Koalitionsvereinbarung: Digital? Hauptstadt vs. Flächenland

Veröffentlicht am 06.12.2016

75 Mal kommt das Wort „digital-“ im Koalitionsvertrag der zukünftigen rot-rot-grünen Landesregierung von Berlin vor, 23 Mal der Vorsatz „IT-“. In dem 77-seitigen Koalitionsvertrag der Großen Koalition von Mecklenburg-Vorpommern – der somit auch 100 Seiten kürzer als der Hauptstadtvertrag ist – kommt „digital-“ 18 Mal und der Begriff „IT-“ sechs Mal vor. Beide Bundesländer haben im September gewählt, ansonsten könnten sie aber unterschiedlicher kaum sein: Das eine geprägt vom ländlichen Raum und Ostseezugang, der Agrarwirtschaft und maritimen Industrie, das andere Hauptstadt und Zuwanderungsmetropole. Wie wollen die jeweiligen Landesregierungen mit der Digitalisierung umgehen und sie nutzen?

Digital Berlin
Foto: CC-By-ND 2.0 Flickr User fidel_barto

Digitale Infrastruktur

Unter dem Themenschwerpunkt „Digitalisierung“ in der Koalitionsvereinbarung von Mecklenburg-Vorpommern, schließt sich das Land dem

„Ziel der Bundesregierung an, dass der flächendeckende Breitbandausbau mit mind. 50 Mbit/s bis planerisch 2018 angestrebt und bis 2020 in Gänze realisiert werden soll“.

Entsprechend der Förderrichtlinie genehmigte der Bund bereits im April und August insgesamt 700 Millionen Euro für den Netzausbau in bislang unterversorgten Gebieten. Der damalige – und nun wiedergewählte – Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) kündigte in der vorherigen Legislaturperiode die Kofinanzierung von 20 Prozent dieser Projekte durch das Land an. Die Förderung vom Bund kommt Mecklenburg-Vorpommern gelegen, denn die Infrastrukturversorgung stellt eine große Herausforderung dar. Da dort wenige Menschen auf großer Fläche leben, muss viel Geld in Infrastruktur investiert werden. Gleichzeitig gibt es weniger potentielle Kunden, die ein Angebot nutzen können. Laut Ministerium für Digitalisierung liegt die Abdeckung im ländlichen Raum von mindestens 50 Mbit/s bei knapp 15 Prozent.

Hinsichtlich der Infrastruktur hat es die Hauptstadt aufgrund der kleineren Fläche einfacher. Der Breitbandausbau von bis zu 50 Mbit/s ist flächendeckend erreicht. Damit hat Berlin auch die Disparität zwischen Ost und West gemindert, wenngleich der Ostbezirk Pankow mit 72 Prozent Verfügbarkeit von bis zu 50Mbit/s noch immer das Schlusslicht bildet. Der Westbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf führt mit knapp 96 Prozent Verfügbarkeit. In der Koalitionsvereinbarung kündigt die zukünftige rot-rot-grüne Regierung aber den Glasfaserausbau mindestens zur Grundstücksgrenze an.

Außerdem soll bis 2019 der 5G Mobilfunkausbau realisiert werden, der zeitgleich ein „berlinweites Angebot an öffentlichen WLAN Zugängen“ schaffen soll. Im Juni 2016 wurden bereits die ersten 100 von insgesamt 650 kostenlosen WLAN Hotspots in Betrieb genommen. Zu den Standorten zählen vor allem hochfrequentierte Orte wie das Berliner Rathaus oder das Brandenburger Tor sowie öffentliche Gebäude und Bibliotheken. Berlin will mit öffentlichem WLAN unter anderem die „Start-up-Szene“ und den Tourismus stärken. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern beschränkt ihr Vorhaben für öffentlich zugängliches WLAN zunächst auf Gebäude der Landesregierung.

Wirtschaft 4.0

Vor allem im Bereich Wirtschaft wird deutlich, dass die Digitalisierung unterschiedliche Chancen und Herausforderungen für die Hautstadt und das nördliche Flächenland beinhaltet. Berlin will die Industriestadt mit neuem Leben erfüllen und setzt auf die Etablierung als Standort der Smart Factory. Mecklenburg-Vorpommern, das im Bereich Erneuerbare Energien, vor allem Windkraft, unter den Spitzenreitern in Deutschland ist, sieht hier Chancen in der Digitalisierung. Die Landesregierung will den Einsatz von Smart Metern erproben und Netzstabilität sichern. „Damit sollen neue Produkte für die Energiewende aus Mecklenburg-Vorpommern entwickelt und weitere Wertschöpfung im Land geschaffen werden“, heißt es in der rot-schwarzen Koalitionsvereinbarung.

Außerdem soll es ein Pilotprojekt zum autonomen Fahren geben. Ziel sei es, „Mobilitätsalternativen für dünn besiedelte Gebiete zu erforschen und die Wertschöpfungspotenziale für die Wirtschaft aus Mecklenburg-Vorpommern zu generieren“.

In einem Modellvorhaben soll Mecklenburg-Vorpommern als digitaler Firmensitz – „als konsequente Fortsetzung der Digitalisierung der gesamten Wirtschaft“ – etabliert werden.

Digitale Bildung

Die Landesregierungen beider Länder heben in den Koalitionsvereinbarungen die Notwendigkeit von Medienkompetenz ebenso wie die kritische Reflektion neuer Medien hervor. Die Landesregierung von MV will ab der 7. Jahrgangsstufe das Fach „Informatik und Medienbildung“ einführen. „Ergänzt wird dieser Schritt durch die Weiterentwicklung des digitalen Unterrichtshilfenportals zur stärkeren Nutzung moderner Medien im Unterricht“, heißt es im Koalitionsvertrag. Mecklenburg-Vorpommern bekennt sich zur Umsetzung der in der letzten Legislaturperiode initiierten „Kooperationsvereinbarung zur Förderung der Medienkompetenz in Mecklenburg-Vorpommern“.

Die Berliner Koalition richtet für diese und weitere Aufgaben einen „Runden Tisch Medienbildung“ zum Umgang mit digitalen Medien in der schulischen und außerschulischen Bildung ein. Unter anderem soll der reguläre Unterricht mit digitalen Materialien und Methoden an Berliner Schulen gestärkt werden. Es sollen Fortbildungen zum Umgang mit „Hate Speech“, Mobbing und Datenmissbrauch bei der Nutzung von digitalen Medien und Plattformen angeboten werden. Außerdem soll „eine barrierefrei zugängliche Plattform zur Erarbeitung, Verbreitung und Qualitätskontrolle freier Lehr- und Lernmaterialien (OER)“ entwickelt werden.

Während Mecklenburg-Vorpommerns Koalition zu diesem Punkt schweigt, verspricht Berlin den Ausbau von

„schnellen und leistungsfähigen Breitbandanschlüssen, WLAN für alle und einer zeitgemäßen Hard- und Software-Ausstattung unter Einbeziehung von Open-Source-Software.“

Außerdem sollen „alle Schulen im Laufe der Legislaturperiode für die Betreuung ihrer edukativen IT-Infrastruktur und PCs auf eine professionelle IT-Betreuung zurückgreifen können“, schreibt die künftige Koalition in ihrer Vereinbarung. Berliner Schulen sollen ihre Schulverwaltung webbasiert betreiben können.

Die Berliner Landesregierung bekennt sich zur Open Access Strategie, die das Abgeordnetenhaus 2014 initiierte. Mit ihrer Umsetzung soll die Wissenschaft digitalisiert und „Open-Access-Publikationen, aber auch digitale Lehr- und Lernformate sowie offene Forschungsdaten unterstützt werden. Hochschulbibliotheken sollen in ihrer Entwicklung als digitale Wissensspeicher durch Investitionen in Infrastruktur, Know-how und Ressourcen unterstützt werden“. Die Regierungen beider Länder sprechen von Konzepten zur lebenslangen digitalen Weiterbildung und Medienkompetenz. Mecklenburg-Vorpommern hebt hier digitale Technik als wichtiges Instrument hervor, um die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen zu verbessern.

E- Government und Bürgerbeteiligung

Was Mecklenburg Vorpommern im Rahmen des Programmes „Justiz 2020“ erproben will, zieht sich beim Berliner Koalitionsvertrag hindurch: Die Nutzung von Digitalisierung um Verwaltung einfacher und transparenter zu gestalten. Die Berliner Koalition kündigt in ihrer Vereinbarung an, ein Umsetzungskonzept für die Berliner E-Government Strategie zu entwickeln. Diese wurde vom vorherigen Senat beschlossen und beschreibt

„die Weiterentwicklung elektronischer Behördengänge und den Einsatz moderner Informationstechnik in der Berliner Verwaltung“.

Außerdem sollen Möglichkeiten der Bürger-Partizipation ausgeweitet werden. Die künftige Regierung knüpft damit an bereits begonnene Prozesse an. Auf der Plattform mein.berlin.de sollen in Zukunft alle Vorhaben der Stadtentwicklung einsehbar sein und Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung und Diskussion gegeben werden. Das Service-Portal Berlin und die dazugehörige Service-App sind „das zentrale Einstiegsportal für Dienstleistungen der Berliner Verwaltung“. Bis Ende 2017 sollen unter anderem ein personalisierter Zugang und die Statusverfolgung von Anträgen das Angebot erweitern.

Datenschutz und Informationsfreiheit

Im Punkt Datenschutz – den die Große Koalition von Mecklenburg-Vorpommern nicht erwähnt – bezieht die künftige rot-rot-grüne Koalition von Berlin deutlich Stellung:

„Die Koalition streitet in all ihrem Handeln für ein freies und offenes Internet, als Grundlage für gesellschaftliche, wirtschaftliche und demokratische Teilhabe. Deshalb lehnt die Koalition allgemeine Internetsperren, anlasslose Quellen-TKÜ sowie die Vorratsdatenspeicherung ab. Die Koalition schützt die Integrität datenverarbeitender Systeme.“

Rot-Rot-Grün will sich für eine „zeitgemäße Plattformregulierung einsetzen“, um Monopole zu verhindern und Vorgaben zur Transparenz und Diskriminierungsfreiheit (Plattformneutralität) machen. „Die Verwendung von freier und offener Software (Open Source) sowie von freien Lizenzen in der Berliner Verwaltung und auf deren Angeboten“ soll gefördert werden.

Fazit

Vor allem in der Wirtschaft sehen beide Länder Chancen in puncto Digitalisierung und setzen auf sektorübergreifende Lösungen, die sich stark an den Gegebenheiten und Industrien der Länder orientieren. In diesem Zusammenhang erkennen beide Länder die Notwendigkeit von digitaler Infrastruktur und wollen diese nach Möglichkeit ausbauen. Auch im Punkt Bildung sind sich die Länder einig, wenngleich Berlin über konzeptionelle Ansätze hinaus IT-Infrastrukturausbau und Anschaffung von Geräten an Berliner Schulen verspricht. Berlin ist auch mit Konzepten wie Netzneutralität, Open-Access- und Open-Data-Strategien sowie Datenschutz, Informationsfreiheit und Schutz von Whistleblowern auf der Höhe der Zeit. Ebenso sticht der Ansatz hervor, mit barrierefreien Angeboten der Verwaltung und Bürgerbeteiligung E-Governance auszubauen.

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