Interview mit Heinz-Peter Meidinger: Es wäre vorstellbar, dass ein Teil des Stundenplans ausschließlich digital abgedeckt wird.
Pressefoto Heinz-Peter Meidinger: Deutscher Lehrerverband
Vor Weihnachten wurden die Schüler*innen in Deutschland nach Hause geschickt – seitdem ist Fernunterricht angesagt. Was funktioniert dabei und was nicht? Wo liegt die Zukunft des digitalen Lernens und der digitalen Schule? Darüber haben wir mit denen gesprochen, die es betrifft: den Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern. Im ersten Teil unserer dreiteiligen Interviewreihe kommt Heinz-Peter Meidinger zu Wort. Er ist Gymnasiallehrer und der Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Aus Seiner Sicht läuft es im zweiten schon einmal besser als im ersten Lockdown. Es bleibe aber noch einiges zu tun.
Die Corona-Pandemie erzwang im vergangenen Jahr und jetzt erneut eine Umstellung auf Fernunterricht und digitale Ausweichlösungen. Was hat gut funktioniert und wo hat es gehakt?
Bei allen Problemen, die es nach wie vor beim Distanzunterricht gibt, läuft er auf jeden Fall jetzt im Januar und Februar deutlich besser als beim letzten Lockdown, auf den ja niemand eingestellt war. Nach wie vor hakt es zwar beim Funktionsumfang, dem Datenschutz und der Belastbarkeit von einigen Lernplattformen und nach wie vor sind auch die Fortschritte bei der Versorgung der deutschen Schulen mit schnellem Internet viel zu gering – die Hälfte der Schulen hat kein Breitband, keine Glasfaseranschlüsse. Die große Mehrzahl der Schulen hat aber viel Energie in den Aufbau passgenauer und spezifischer Lösungen vor Ort gesteckt. Zum Teil ist man dabei auch auf kommerzielle Produkte wie etwa MS Teams umgestiegen. Unsere Rückmeldungen von der „Schulfront“ zeigen eindeutig, dass es besser läuft. Dazu kommt, dass es einen spürbaren digitalen Fortbildungsschub bei den Lehrkräften gegeben hat und auch die vom Bund finanzierten Leihgeräte für Kinder und Jugendliche, die zuhause keinen Computer nutzen konnten (bis zu 1 Million Geräte), weitgehend verteilt sind.
Es gibt aber noch einige weitere Baustellen, etwa die Versorgung der Lehrkräfte mit den versprochenen Dienst-Laptops. Dieses Programm steckt vielfach bei den Kommunen fest, die Angst davor haben, dass die Folgekosten bei ihnen hängenbleiben. Auch die zugesagten günstigen Internettarife für Schülerinnen und Schüler sind noch Zukunftsmusik, genauso wie die von der Politik in Aussicht gestellte professionelle Betreuung der IT-Systeme nur selten gegeben ist.
Und es bleibt ein großes Problem des Distanzunterrichts: Selbst mit dem besten Fernunterricht erreichen wir nicht die Effektivität des Präsenzunterrichts, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die eine besondere persönliche Förderung brauchen, beispielsweise Kinder ohne elterliche Unterstützung, Schüler mit Handicaps und Förderbedarf, Jugendliche mit Sprachproblemen und Migrationsgeschichte oder von Hause aus schwer motivierbare Schülergruppen. Von denen tauchen erfahrungsgemäß unabhängig von der Güte des Digitalunterrichts viele in den Distanzlernphasen ab.
Was brauchen wir für einen funktionierenden Schulalltag und einen guten Fernunterricht in der Pandemie?
Schulen brauchen für einen guten Fernunterricht eine ausreichende IT-Infrastruktur, insbesondere schnelles Internet und eine hohe WLAN-Ausleuchtung, eine moderne Ausstattung an dafür erforderlichen Geräten in der Schule, z.B. Smartboards, Dokumentenkameras, Mikrofone. Und entsprechend geschulte Lehrkräfte, eine professionelle Betreuung der IT-Systeme, klare Anweisungen und Regeln der Ministerien für den Digitalunterricht hinsichtlich Anwesenheitspflicht, Leistungserhebungen, Prüfungen, sowie einen zeitlichen Vorlauf für die Vorbereitung auf neue Distanzlernphasen. Sehr schwierig wird es für Lehrkräfte, wenn neben dem Distanzunterricht auch noch Wechselbetrieb zwischen Präsenz- und Fernunterricht in halben Klassen geleistet werden soll. Also wenn ein paar Jahrgangsstufen bereits im Wechsel- oder Vollbetrieb sind, andere jedoch noch per Distanz beschult werden sollen. Das „zerreißt“ derzeit viele Lehrkräfte.
Blicken wir auf die Zeit nach der Pandemie: Was macht eine gute digitale Schule und guten digitalen Unterricht Ihrer Ansicht nach aus – was konkret brauchen Schulen, Lehrende und Lernende?
Unsere Idee von der Zeit nach der Pandemie ist die, dass wir die neuen Erkenntnisse und Kompetenzen mit in unsere Vorstellung von gutem Unterricht mitnehmen und sie weiterhin nutzen und fortentwickeln. Die Basis der Schule wird weiterhin Präsenzunterricht sein, aber die neu erkannten Möglichkeiten und Chancen digitaler Tools sollten darin verstärkt einfließen, also etwa was die Verbreiterung der Kommunikation, die Vernetzung, Möglichkeiten des kollaborativen Arbeitens und den Einsatz von Software, Lernvideos usw. anbetrifft.
Es wäre sogar vorstellbar, dass beispielsweise in der Oberstufe von allgemein- und berufsbildenden Schulen ein (kleinerer) Teil des Stundenplans weiter nicht in Präsenz, sondern ausschließlich digital abgedeckt wird.
Dieses Jahr sind Bundestagswahlen, was wünschen Sie sich für die nächste Legislaturperiode?
Aufgrund des Bildungsföderalismus wird über die zukünftige Bildungs- und Schulpolitik in erster Linie in den Bundesländern entschieden. Was wir uns aber vom Bund wünschen, ist einen zweiten Digitalpakt, der die Modernisierung und Digitalisierung der Schulen weiter vorantreibt und unterstützt. Aufgrund der Finanznot mancher Bundesländer sind diese dazu alleine nicht imstande. Vorher muss aber alles getan werden, um die Mittel des 1. Digitalpakts komplett abzurufen. Die bürokratischen Mühlen zwischen Bund, Länder und Kommunen arbeiten immer noch viel zu langsam.
Serie #Digitale Bildung
Interview mit Verena Pausder: „Das Curriculum radikal ausmisten“
Interview mit Tobias Fritz: Corona öffnet die Schere bei den Bildungschancen.