Die europäische Netzpolitik

Veröffentlicht am 25.09.2014

Ein Raunen ging durch die netzpolitische Expertengemeinde, als Günther Oettinger als neuer EU-Kommissar für das Ressort Digitale Wirtschaft und Gesellschaft verkündet wurde. Er sei eine „Fehlbesetzung“, monierte der in der Netzgemeinde sehr beliebte grüne Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Jan Philipp Albrecht. Tatsächlich ist der CDU-Politiker bislang nicht durch einschlägige Kompetenz und Erfahrung in diesem Themengebiet aufgefallen. Daher fiel es den Zweiflern schwer, neben ihrem grundsätzlichen Missfallen auch konkrete Kritikpunkte zu äußern.

EU Netzpolitik

Oettinger ist auch nicht der einzige Kommissar, der sich künftig mit digitalen Themen auf europäischer Ebene befassen wird, denn der neue Präsident Jean-Claude Juncker hat seine Kommission neu strukturiert. Als „Teamchef“ des Projektteams „Digitaler Binnenmarkt“ fungiert Estlands ehemaliger Regierungschef Andrus Ansip, einer von insgesamt sieben Vizepräsidenten, die Juncker in seiner Arbeit koordinierend unterstützen. Damit ist dem Ziel, einen europäischen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, klare Priorität in der Kommission eingeräumt worden. Estland ist außerdem bekannt für seinen fortschrittlichen Einsatz der digitalen Möglichkeiten, von der Online-Wahl bis zum elektronischen Ausweis.

Oettingers Aufgabenliste

Im „mission letter“ an Günther Oettinger zählt Juncker eine Reihe von Schwerpunkten auf, um die sich der Kommissar während seiner Amtszeit bis 2019 kümmern soll. Grundsätzlich ist der Deutsche verantwortlich für Gesetzgebungen rund um den digitalen Binnenmarkt unter Federführung des zuständigen Vizepräsidenten Ansip. Schon innerhalb der ersten sechs Monate soll er ambitionierte legislative Schritte präsentieren, so Juncker in seinem Brief. Zusammen mit Ansip und der Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Věra Jourová, soll Oettinger die geplante Datenschutzgrundverordnung im nächsten Jahr fertigstellen sowie die e-Privacy-Richtlinie reformieren. Außerdem soll er die Entwicklung der Kreativindustrie im Rahmen der Digitalisierung unterstützen.

In enger Kooperation mit dem Ersten Vizepräsidenten Frans Timmermans, soll der deutsche Kommissar die Meinungs- und Informationsfreiheit ebenso wie die Freiheit und Vielfalt der Medien und die Offenheit des Internet unterstützen. Darüber hinaus wird Oettinger dem Projektteam des Vizepräsidenten für Arbeit, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zuarbeiten, um bereits in den ersten drei Monaten des Mandats ein Wachstums- und Investitionspaket auf den Weg zu bringen.

Viele Kommissare mischen mit

Neben den bereits genannten Ressorts sind auch noch weitere Kommissare in digitale Themen eingebunden. Jonathan Hill, Kommissar für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion, ist beispielsweise mit seinem Aufgabenbereich indirekt in den digitalen Binnenmarkt eingebunden, wenn es darum geht, die EU-Rahmengesetzgebung für Online-Käufe und digitale Bezahlwege zu modernisieren. Die für Mobilität der Arbeitnehmer und Beschäftigung zuständige Kommissarin Marianne Thyssen gerät mit dem Kommissionsteam Digitaler Binnenmarkt auf dem Gebiet der digitalen Kompetenzen von Arbeitnehmern in Berührung. Für die Umsetzung von Projekten zu digitalen Technologien ist Carlos Moedas, Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, zuständig. Letztendlich bedeuten diese vielfältigen Schnittmengen, dass Oettinger in eine Vielzahl von Prozessen eingebunden ist und in seiner Position einiges mitgestalten kann.

Vizepräsidenten und Kommissare werden auf jeden Fall eng zusammenarbeiten (müssen), denn ein Kommissar ist auf die Unterstützung eines Vizepräsidenten angewiesen, um eine neue Initiative ins Arbeitsprogramm oder auf die Agenda der Kommission einzubringen. Im Gegenzug hängt ein Vizepräsident von den Beiträgen der Kommissare seines Projektteams ab, um das jeweilige Projekt erfolgreich abzuschließen. Zunächst muss erst noch das EU-Parlament allen designierten Kommissionsmitgliedern zustimmen. Dafür findet ab dem 29. September jeweils vor den zuständigen Ausschüssen des Parlaments eine Anhörung der einzelnen Kommissionsmitglieder statt.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital. Aylin Ünal ist als Redakteurin des wöchentlichen Monitoringdienstes für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.

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