Die Netzpolitik im Koalitionsvertrag von Thüringen
Linke, SPD und Grüne in Thüringen haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Soeben fand die Ministerpräsidentenwahl statt – erstmals regiert mit Bodo Ramelow ein linker Regierungschef in einem Bundesland. Der 58-Jährige erhielt im zweiten Anlauf im Erfurter Landtag 46 von 91 Stimmen – und damit die erforderliche absolute Mehrheit.
Rot-Rot-Grün hat am gestrigen Tag auch dem Vertrag zugestimmt. Die Verteilung der Ministerien steht bereits fest. Die Linke als stärkste Kraft wird die Ministerien für Infrastruktur (bisher Bauen und Verkehr), Bildung und Soziales bekommen, während die SPD künftig die Minister für Wirtschaft, Finanzen und Inneres stellen wird. Die Grünen sollen mit zwei Ministern für die Themen Umwelt und Justiz in der Landesregierung vertreten sein. In dem Dokument mit über 100 Seiten sind auch viele netzpolitisch relevante Regelungen enthalten, die insbesondere von den Experten der Netzgemeinde auf Twitter sehr positiv aufgenommen wurden.
Breitbandausbau und WLAN
Die Breitbandstrategie Thüringen 2020 soll in engerer Zusammenarbeit mit den Kommunen fortgeführt werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Dafür sollen verstärkt auch Mittel aus den Europäischen Fonds genutzt werden. Man suche Vereinbarungen mit dem Bund, um den Breitbandausbau in Thüringen „zeitnah zu realisieren und so die Ausbaugeschwindigkeit zu erhöhen“, insbesondere im ländlichen Raum. Es sollen unterschiedliche Maßnahmen gefördert werden, wie etwa die Verlegung von Leerrohren bei Bauvorhaben. Der Zugang zu schnellen Internetanschlüssen sei „Teil der Daseinsvorsorge“.
Außerdem sei bürgerschaftliches Engagement im Bereich des Netzzugangs stärker zu unterstützen, beispielsweise sollten die Freifunkinitiativen stärker gefördert und beraten werden. Auch die Kommunen sollten bei der Einrichtung öffentlicher WLAN-Netze helfen, heißt es weiter. Auf Bundesebene setze sich die Koalition für die Abschaffung der Störerhaftung der privaten und kommunalen Anbieter freier Netzzugänge ein. Dabei sollten zudem die Datensammlungspflichten vermieden werden. Man werde ein Modellprojekt zum „Kommunalen WLAN“ und „WLAN im ÖPNV“ einrichten.
Open Data, E-Government und Verschlüsselung
Ferner unterstützt die Koalition den Ausbau freier Software sowie frei zugängliche digitale Inhalte. Insbesondere wissenschaftliche Informationen und wissenschaftlich erhobene Daten sollen allgemein verfügbar sein, sofern sie mit öffentlichen Geldern durch staatliche Stellen, Forschungseinrichtungen oder privaten Unternehmen gewonnen wurden. Allerdings sei dabei zu gewährleisten, dass Autoren „nicht schlechter gestellt werden“.
Ein Absatz über E-Government beschreibt, wie die Thüringer Behörden die digitale Kommunikation besser nutzen sollen. Unter anderem sollen Onlineportale ausgebaut und Dokumente möglichst barrierefrei zugänglich gemacht werden. Man strebe an, „dass alle Behördenangelegenheiten in Zukunft auch online erledigt werden können, soweit dies gesetzlich möglich und der Schutz persönlicher Daten gewährleistet ist.“ Weiter heißt es, die Koalition „setzt den Landtagsbeschluss ‚End-to-End-verschlüsselte-Kommunikation‘ in allen Landesbehörden umgehend um“. Kommunen sollen dabei unterstützt werden, eine gesicherte End-to-end-verschlüsselte und signierte Kommunikation zwischen Bürgern und Behörden anzubieten. Dabei will sich die künftige Landesregierung an der bundesweiten Datenplattform „GovData“ beteiligen und die Daten dort mit offener Lizenz nach den Open Data-Prinzipien verfügbar machen. GovData befindet sich noch immer in der Betaphase und wurde u.a. wegen den Lizenzierungsmodellen kritisiert.
Transparenzgesetz und Jugendmedienschutz
Im Kapitel über den Ausbau der Demokratie finden sich Unterkapitel zu den Themen Datenschutz und Informationsfreiheit. Die Koalition will das bestehende Informationsfreiheitsgesetz „zu einem echten Transparenzgesetz nach dem Vorbild Hamburgs“ machen und dabei auch die Erfahrungen anderer Bundesländer einbeziehen. Die staatliche Verwaltung solle Informationen aktiv veröffentlichen, außerdem werden die Kontrollrechte des Informationsfreiheitsbeauftragten erweitert, so die Parteien. Ausnahmen und Versagensgründe sollen „auf das verfassungsrechtlich zwingend gebotene Maß“ reduziert werden.
Mehrere Paragraphen sind dem Jugendmedienschutz gewidmet, den die Koalition stärken will. Sie strebt eine „zeitgemäße Novellierung des Jugendmedienschutz-
Staatsvertrages“ an, welche jedoch nicht die freien Strukturen des Internets beeinträchtigen dürfe. Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation soll in entsprechenden Ausbildungsmodulen für Schüler und Lehrkräfte aller Altersgruppen vermittelt werden. Der Umgang mit freier Software ist ausdrücklich eingeschlossen. Eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren sei hierfür geplant, u.a. mit dem Thüringer Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, der Thüringer Landesmedienanstalt sowie dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien in Kooperation mit dem Bildungs- und Wissenschaftsressort.
Bundespolitische Themen
Auch eher bundespolitische Themen werden im Koalitionsvertrag festgehalten. Die Parteien der Koalition plädieren für den Grundsatz „Löschen statt sperren“ und gegen jegliche Einschränkung der Netzneutralität, gegen Zensurversuche und Überwachung im Netz. Außerdem seien sie sich einig in ihrer „Ablehnung von Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung“, darunter zählen sie Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen, Staatstrojaner, sowie deep-packet-inspection privater und öffentlicher Stellen. Sie „werden jegliche – auch rechtliche und gerichtliche – Möglichkeiten ausschöpfen, um die Einführung und/oder Nutzung der genannten Eingriffe in Thüringen zu verhindern“, kündigen sie im Koalitionsvertrag an. Verstöße gegen die Netzneutralität sollen „in Abstimmung mit der Bundesebene“ mit „angemessenen und wirksamen Sanktionsmöglichkeiten“ geahndet werden. Diese grundsätzlichen Positionen sind auch von den bundespolitischen Parteien der Thüringer Koalition bekannt.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital. Aylin Ünal war bis vor Kurzem als Redakteurin des wöchentlichen Monitoringdienstes für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.