Die Zukunft digitaler Werbung: Politisches Microtargeting
Von Benjamin Triebe
Microtargeting gilt als ein umstrittenes, aber mittlerweile häufig genutztes Mittel der politischen Werbung – auch in Deutschland. Eine geplante EU-Verordnung könnte dies jedoch in absehbarer Zeit ändern.
Politische Werbung im digitalen Raum spielt seit einigen Jahren eine zunehmende Rolle. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicherlich der Fall von Cambridge Analytica, ein mittlerweile aufgelöstes Datenanalyse-Unternehmen aus den USA, das mithilfe von Anzeigen und individuell zugeschnittenen Botschaften auf Facebook das Verhalten bei Wahlen beeinflussen wollte, etwa zugunsten von Donald Trump im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016. Dazu nutzte das Unternehmen unter anderem mehr als 87 Millionen detaillierte Persönlichkeitsprofile von Facebook-Nutzer:innen, um die gewünschten politischen Botschaften auf möglichst kleine Zielgruppen zuzuspitzen. Auch beim Brexit-Referendum soll das sogenannte Microtargeting eine Rolle gespielt haben.
Eine Gefahr für den politischen Diskurs
Dahinter steckt das Phänomen, dass Analyseprogramme unsere Persönlichkeit aufgrund der Unmenge an Daten und Informationen, die wir im Netz hinterlassen, zum Teil besser einschätzen können als unsere Familie und Freunde – z. B. was die eigenen Vorlieben bei Kaufentscheidungen betrifft. Wenn dies für gezielte Ansprachen im Rahmen von Wahlkämpfen genutzt wird, können damit allerdings Gefahren für den politischen Diskurs und die Demokratie einhergehen.
So zeigt etwa eine aktuelle Studie über den Online-Wahlkampf in Ungarn, dass das Anzeigen von bestimmten Botschaften für bestimmte Zielgruppen, während andere Gruppen ganz andere Botschaften erhalten, Echokammern erzeugen und zu (noch) stärkerer Polarisierung führen kann. Zumal für politische Anzeigen im digitalen Raum bisher nicht die gleichen Regeln gelten wie im Offline-Bereich. Am weitesten fortgeschritten ist die Methode des Microtargeting dabei sicherlich in den USA, wo mittlerweile bereits Streaming-Angebote genutzt werden, um gezielt lokale Wählergruppen mit unterschiedlichen politischen Werbebotschaften zu erreichen.
Die EU möchte gegensteuern
Innerhalb der EU wird bereits seit fast einem Jahr an einer neuen Verordnung gearbeitet, mit der die Transparenz der politischen Werbung erhöht und Möglichkeiten der Desinformation und illegalen Wahlbeeinflussung eingeschränkt werden sollen:
„Ein hohes Maß an Transparenz ist unter anderem erforderlich, um eine offene und faire politische Debatte und freie und gerechte Wahlen oder Referenden zu unterstützen und gegen Desinformation und widerrechtliche Eingriffe, auch aus dem Ausland, vorzugehen. Politische Werbung kann ein Vektor für Desinformation sein, insbesondere wenn der politische Charakter und das Ziel nicht aus der Werbung hervorgehen.“ (aus der Begründung des Verordnungsentwurfs)
Mehr Transparenz soll dann dazu beitragen, dass die Wähler:innen politische Anzeigen und die Auftraggeber und Anbieter der Werbung besser erkennen können, um diese im Sinne einer fundierten Wahlentscheidung einordnen zu können. Die entsprechenden Regeln könnten dann sowohl für Parteien als auch für Werbeagenturen, soziale Netzwerke und sogar Nachrichtenseiten gelten. Die deutsche Bundesregierung tritt in diesem Zusammenhang zudem ganz aktuell für ein EU-weites Verbot der Verwendung aller personenbezogenen Daten ein – und zielt damit auf eine Unterbindung des Microtargeting ab. Politische Werbung auf Online-Plattformen und Webseiten könnte dann womöglich nur noch komplett zufällig an die Nutzer:innen ausgespielt werden.
Microtargeting im Bundestagswahlkampf
Doch wie sieht es mit der gezielten Nutzung dieses Mittels eigentlich bisher in deutschen Wahlkämpfen aus? Wie verschiedene Recherchen gezeigt haben, gaben die Parteien im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 mehrere Millionen Euro für Online-Werbung aus. Vor allem die CDU investierte dabei im Vergleich zu den anderen Parteien massiv in zielgruppenspezifische Werbung. Allein auf Facebook zahlte sie in der Hochphase des Wahlkampfs täglich rund 30.000 Euro. Bündnis 90/Die Grünen folgten mit knapp der Hälfte, die FDP investierte rund 7.000 Euro täglich, gefolgt von der AfD und der SPD (beide etwa 4.000 Eure). Am wenigsten der in Fraktionsstärke vertretenen Parteien investierte die Linke mit lediglich 2.000 Euro täglich.
Eine Analyse von „Who targets me?“, einer Initiative für mehr Transparenz von politischer Onlinewerbung, hat aufgeschlüsselt, an wen die Parteien ihre Anzeigen in den letzten Wochen vor der Wahl adressiert haben:
So legten die Unionsparteien beispielsweise einen Fokus auf 18- bis 40-Jährige und besonders auf diejenigen, die Interesse an der CDU, CSU, FDP oder SPD zeigten. Auch ein Interesse an „Unternehmertum“ bescherte den Wähler:innen Wahlwerbung der Union in ihrer Facebook-Timeline. In einer früheren Phase des Wahlkampfs zielten die Konservativen zudem auf Menschen mit Interesse an Angela Merkel.
Die Zielgruppen der deutschen Parteien
Die Grünen hingegen fokussierten sich auf eine ältere Zielgruppe (30 Jahre und älter) sowie auf Menschen, die Interesse an der SPD zeigten und sich außerdem für Umweltschutz und Nachhaltigkeit interessierten. Sie definierten somit eine weitaus engere Zielgruppe als die Konkurrenz von CDU und CSU.
Die SPD wiederum wollte mit ihrer Onlinewerbung eine breite Gruppe von Wähler:innen erreichen: Sie schränkte ihre Zielgruppe selten bezüglich des Alters ein, aber investierte in Menschen, die sich in ihrem Scroll- und Klickverhalten für CDU, Grüne und SPD interessiert hatten. Sie wollte also Menschen für sich gewinnen, die in ihrer Wahlentscheidung noch zwischen den Parteien der drei Kanzlerkandidat:innen schwankten.
Wer sich für die aktuellen Werbeausgaben der deutschen Parteien auf Facebook auch außerhalb des Wahlkampfes interessiert, kann dies in der Protokollierung des Meta-Konzerns sogar tagesgenau prüfen. Und für die Analyse der Inhalte gibt es ebenfalls ein nützliches Tool: So berechnet der Parteientracker der Analysegruppe murmuras, welche Stichworte wann und wie oft in den Anzeigen der einzelnen Parteien verwendet werden.
Was ist mit der Werbung überparteilicher Institutionen?
Dies verdeutlicht, dass Microtargeting auch in der deutschen Politik häufig angewendet wird. Die Ein- und Ausschlusskriterien für Werbezielgruppen sind dabei jedoch durchaus umstritten, besonders wenn es um eigentlich überparteiliche Institutionen geht, die politische Onlinewerbung nutzen.
Ein Beispiel dafür lieferte im vergangenen Jahr das rheinland-pfälzische Klimaschutzministerium, als öffentlich wurde, dass das Ministerium die Zielgruppen seiner aus Steuergeldern finanzierten Facebook-Werbung nach Parteipräferenz sortiert und manche Parteianhänger dabei bewusst ausschließt. Mithilfe von Gutachten und selbst auferlegten Regeln soll so etwas in Zukunft nicht mehr passieren – zumindest in dem konkreten Fall.
Wie andere Ministerien und überparteiliche Institutionen im Bundesgebiet ihre Onlinewerbung momentan regeln, ist weitgehend unklar. Für die Parteien gab es vor der Bundestagswahl immerhin einen zivilgesellschaftlichen Aufruf zu Fairness im digitalen Wahlkampf, der auch regelmäßige Transparenzberichte für die politische Werbung in sozialen Netzwerken forderte. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Parteien ging dann allerdings nicht ganz so weit.
Umso spannender wird es, ob sich die Bundesregierung mit ihrer Forderung nach einem Verbot des politischen Microtargeting auf europäischer Ebene durchsetzen kann. Und wie sich die oben erwähnte und für 2024 geplante EU-Verordnung letztlich auf den Bereich der Onlinewerbung auswirken wird.
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation mit polisphere auf der Webseite BASECAMP.digital erschienen.
Mehr Informationen:
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