Digitalagenda: Umweltschutz in die Algorithmen
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Die Digitalisierung soll nachhaltiger werden: Das will Umweltministerin Svenja Schulze durch eine „Umweltpolitische Digitalagenda“ mit 70 Maßnahmen erreichen. Verbraucher sollen Elektrogeräte leichter reparieren lassen können und weniger Energie beim Video-Streaming verbrauchen. Vieles kann Deutschland aber nicht alleine umsetzen.
Smartphones, Laptops, Video-Streaming und immer mehr digitale Anwendungen verbrauchen viel Energie und werden damit auch zum Klimaproblem. Mit 70 Maßnahmen, die gemeinsam mit rund 200 Experten erarbeitet wurden, will das Bundesumweltministerium (BMU) den digitalen Wandel umweltverträglicher gestalten. Die „Umweltpolitische Digitalagenda“ stellte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Montag in Berlin vor. Angekündigt hatte sie diese schon im Mai vergangenen Jahres auf der re:publica und bereits Eckpunkte dazu präsentiert. „Umweltschutz gehört in jeden Algorithmus“, sagte Schulze. Denn ungesteuert werde die Digitalisierung zum Klimaproblem.
Produkte sollen länger halten
Eine zentrale Maßnahme ist eine Garantieaussagepflicht für digitale Endgeräte. „Hersteller sollen künftig sagen müssen, wie lange ihr Produkt garantiert halten wird. Dann wissen die Kundinnen und Kunden beim Kauf gleich, woran sie sind“, sagte Schulze. Sie sollen verpflichtet werden, digitale Produkte haltbarer zu machen und beispielsweise den Austausch von Akkus oder Displays ermöglichen. Daneben soll auch ein Recht auf Reparatur in der Richtlinie für Elektro- und Elektronikgeräte festgeschrieben werden. Das kann die Bundesregierung aber nicht alleine umsetzen. Darum soll sie sich im Rahmen der bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland ab Juli für sechs Monate übernimmt, dafür einsetzen, dies über die EU-Ökodesign-Richtlinie zu regeln. Außerdem will das BMU eine Initiative der EU-Kommission unterstützen, die Informationen zu einem Produkt, wie Materialien, chemische Substanzen, Reparierbarkeit oder Ersatzteile, in einem digitalen Produktpass für Verbraucher zusammenfassen will.
Das BMU nennt auch das Video-Streaming als Problem, weil es zu einem hohen Energieverbrauch beiträgt. Ein Lösungsvorschlag ist, hohe Datenraten zu begrenzen, was das BMU prüfen will. Rechenzentren sollten mit 100 Prozent Ökostrom betrieben und die Abwärme sinnvoll genutzt werden. Konkrete Verpflichtungen sind aber bisher nicht vorgesehen. „Eine schnelle Lösung wäre eine Selbstverpflichtung der Plattformbetreiber“, heißt es in der Digitalagenda. Mittelfristig brauche es „verbindliche Vorgaben für die Energie- und Ressourceneffizienz von Rechenzentren als Voraussetzung u.a. für umweltfreundliches Streaming“. Dass es hier keine konkreten Verpflichtungen gibt, kritisiert Dieter Janecek, Sprecher für Industriepolitik und digitale Wirtschaft der Grünen-Bundestagsfraktion. „Eine bessere Datenerfassung zum Energieverbrauch in Rechenzentren ist sicher notwendig, aber keinesfalls ausreichend – da brauchen wir schon mehr Verbindlichkeit, z.B. mit einer verpflichtenden Abwärme-Nutzung“, fordert er. Insgesamt nennt er die Agenda des BMU „ein Schritt in die richtige Richtung„. Es fehle aber ein ressortübergreifender Ansatz. „Für die Energie-, Verkehrs- oder Landwirtschaftspolitik sind am Ende andere Häuser zuständig – und es bleibt zu befürchten, dass sich das Umweltministerium am Ende wie so oft gegenüber den anderen Ressorts nicht durchsetzt“, sagt Janecek.
Nachhaltige Mobilität: Wettbewerb für Kommunen
Ein Bestandteil des Stadtverkehrs der Zukunft soll autonomes Fahren werden. Dazu unterstützt das BMU bereits Förderprogramme, die neue Mobilitätsformen und Nachhaltigkeit in Einklang bringen sollen. Neu hinzu kommen soll ein Wettbewerb „Zukunft einer nachhaltigen Mobilität für Umwelt- und Klimaschutz im Verkehr“ zur Förderung von „zukunftsgerichteter Verkehrsplanung“ für Kommunen, die die Digitalisierung berücksichtigt. Daraus soll sich für die Gemeinden auch ein Netzwerk entwickeln, in dem Erfahrungen ausgetauscht werden können. Ergänzend zum ÖPNV will das BMU gemeinschaftliche Fahrangebote (Ridesharing, und -pooling) fördern und die Kommunen bei der Schaffung rechtlicher Grundlagen dafür unterstützen. Die „Umweltverträgliche Digitalisierung im Verkehr“ soll im Reallabor erprobt werden.
Klimawandel und Digitalisierung zusammen zu denken hält Daniela Jacob, Direktorin des Climate Service Center Germany (GERICS), für einen wichtigen Schritt in Richtung nachhaltiger Entwicklung. Digitalisierung helfe, Veränderungen in unserer Umwelt zu erfassen, Informationen für alle nutzbar zu machen oder die Einhaltung von Schutzmaßnahmen zu kontrollieren. „Zukunftsfähig ist die Digitalisierung aber nur, wenn sie auch ‚grün‘ ist: Sie muss unseren Verbrauch an Energie und Ressourcen minimieren und darf ihn auf keinen Fall steigern“, mahnt Jacob.
Tilman Santarius, Leiter der Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ an der TU Berlin bezeichnet die Agenda als „beeindruckend“ und „sehr umfassend“. Das BMU habe „die Zeichen der Zeit erkannt“ und nehme dadurch eine Vorreiterrolle weltweit ein, indem es zeige, wie Digitalisierung nachhaltig gestaltet werden kann. Kritik übt Santarius allerdings an zu vielen Absichtserklärungen, hier bleibe abzuwarten, was daraus werde. Außerdem sei die Agenda in puncto Strom „etwas mau“. Es werde nicht deutlich, wie die hohen Stromverbräuche abgemildert werden können.
Insgesamt gliedert sich die Digitalagenda in vier Maßnahmenpakete: Umweltgerechte Digitalisierung, zu der die Garantieaussagepflicht und das Recht auf Reparatur gehören, eine Transparenzinitiative, die auch den digitalen Produktpass umfasst, digitale Innovationen für den sozial-ökologischen Umbau und Umweltpolitik 4.0. Zum Innovationspaket zählt beispielsweise das Förderprogramm Künstliche Intelligenz und der „Digital Innovation Hub for Climate“, ein Netzwerk, das Unternehmen und Gründern bei der Entwicklung digitaler Lösungen für den Klimaschutz helfen soll. Unter Umweltpolitik 4.0 versteht das BMU, technische Lösungen, wie die Datenanalyse, für politische Entscheidungen zu nutzen. Zum Beispiel wurde eine Umweltdatencloud UNIS-D auf den Weg gebracht, die den Zugriff auf Umweltdaten für Behörden verschiedener Ebenen ermöglichen soll. Als neue Maßnahmen nennt das BMU die Entwicklung einer Datenstrategie des Umweltressorts. Zukünftig sollen Umweltbehörden und Zoll außerdem bei der Überwachung des illegalen Online-Handels mit geschützten Arten durch eine Taskforce unterstützt werden.
Tagesspiegel Politikmonitoring
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf der Website des BASECAMP.