Digitale Disruption: Sieben Trends, die viele Firmen noch nicht kommen sehen

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Veröffentlicht am 05.02.2019

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Überall spricht man heute von Disruption: der Verdrängung von traditionellen Geschäftsmodellen oder Produkten durch neue Technik. Sie erfasst auch die Digital-Branche, obwohl sie immer noch zu den jüngsten Wirtschaftsbereichen gehört. Die Marktforscher von Gartner haben deshalb eine interessante Analyse veröffentlicht: sieben digitale Disruptionen, auf die viele Unternehmen bisher nicht vorbereitet sind. Dabei geht es um Veränderungen, an welche die meisten Firmen noch gar nicht denken. Obwohl die Technik schon längst die Labore verlassen hat.

Digitale Disruptionen sind heute die größten Herausausforderungen für Unternehmen und Technologieanbieter“, sagt Daryl Plummer, Vice President und Fellow bei Gartner. „Die virtuelle Natur dieser Umbrüche macht es viel schwerer, mit ihnen umzugehen, als es bei früheren Technik-Revolutionen war.“ Die CIOs in Unternehmen müssten deshalb mit ihren Kollegen zusammenarbeiten, um digitalen Disruptionen ihrer Geschäftsbereiche zuvorzukommen, indem sie zu Experten für das Erkennen, Priorisieren und Reagieren auf frühe Anzeichen werden. Die neuen Entwicklungen kommen aus den verschiedensten Bereichen.

Quantencomputer: Alles gleichzeitig berechnen

Quantencomputer sind neuartige Rechner, die sich die Quantenzustände von subatomaren Teilchen zunutze machen. Während bisherige Computer noch mit Binär-Bits rechnen, die nur auf Null oder Eins stehen können, nutzen Quantencomputer die neuen Qubits, die sich gewissermaßen gleichzeitig in beiden Zuständen befinden. Dadurch können sie Millionen von Rechenschritten parallel ausführen, außerdem lassen sich mehrere Qubits zu einem Quantengatter verknüpfen. Der große Vorteil: Während ein klassischer PC mit 16 Bits nur einen von 65536 Werten kodieren kann, kann ein Rechner mit 16 Qubits alle 65536 Werte gleichzeitig verarbeiten. Ein Quantenregister mit nur 250 Qubits könnte theoretisch mehr Zahlen gleichzeitig speichern als es Atome im Universum gibt. Das macht die Berechnungen unglaublich schnell.

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Heutige Datenwissenschaftler, die sich mit maschinellem Lernen oder künstlicher Intelligenz befassen, können bestimmte schwierige und komplexe Aufgabenstellungen einfach nicht lösen, weil die Rechenkapazität der bisherigen Computer-Architekturen nicht ausreicht“, sagt Plummer. „Viele dieser Berechnungen würden selbst auf den schnellsten Supercomputern noch Monate oder sogar Jahre benötigen. Aber Quantencomputer führen riesige Mengen von Berechnungen in wenigen Sekunden parallel aus, wodurch sie auch die schwierigsten Problemstellungen lösen können, indem sie alle möglichen Varianten gleichzeitig ausprobieren. Das mache sie auch für Unternehmen interessant, sagt Plummer. Er warnt aber auch vor dem Hype, den es momentan um die Quantencomputer gibt. Sie ließen sich bisher nur für sehr bestimmte Zwecke nutzen, aber nicht als Allzweck-Computer.

Echtzeit-Sprachübersetzung: Der Babelfisch kommt

Moderne Echtzeit-Sprachübersetzungen können die Kommunikation auf der ganzen Welt verändern. Schon jetzt gibt es Kopfhörer mit integriertem Übersetzer oder Services wie den Skype Translator, der Video-Telefonate bei Skype gleich in Echtzeit übersetzt. Das funktioniert fast genauso wie der Babelfisch aus dem Buch Per Anhalter durch die Galaxis. Diese Entwicklung reißt Sprachbarrieren ein, doch sie bringt auch Umbrüche für mehrere Berufsgruppen. Wer braucht eigentlich noch Dolmetscher und Übersetzer, wenn Maschinen ihre Arbeit so schnell erledigen? Gartner empfiehlt natürlich gleich, dass vor allem internationale Unternehmen die neue Technik nutzen sollten.

Nanotechnik: Maschinenbau aus einzelnen Atomen

Nanotechnik ist eine Art Maschinenbau, der im Nanobereich ausgeführt wird: von 1 bis 100 Nanometer. Damit sind Konstruktionen möglich, die nur aus einzelnen Atomen oder Molekülen bestehen. Diese neue Technik wird eingesetzt, um erstaunliche Effekte in der Materialwissenschaft zu erzielen: zum Beispiel Werkstoffe, die sich selbst wieder heilen können, wenn sie Kratzer bekommen. Gartner erwartet auch schon bald die ersten 3D-Drucker im Nano-Maßstab. Sie sollen organisches Material oder menschliches Gewebe aus Stammzellen drucken, um damit Organe zu reparieren. Das kennt man bisher nur aus Star Trek.

Schwarmintelligenz: Viele kleine Roboter

Die Digitalisierung wird auch die bisherigen Management-Methoden an ihre Grenzen bringen, prognostiziert Gartner. Schon bald müssten Unternehmen in Echtzeit über unvorhersehbare Ereignisse entscheiden und sich dabei auf Informationen aus unendlich vielen Quellen verlassen: beispielsweise auf Daten aus Millionen von vernetzten Geräten im Internet der Dinge, die gar nicht zur eigenen Firma gehören. Menschen seien dafür zu langsam, sagt Gartner, und künstliche Intelligenz oft zu teuer.

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Deshalb soll nun die preisgünstige Schwarmintelligenz helfen: dezentrale, selbstorganisierende Systeme aus vielen Robotern oder Software-Agenten, die immer nur wenig Rechnerkapazität benötigen und einfache Regeln befolgen, wenn sie ihre Aktivitäten koordinieren. Sie lassen sich schnell und günstig austauschen oder ergänzen. Dadurch kann man diese Schwärme beliebig vergrößern oder verkleinern. CIOs sollten sich deshalb bald mit den Konzepten des Skalierungsmanagements beschäftigen, empfiehlt Gartner, besonders wenn es um digitale Geschäftsmodelle geht.

HMI: Lautlos mit Maschinen sprechen

Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine (Human-Machine Interface, HMI) gewinnt immer mehr an Bedeutung. Bedienoberflächen und Interaktionskonzepte bestimmen entscheidend darüber, wie Mensch und Technik miteinander kommunizieren können. Das erklärt beispielsweise den Erfolg des iPhone, das nach seiner Markteinführung die bisherigen Smartphones schnell alt aussehen ließ. Gartner geht davon aus, sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren noch verstärkt. Schon bald werde es auch spezielle HMI für Menschen mit Behinderungen geben, die nicht nur das Arbeiten erleichtern, sondern manchen sogar „Superfähigkeiten geben sollen.

Sie würden so gut sein, dass schnell auch Menschen ohne Behinderung diese Technik nutzen möchten. Ein Beispiel sind elektromyographische Wearables, mit denen sich Smartphones steuern lassen, ohne dass man sie in die Hand nehmen muss. Sensoren auf der Haut erfassen elektrische Signale, die bei den kleinsten Muskelbewegungen entstehen. Das HMI interpretiert diese Gesten und sendet sie an das Gerät, obwohl der Benutzer keinen Finger bewegt hat. Im April stellte beispielsweise das Massachusetts Institute of Technology sein AlterEgo vor: einen Plastikbügel, der übers Ohr hängt und bis zum Unterkiefer reicht. Dort erfasst er Wörter, die der Benutzer nur denkt, weil dabei Signale in den Gesichtsmuskeln entstehen.

Software-Vertrieb: Auf den Marktplatz kommt es an

Der Software-Handel befindet sich in einem grundlegenden Wandel, sagt Gartner. Die Lokalisierung, der Verkauf und die Updates der Programme liefen heute über spezielle Software-Vertriebsmärkte. Und durch den Einsatz von Cloud-Lösungen würden diese Märkte immer wichtiger. Die Cloud-Anbieter müssten es deshalb den Kunden immer einfacher machen, ihre Angebote – aber auch die Software von anderen Unternehmen – zu kaufen. Unabhängige Software-Anbieter würden gleichzeitig erkennen, wie wichtig es ist, breite Käuferschichten zu erreichen. Es sei deshalb entscheidend, eigene Marktplätze aufzubauen oder auf Marktplätzen der anderen Unternehmen gut vertreten zu sein.

Smartphone verschwindet: VPA und Wearables übernehmen

Neue Geräte, wie virtuelle persönliche Assistenten (VPA), Smartwatches und Wearables, werden die Nutzung von Smartphones verändern, erwartet Gartner. „Smartphones sind heute noch wichtig für Kommunikation und Medienkonsum, sagt Daryl Plummer. „Aber mit der Zeit sehen wir sie immer seltener, weil sie in der Tasche oder im Rucksack bleiben.“ Stattdessen würden die Menschen eine Kombination aus Spracheingabe, VPA-Technik und Wearables nutzen, um sich auf der Straße, in Läden oder in Flughäfen zurechtzufinden. Die Zeit der Smombies, die mit gebeugten Rücken auf die Bildschirme ihrer Smartphones starren, sein vorbei. Unternehmen sollten deshalb bereits jetzt auf die Wearability ihrer Produkte achten, empfehlen die Marktforscher. Um auf die Disruption vorbereitet zu sein, die bald auch die Smartphones erwartet.

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