Digital Masterminds: „Nicht nur fragen, was möglich ist, sondern was wir wollen!“

Foto: Henrik Andree, von links nach rechts: Dr. Petra Bahr, Dr. Patrick Kramer, Harald Geywitz
Foto: Henrik Andree, von links nach rechts: Dr. Petra Bahr, Dr. Patrick Kramer, Harald Geywitz
Veröffentlicht am 17.09.2021

Von Digitalisierung als Megatrend der Zukunft ist überall die Rede. Gemeint sind oft Datenübertragungen und Verwaltungsprozesse oder Handlungen und Produktionen, selbstständig gesteuert von Künstlicher Intelligenz. Aber was ist mit dem Menschen selbst? Wieviel digitale Transformation ist bei uns schon alltäglich geworden, ohne dass wir es wirklich bemerken? Und was ist noch möglich?

Diese Fragen stellte in der Reihe „Digital Masterminds“ Moderator Harald Geywitz von Telefónica Deutschland im BASECAMP Berlin unter der Überschrift „Schnittstelle Mensch – Maschine: Wenn Technik unter die Haut geht“. Um Antworten bat er Dr. Patrick Kramer, vorgestellt als „Futurist, Chief Cyborg Officer, Biohacker“ , und die Regionalbischöfin im Sprengel Hannover und Publizistin Dr. Petra Bahr, die sich mit diesen Fragen auch als Mitglied des Deutschen Ethikrats beschäftigt.

„Wir sind heute mit der digitalen Transformation beim Menschen schon viel weiter, als wir uns klarmachen“,

sagte Kramer. Denn Herzschrittmacher, Implantate im Auge, im Ohr oder sogar im Gehirn, wie bei Parkinson- oder Epilepsie-Kranken, gehören in der Medizin längst zum Alltag. Dennoch erregt die Vorstellung der digitalen Transformation beim Menschen Angst vor einer Technik, die im wahrsten Sinn des Wortes unter die Haut geht. Vor allem, wenn sie nicht medizinisch indiziert ist, sondern auf eine „Optimierung“ des menschlichen Wesens als „Superhuman“ abzielen sollte. Gedanken an „Darth Vader“ oder „Robocop“ sind uns so unheimlich, wie jede neue Technologie ihren Zeitgenossen war, ob nun die Eisenbahn oder die Entwicklung des Computers.

Freiwillige Experimente am Menschen gebe es längst, erklärte Kramer und berichtete von Implantaten für die Wahrnehmung von Farben, Erdmagnetismus, Stromfeldern oder auch einfach nur Chips zum Türöffnen oder Bezahlen, in die Hand implantierten Schlüsseln oder Kreditkarten sozusagen. Auch die Datenübertragung von Gehirn zu Gehirn sei bereits im Blick der Forschung und in ersten Anfängen realisiert. Besonders für die Gaming-Industrie sei dieses Feld von großem Interesse.

Kramer meinte zu seinem Gebrauch der Möglichkeiten:

 „Ich finde es bequem, dass ich meinen Hausschlüssel unter der Haut habe, aber das ist es dann auch.“

Solche Implantate seien auch keine Gefahr für den Datenschutz. Ob ein Implantat oder eine Karte an das Schloss oder das Kassengerät gehalten werde, die Technologie sei dieselbe, betonte er.

Foto: Henrik Andree, Dr. Patrick Kramer, Futurist, Chief Cyborg Officer, Biohacker

Die Gefahr beginnt für Kramer dann, wenn eine Entwicklung nicht reversibel ist. Implantate können wieder entfernt werden. Genetische Veränderungen zugunsten eines „Superhumans“ nicht, deshalb sei die Aussicht nach Gen-Verändernden Methoden im Baukasten-System und ohne Aufsicht für ihn die eigentliche Schreckensvision.

„Ich persönlich komme an meine Grenzen, wenn es darum geht, das Leben selbst zu manipulieren.“

Foto: Henrik Andree, Dr. Petra Bahr, Regionalbischöfin Sprengel Hannover, Mitglied Deutscher Ethikrat, Kolumnistin und Publizistin

Die Theologin Petra Bahr, per Videokonferenz zugeschaltet, erklärte, sie wolle jetzt keineswegs alles verdammen, was an digitalen Fortschritten auch am Menschen möglich sei, aber sie wolle auf die Ambivalenz von Entwicklungen zur Selbstverbesserung aufmerksam machen. Die digitale Uhr am Arm, die uns daran erinnert, mehr zu laufen, die unseren Schlaf überwacht, soll uns positive Anreize setzen.

„Diese dauernden Daten über uns selbst machen aber auch etwas mit uns“,

erklärte sie. Die ständige Rückkopplung zur eigenen Überwachung kann als paradoxer Nebeneffekt zur Fixierung auf angebliche Missstände wie eingebildete Schlaflosigkeit führen. Wie souverän bleiben wir mit allen digitalen Hilfsmitteln über unseren Körper, unser Wissen und Fühlen, sei die Frage.

Die Diskussion um menschliche Optimierbarkeit sei letztlich auch eine politische, sagte Bahr. Sie verändere außerdem das Köperbild und führe gerade bei Jugendlichen zu noch größerem Anpassungsdruck an unerreichbare Idealvorstellungen. Oder Digitalisierung könne, wie Kramer unterstrich, als politische Optimierungsvorstellung durch permanente Überwachung sozialen Anpassungsdruck für gewünschtes Verhalten erzeugen.

Grenzen setzen, ohne Fortschritt abzuwürgen, eigene Werte einhalten, ohne ins Hintertreffen anderen Ländern gegenüber zu geraten, das sei die Schwierigkeit der digitalen Transformation, waren sich Bahr und Kramer einig. Je weiter die Technologie voranschreite, desto entwickelter müssten auch die Sicherheitstechnik und ihre Standards werden, forderte Kramer.

„Wir müssen immer aufpassen, worüber wir bei ‚Enhancement‘ reden“, ob über Türschlüssel, die nicht mehr verloren werden, oder über genetische Veränderungen. Bahr war wie Kramer der Meinung, „dass wir wichtige Debatten verschlafen haben“, etwa die über die Genschere Crispr. Bahr: „Wir fürchten uns vor dem Falschen.“

Foto: Henrik Andree, von links nach rechts: Dr. Petra Bahr, Dr. Patrick Kramer, Harald Geywitz

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