Digitale Desinformation: Welche Methoden man kennen sollte

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Von Hannah Schimmele und Benjamin Triebe

Desinformation im digitalen Raum gehört zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit – speziell vor Wahlen. Welche Methoden und Kampagnen für die gezielte Verbreitung von Falschinformationen mittlerweile bekannt sind, fassen Hannah Schimmele und Benjamin Triebe zusammen, die bei polisphere digitale Desinformation beobachten und erforschen.

Kurz vor der Europawahl mehren sich die Warnungen vor Beeinflussungsversuchen und digitaler Desinformation. Sowohl die EU-Institutionen als auch Expert:innen und die großen Tech-Unternehmen zeigten sich deshalb zuletzt besorgt. Im Fokus steht dabei vor allem Russland, das seit mehreren Jahren mit hybriden Maßnahmen operiert und auf multi-dimensionaler Ebene unser demokratisches System und unsere nationale Sicherheit angreift. An aktuellen Beispielen dafür mangelt es nicht: Man denke nur an die jüngsten Spionagefälle, den Fall Jan Marsalek, das Taurus-Leak, Hackerangriffe gegen deutsche Parteien oder die Enthüllungen zum Netzwerk von Voice of Europe.

Zersetzung der Demokratie für eigene Ziele

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Besonders spürbar ist diese Herausforderung in der (digitalen) Informationssphäre und in den sozialen Medien, wo es ebenfalls viele Beispiele für Desinformation gibt – sei es auf X/Twitter, Facebook oder Telegram. Die Ziele von staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren, die hinter entsprechenden Kampagnen stecken, sind in der Regel eindeutig: Mittels gezielter Falschnachrichten sollen bestimmte Narrative und Verschwörungserzählungen verbreitet werden, um

  • politische Stimmungsbilder zu erzeugen oder vorzutäuschen;
  • die öffentliche Meinung und damit Wahlergebnisse oder politische Entscheidungen zu beeinflussen;
  • das Vertrauen in politische Institutionen und Medien zu untergraben und die gesellschaftliche Polarisierung zu fördern.

Mit Blick auf das aktuelle Superwahljahr steht besonders die konkrete Beeinflussung von Wahlausgängen im Vordergrund, um anti-demokratische und illiberale Akteure zu stärken, die letztlich die Zersetzung der aktuellen politischen Kultur und des demokratischen Systems von innen heraus vorantreiben können.

Russland versucht zudem insbesondere die Unterstützung anderer Länder für die Ukraine zu unterminieren, etwa indem Stimmung gegen ukrainische Geflüchtete und gegen Waffenlieferungen für das angegriffene Land gemacht wird. Jüngste Beispiele hierfür waren die Bettwanzen-Kampagne in Frankreich oder die Wahlen in der Slowakei.

Methoden und Elemente digitaler Desinformation

Die Methoden, die dabei zur Anwendung kommen, lassen sich gut an weiteren Beispielen für Desinformation im digitalen Raum illustrieren. Eines der ersten Exempel, das in Deutschland größere Bekanntheit erlangt hat, ist der “Fall Lisa” vom Januar 2016. Dabei wurde deutlich, wie russische Staatsmedien im Zusammenspiel mit Netzwerken auf sozialen Medien und Messenger-Diensten eine polarisierte politische Lage nutzen können, um mittels einer Falschnachricht Demos gegen Migration, “Merkels Flüchtlingspolitik” und staatliche Institutionen hervorzurufen.

Mittlerweile wirken meist mehrere Elemente gezielt zusammen, um Desinformation möglichst weit zu verbreiten:

  • Medien bzw. deren Webseiten, wie von RT (ehemals Russia Today) oder dem Anti-Spiegel mit potentiellen Verbindungen zum Kreml. Es gibt aber auch eine Vielzahl von harmlos anmutenden Medien, die eher unterschwellig oder über Umwege wie Esoterik oder Spiritualität Propaganda-Elemente verbauen.
  • Online-Plattformen wie Pravda, die kaum eigene Inhalte erstellen und hauptsächlich die Inhalte anderer Quellen weiterverbreiten.
  • Influencer, die Propaganda auf ihren Social Media-Accounts verbreiten, entweder aus Überzeugung oder gegen Bezahlung. Ein bekanntes Beispiel ist die pro-russische Influencerin Alina Lipp, aber auch China nutzt dieses Instrument in seinem Sinne.
  • Account-Netzwerke in sozialen Medien, die fast gleichlautende Inhalte verbreiten, um deren Reichweite gegenseitig zu verstärken und per Trends in die Feeds anderer User zu bringen. Hierfür werden teilweise auch bereits KI-Chatbots verwendet.
  • Fake-Accounts und Bots, die oft Teil der Account-Netzwerke sind und bestimmte Identitäten vortäuschen, um authentisch wirkende Desinformationsinhalte verbreiten zu können. Beispiele hierfür sind etwa die chinesische Spamouflage-Kampagne in den USA oder eine bekannt gewordene CIA-Operation gegen China.
  • Politiker:innen, die die Talking Points ausländischer Akteure in die Parlamente tragen und auf Social Media weiterverbreiten. Zum Beispiel russlandfreundliche Abgeordnete, die entsprechende Positionen im Bundestag oder Europäischen Parlament vertreten und so zur schleichenden Verankerung bestimmter Narrative im politischen Diskurs beitragen.
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Foto: Pixabay User simonschmid614 | CC0 1.0 | Auschnitt bearbeitet

Umfangreiche Netzwerke und Kampagnen

Wie die verschiedenen Methoden ineinandergreifen können, zeigt die Doppelgänger-Kampagne, die sinnbildlich ist für russische Einflussoperationen. Im Mittelpunkt des groß angelegten und seit Mai 2022 aktiven Netzwerks stehen gefälschte Webseiten, die die Internetauftritte von etablierten Medien und offiziellen Regierungsstellen imitieren, um Botschaften des Kreml oder Meldungen von halb-staatlichen Akteuren wie RT weiterzuverbreiten. Bisher wurden fast 4.000 solcher Seiten aufgespürt.

Dazu gehören auch vermeintlich authentische News-Webseiten wie “Recent Reliable News”, die als zentrale Content-Quelle für die Weiterverbreitung in den sozialen Medien dienen. Dort werden die Seiten und Inhalte wiederum von Bots und Account-Netzwerken amplifiziert. Erst im Januar hatte das Auswärtige Amt eine Kampagne aus diesem Netzwerk aufgedeckt, bei der mehr als 50.000 gefälschte Nutzerkonten allein auf X/Twitter versucht haben, Unmut gegen die Ampel-Regierung zu schüren. Weitere Aktionen, die dem Doppelgänger-Netzwerk potenziell zugeordnet werden, sind z.B. hybride Operationen wie Davidsterne an Pariser Hauswänden oder eine Kampagne auf Facebook, die per Werbeanzeigen erfundene Zitate neben Bildern von Promis wie Taylor Swift verbreitete.

Nicht unterschätzt werden darf zudem die Rolle von Telegram, wo es ein großes Netzwerk von Kanälen und Influencern gibt, die pro-russische Desinformation und Propaganda aufgreifen und weiterverbreiten – bis diese es sogar in den Bundestag schafft, aktuell etwa Behauptungen zum angeblich gebrochenen Zwei-plus-Vier-Vertrag oder zu Biowaffenlaboren im Jahr 2022. Allein diese Beispiele zeigen, wie umfangreich und wirksam die Desinformationsnetzwerke im digitalen Raum seit Jahren arbeiten.

Wir müssen als Gesellschaft gegensteuern

Um dem etwas entgegenzusetzen hat speziell die Europäische Union mittlerweile eine ganze Reihe an neuen Maßnahmen beschlossen bzw. in die Wege geleitet: vom Digital Services Act, über Leitlinien der EU-Kommission zur Bekämpfung von politischen Falschinformationen und mehr Austausch zwischen den EU-Staaten bis zu einem Verhaltenskodex der europäischen Parteien für die Europawahl.

Da man den Urhebern und Profiteuren von (ausländischer) Desinformation aber nur schwer Herr werden kann, kommt es insbesondere auf das Verhalten der großen digitalen Plattformen gegenüber gezielter Falschinformation an, um deren Weiterverbreitung zu verhindern. Hier für ein schärferes Vorgehen zu sorgen, etwa durch EU-Verfahren zur Durchsetzung des DSA wie aktuell gegen Facebook und Instagram, scheint leider unumgänglich zu sein, wie die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigen.

Aber auch die Nutzer:innen sollten für das Auftreten und die Gefahren digitaler Desinformation stärker sensibilisiert werden, etwa durch die Initiative „Jahr der Nachricht “, Faktencheck-Portale wie Elections24Check zur Europawahl oder durch Disclaimer bzw. Community Notes auf den Plattformen selbst. Denn letztlich ist das beste Mittel zur Bekämpfung von Desinformation mehr gesamtgesellschaftliche Resilienz.

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation mit polisphere auf der Webseite BASECAMP.digital erschienen.

Mehr Informationen:

Digitale Desinformation: Eine Herausforderung für Wahlen und Demokratie
Richtlinien gegen Desinformation: So ist der Stand bei den großen Plattformen

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