Digitale Agenda 2.0: Koalitionsvertrag, und jetzt?

Foto: CC Public Domain Mark 1.0 Flickr User Many Wonderful Artists. Bildname: artificial-intelligence. Ausschnitt bearbeitet.
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Veröffentlicht am 21.03.2018
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Inzwischen ist nicht nur klar, was die Große Koalition digitalpolitisch erreichen will und wer die verschiedenen Ressorts leitet, in denen in den kommenden dreieinhalb Jahren Fragen der Digitalisierung behandelt werden. Es wird auch wieder über Prioritäten bei der Umsetzung der Maßnahmen diskutiert. Die von den Digitalpolitikern der letzten Legislatur gefürchteten Excel-Listen mit netzpolitischen Aufgabenfeldern könnten mittelfristig in eine „Digitale Agenda 2.0“ gegossen werden. Das hofft beispielsweise der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann. Klar ist aber auch: Um spezielle Kompetenzen, wie zum Beispiel für E-Government und die IT-Sicherheit, wird innerhalb der Bundesregierung weiterhin gerungen.

Kompetenzen für E-Government und IT-Sicherheit

Dass der Chef des Bundeskanzleramtes Helge Braun (CDU) und Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) in dieser Legislaturperiode für die Koordinierung der Digitalpolitik verantwortlich sein würden, war bekannt. Dass auch einige zentrale Referate vom Bundesinnenministerium (BMI) abgezogen und ins Bundeskanzleramt ziehen würden, bestätigte der Organisationserlass, den die Bundesregierung bei der ersten Kabinettssitzung am 14. März beschlossen hatte. Dort heißt es bei Punkt IV:

„Dem Bundeskanzleramt werden aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat die Zuständigkeit für die IT-Steuerung des Bundes, für die Geschäftsstelle IT-Rat sowie die gemeinsame IT des Bundes übertragen.“

Bisher lagen diese Aufgaben im BMI in der Unterabteilung IT I unter Staatssekretär und Bundes-CIO Klaus Vitt sowie IT-Direktor Peter Batt. Im Koalitionsvertrag ist die Rede davon, dass der Beauftragte der Bundesregierung für die Informationstechnik – derzeit BMI-Staatssekretär Vitt – in seiner Rolle bei der IT-Konsolidierung des Bundes gestärkt werden soll.

Der CDU-Innenpolitiker Marian Wendt hatte gegenüber dem Tagesspiegel Politikmonitoring diese Konzentration der Kompetenzen im Bundeskanzleramt als sinnvoll bezeichnet. Saskia Esken (SPD), Mitglied im Innenausschuss sowie im Ausschuss Digitale Agenda, glaubt hingegen, dass mit diesem Schritt noch nicht das letzte Wort in Sachen Kompetenzen für Digitales in der Bundesregierung gesprochen ist. Verwundert sei sie z.B. darüber gewesen, dass in dem Organisationserlass kein Digitalkabinettsausschuss beschlossen wurde. Ein solches Digitalkabinett wünscht sich auch ihr Fraktionskollege Jens Zimmermann, wie er vergangene Woche bei einer Bitkom-Veranstaltung erklärte. Wie man das Konzept, das beispielsweise in Rheinland-Pfalz unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer genutzt wird, auf Bundesebene überträgt, müsse nun schnell geklärt werden. Er könne sich ein Modell mit 4-6 beteiligten Ressorts vorstellen, so Zimmermann.

Auch die Wirtschaft fordert weitere Maßnahmen, die über den Organisationserlass hinausgehen.

„Ziel muss sein, dass sämtliche Gesetzesvorhaben, welche die Digitale Wirtschaft betreffen könnten, über den Tisch der designierten Digitalministerin Dorothee Bär laufen müssen“,

hofft der Präsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft, Matthias Wahl.

Bundeshack

Dass der Kanzleramtschef sich schon umfassend mit konkreten Fragen der IT des Bundes beschäftigt, zeigen seine jüngsten Äußerungen zum Thema Bundeshack. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sagte er am Montag, dass die Bundesregierung nun rechtliche Möglichkeiten für so genannte Hackbacks bzw. Gegenschläge bei Cyberangriffen wie dem vor drei Wochen bekanntgewordenen auf den Informationsverbund Berlin-Bonn (IVBB) prüft. Er sprach in Bezug auf die Notwendigkeit, das Netz des Bundes vor permanenten Angriffen zu schützen, von einer „Standardaufgabe, die wir in der Regel mit Bravour bestehen“. Nach Medienberichten vom Wochenende sei der Angriff entgegen früherer Meldungen fehlgeschlagen und keine nennenswerten Informationen abgeflossen.

Auch CDU-Innenpolitiker Marian Wendt hatte bei sich einer Veranstaltung des Tagesspiegel-Verlags zu IT-Sicherheit am Freitag nach einer Sitzung des Innenausschusses gelassen über die Informationslage zum Bundeshack geäußert:

„Wir haben sechs Word-Dokumente, die abgegriffen wurden. Vier waren ohnehin öffentlich, zwei waren VS-NfD [Geheimhaltungsstufe‚Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch‘] – das ist quasi nichts. Also müssen wir auch ein bisschen abschichten. Der Mechanismus hat gewirkt.“

Der Grünen-Innen- und Digitalpolitiker Konstantin von Notz kritisierte das „tägliche Durchstechen von halbgaren Informationen von Regierungsseite“ gegenüber der FAZ als „ziemlich unerträglich“.

Prioritäten für die 19. LP

Bei der Tagesspiegel-Diskussion am Freitag hatten sowohl die Vertreter der Regierungsfraktionen, Wendt und Esken, als auch der Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder E-Government und IT-Sicherheit – wegen der unmittelbaren Zuständigkeit des Staates für diese Themen – als wichtige digitalpolitische Prioritäten für die nun endlich beginnende Arbeit in der neuen Legislaturperiode genannt. Rohleder fügte jedoch hinzu, dass die Zeit der Prioritätensetzung eigentlich vorbei sei und alle Themen gleichzeitig angegangen werden müssen. Dabei solle man sich an den Erfolgen und Misserfolgen der Nachbarländer orientieren.

Bei der IT-Sicherheit nannte Saskia Esken die im Koalitionsvertrag verabredeten Projekte IT-Sicherheits-Gütesiegel und Einführung der Produkthaftung

„zwei Konzepte, die wir tatsächlich anstreben umzusetzen. Die Produkthaftung sicher klugerweise auf europäischer Ebene, die Gütesiegel möglicherweise auch.“

Marian Wendt sieht „das One-Stop-Shop-Prinzip auf allen drei staatlichen Ebenen zu etablieren – Kommunen, Land, Bund“ als prioritäre Aufgabe der Koalition an. „Dann gewinnen Bürger auch wieder Vertrauen in den Staat“, so Wendt. Esken nennt die geplante E-Government-Agentur – ein Thinktank – und die E-Government Labore einen „ganz guten Ansatz“, um die Digitalisierung der Verwaltung voranzubringen. Auch Rohleder findet, dass der Staat dort anfangen muss, „wo er selbst ganz viel erreichen kann“. Die „erneute, ehrgeizige Überprüfung der Schriftformerfordernisse“ im Koalitionsvertrag kritisierte er scharf als zu zögerlich und fordert, alle Schriftformerfordernisse abzuschaffen und lediglich punktuell wiedereinzuführen, wo nötig.

Digitale Agenda 2.0

Nach den Prioritäten bei der Umsetzung der digitalpolitischen Maßnahmen im Koalitionsvertrag wurde auch Jens Zimmermann, Mitglied im Finanz- und im Digitale-Agenda-Ausschuss sowie digitalpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, bei einer Bitkom-Veranstaltung am Morgen der Kanzlerinnenwahl gefragt.

„Wir haben im Koalitionsvertrag Ziele und Maßnahmen, aber mein Wunsch wäre eigentlich, dass wir das Ganze mal in eine ordentliche Strategie gießen, die auch die Anforderungen an eine Strategie erfüllt“, so Zimmermann.

„Die Digitale Agenda 1.0 war ein Lastenheft. Wir sind da auch im Ausschuss teilweise verzweifelt, weil die Bundesregierung uns mit Exceltabellen zugehauen hat“, berichtete Zimmermann.

Eine solche „Digitale Agenda 2.0“ müsse Ziele definieren, die messbar und erfüllbar seien. Erst daraus könne man konkrete Maßnahmen ableiten. „Und dann will ich erst die großen Excel-Listen sehen. Das wäre auch sinnvoll, was die Kommunikation nach außen angeht“, sagte Zimmermann. Bei der Diskussion um eine neue Agenda müsse man beachten,

„dass der Konflikt zwischen CDU und CSU beinahe größer ist als mit uns. Das muss man auch bei der Geschichte zwischen Helge Braun und Doro Bär mit auf dem Schirm haben.“

Ausschüsse & Datenschutzbeauftragter

Dass es – mit oder ohne Digitale Agenda 2.0 – eine Federführung des Digitalausschusses im Bundestag braucht, da sind sich inzwischen nicht nur die Mitglieder einig. Wie eine solche Federführung konkret ausgestaltet werden kann, war ebenfalls Thema beim Bitkom. Zimmermann spricht sich bei den meisten Digitalthemen für eine geteilte Federführung aus, weil es „den Themen so häufig gerecht wird“. Ein weiterer Player, der die Digitalpolitik der neuen Legislaturperiode mitprägen dürfte, hat sich am 16. März angekündigt. Der Bonner SPD-Abgeordnete und ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) Ulrich Kelber wird von seiner Partei als neuer Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit vorgeschlagen – die Behörde hat ihren Sitz in Bonn. Dazu wird er sein Bundestagsmandat zum Ende des Jahres niederlegen. Kelber hat sich als Staatssekretär im BMJV bereits ausgiebig mit dem Datenschutzrechtsrahmen beschäftigt und gilt – in dieser Hinsicht – als Kritiker von Staatsministerin Dorothee Bär.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Lina Rusch schreibt über Netzpolitik und beobachtet die Landespolitik. 

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