglichkeit: nein
Parteien: CDU/CSU, SPD, FDP, Linke, Grüne, AfD, Freie Wähler, Piraten, Die Partei, ÖDP, VOLT, Tierschutzpartei

Polit-Kompass

Thema: allgemein
Stil: Verortung auf einem politischen Koordinatensystem
Herausgegeben von: Projekt PRECEDE an der Universität Münster
Fragen oder Thesen: 30 Thesen
Gewichtungsmöglichkeit: nein
Parteien: CDU, CSU, SPD, FDP, Linke, Grüne, AfD, Freie Wähler, Piraten, Die Partei, ÖDP, VOLT

Logo: Wahlswiper

Eine Wahlentscheidungssuche wie beim Online-Dating? Wer lieber wischt als klickt, kann sein politisches Match auch mit dem WahlSwiper finden. Für dieses Tool haben die Parteien Fragebögen ausgefüllt, aus denen Wissenschaftler:innen der Universität Freiburg 36 Fragen entwickelten, die man per Swipe beantworten darf.

WahlSwiper

Thema: allgemein
Stil: Swiping
Herausgegeben von: Verein VoteSwiper
Fragen oder Thesen: 36 Fragen
Gewichtungsmöglichkeit: ja
Parteien: 36 bei der Bundestagswahl antretende Parteien

Logo: DeinWahl

Wahlversprechen bleiben – bisweilen – Versprechen und lassen sich wohl – bisweilen – nicht zuverlässig in das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Parteien und ihrer Abgeordneten umrechnen. So vertraut das Tool DeinWal auch lieber auf eine Auswertung eben dieses Abstimmungsverhaltens. Nicht zuletzt bietet es zusätzlich Hintergrundinformationen, wenn sich der:die Nutzer:in bei einer Frage unsicher ist. Ein mit großen Augen illustrierter Wal optimiert die User Experience.

DeinWal

Thema: allgemein
Stil: Auswertung anhand des Abstimmungsverhaltens der Parteien
Herausgegeben von: dreiköpfiges Team
Fragen oder Thesen: 25 Thesen in 4 Themenbereichen
Gewichtungsmöglichkeit: ja
Parteien: im Bundestag vertretene Parteien

Logo: KandidierendenCheck

Selbstverständlich werden auch in den nächsten Bundestag nicht nur Parteien, sondern insbesondere auch Menschen gewählt. Während uns die Spitzenkandidat:innen der Parteien unumgänglich in den linearen und sozialen Medien begegnen, sind die um unsere Erststimme werbenden Direktkandidat:innen oft weniger bekannt. Abhilfe schafft hier der Kandidierenden-Check von abgeordnetenwatch.de. Durch die Angabe der eigenen Postleitzahl werden Interessierte zu einer auf den eigenen Wahlkreis spezialisierten Thesenauswertung geführt.

Kandidierenden-Check

Thema: allgemein
Stil: Kandidierende statt Parteien
Herausgegeben von: abgeordnetwatch.de
Fragen oder Thesen: 24 Thesen
Gewichtungsmöglichkeit: nein
Parteien: alle mitmachenden Kandidat:innen

Logo: Steuer-O-Mat

Werden Sie von den Steuerplänen der Parteien profitieren? Mit dieser Frage können Sie sich an das Wahlhilfe-Tool des Instituts der Deutschen Wirtschaft wenden. Der Steuer-O-Mat unterscheidet sich trotz seines Namens deutlich von der Anwendung des Wahl-O-Mats. Die App errechnet anhand Ihres Jahresbruttoeinkommens, Familienstands und der Kinderzahl die Differenz ihrer Steuerbelastung pro Jahr – geordnet nach den Wahlversprechen der sechs im Bundestag vertretenen Parteien.

Steuer-O-Mat

Thema: Steuern
Stil: Dateneingabe
Herausgegeben von: Institut der Deutschen Wirtschaft
Fragen oder Thesen: Abfrage von Einkommen, Familienstand und Kinderzahl
Gewichtungsmöglichkeit: nein
Parteien: im Bundestag vertretene Parteien

Screenshot: deezer Musik-O-Mat

Für Aufsehen hat in den letzten Wochen auch ein Launch des Musik-Streamingdienstes Deezer gesorgt. Denn mit dessen Tool Musik-O-Mat können Interessierte ab sofort feststellen, wie nahe der eigene Musikgeschmack denen der Parteien steht. Die Auswertung erfolgt anhand einer Umfrage unter Parteianhänger:innen sowie den Antworten der Parteien. Ein Spoiler: Beyoncé steht gleichermaßen bei der FDP und den Grünen hoch im Kurs.

Musik-O-Mat

Thema: Musik
Stil: Abfrage musikalischer Vorlieben
Herausgegeben von: Deezer
Fragen oder Thesen: 9 Fragen
Gewichtungsmöglichkeit: nein
Parteien: CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, Linke

Jenseits der Bundestagswahl

Auch jenseits der Bundestagswahl florieren digitale Entscheidungshilfen zu verschiedensten Zwecken. Mit dem Mitwirk-O-Mat beispielsweise können Interessierte Möglichkeiten für soziales Engagement in ihrer Umgebung finden. Und der Lokal-O-Mat informiert ebenso über kommunale Wahlen wie die Voto-App.

Und nicht vergessen: Am 26. September werden neben dem Bundestag auch die Landesparlamente in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gewählt. Für beide Wahlen stehen Varianten sowohl des Wahl-O-Mats als auch des WahlSwipers bereit. In der Hauptstadt werden sie vom Berlin-O-Mat des Tagesspiegels ergänzt. Zusätzlich zur Abgeordnetenhauswahl bietet dieser auch eine Thesenauswertung für die Bezirksverordnetenversammlungen.

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Klicken, Swipen und nicht zuletzt: Wählen!

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