#DeutschlandDigital: Interview mit Bundes-CIO Dr. Markus Richter
Pressefoto Dr. Markus Richter: Henning Schacht
Dr. Markus Richter ist seit Mai 2020 Staatssekretär im Bundesministerium des Innern (BMI) und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik – kurz: Bundes-CIO. Wir wollten von ihm wissen, was aus seiner Sicht die wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zur digitalen Verwaltung sind.
Als Bundes-CIO, also Chief Information Officer, steuert Markus Richter nicht nur das IT-Sicherheitsmanagement des Bundes, sondern auch eine der digitalen Mammutaufgaben der öffentlichen Verwaltung. Aus dem BMI heraus soll der promovierte Jurist die Zettelwirtschaft der Bundesverwaltung beenden. Seine Aufgabe ist klar: 575 Verwaltungsdienstleistungen sollen bis 2022 digitalisiert werden. Erledigt wird das auf Basis des Onlinezugangsgesetzes (OZG).
Für ein „digitales Deutschland“ entwickelte Richter einen 9-Punkte-Plan. In erster Linie zielt der Plan darauf ab, die Verwaltungsdigitalisierung zu beschleunigen und E-Government-Dienste in Deutschland einzuführen. Aber auch die Akzeptanz des Online-Ausweises soll erhöht werden.
Vor seiner Ernennung war Richter Vizepräsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Zuvor leitete er den Bereich IT und Infrastruktur der Behörde, den er zuvor aufgebaut hatte. In dieser Funktion baute er „Asyl online“ auf – eine Datenaustauschplattform für Geflüchtete zum digitalen Identitätsmanagement.
Der Münsteraner setzte sich zudem für die Zusammenarbeit der Behördenlandschaft bei der Verwaltungsdigitalisierung ein. So war er maßgeblich an der Gründung des Verwaltungsnetzwerkes „NExT“ beteiligt. Im Interview erzählt Markus Richter auch, welche Schritte Deutschland zur digitalen Souveränität unternehmen muss und welche Rolle digitale Identitäten dabei spielen.
Herr Richter, seit Mai 2020 sind Sie Bundes-CIO und seitdem viel in der Welt der Digitalpolitik rumgekommen. Was sind die drängendsten Projekte und Themen, die Sie in den kommenden Jahren voranbringen wollen?
Ich sehe das BMI als Treiber der Digitalisierung von Gesellschaft und Verwaltung. In den vergangenen Monaten haben wir neun Schwerpunkte, mit denen die Digitalisierung in Deutschland vorangebracht werden soll, in einem Plan zusammengefasst. Der 9-Punkte-Plan bringt die drei zentralen Säulen der Digitalisierung im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zusammen: Digitale Gesellschaft, Digitale Verwaltung sowie Cyber- und Informationssicherheit.
Als CIO des Bundes ist es mir ein persönliches Anliegen, dass unsere Fortschritte bei der Digitalisierung nun rasch im Alltag der Menschen spürbar werden. Daher liegt ein Fokus in meinem 9-Punkte-Plan auf konkreten Umsetzungsprojekten.
Wesentliche Ziele sind aus meiner Sicht die Modernisierung der gesamten Verwaltung durch Digitalisierung und mit der Umsetzung des OZG die beschleunigte Einführung besserer digitaler Verwaltungsleistungen in Deutschland. Deswegen soll auch die Akzeptanz des Online-Ausweises erhöht werden, um digitale Leistungen schneller verfügbar sowie die Kommunikation mit den Behörden zugänglicher zu machen.
Zudem soll ein Bundesportal zur besseren Auffindbarkeit von Leistungen beitragen und ein einheitliches Nutzerkonto für Unternehmen verfügbar sein. Die Kompetenzen der Verwaltungsmitarbeitenden werden mit Fortbildungsprogrammen an einer neuen Digitalakademie gestärkt, eine eigene eGovernment-Einheit widmet sich digitalen Innovationen in der Bundesverwaltung. Mir ist dabei die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger besonders wichtig. Denn nur, wenn sie den Prozessen vertrauen, wird die Digitalisierung erfolgreich sein können. Meine Schwerpunkte setze ich deshalb im Dialog mit Bevölkerung und Unternehmen um.
Die Nutzung und Bereitstellung von Daten soll mit einer eigenen Open-Data-Strategie vorangebracht werden. Darüber hinaus beschäftige ich mich mit vielen Querschnittsthemen: Wie können wir bei der digitalen Transformation alle Verwaltungskräfte gewinnbringend mitnehmen, wie verändert die Digitalisierung das Verhältnis des Staates zu den Bürgerinnen und Bürgern und welche Strategien brauchen wir, um in unserer vernetzten Welt sicher agieren zu können.
Ein Thema, zu dem Sie sich bereits geäußert haben, ist die sichere digitale Identität. Brauchen wir einen Rechtsrahmen für digitale Identitäten und wie sollte dieser aussehen?
Eine sichere Identifizierung ist im digitalen Zeitalter von zentraler Bedeutung – auch für die Kommunikation des Staates mit Bürgerinnen und Bürgern. Mit der Online-Ausweisfunktion des Personalausweises gibt es dafür eine sichere, einfache und datenschutzfreundliche Lösung, z. B. zur Aktivierung von SIM-Karten. Ihr Rechtsrahmen existiert mit dem Personalausweisgesetz seit 2010 und wird kontinuierlich weiterentwickelt. So soll z. B. das PIN-Neusetzen vereinfacht werden. Der Gang zur Behörde wird entbehrlich, da der Antrag auch online gestellt werden kann. Dazu ist eine Rechtsänderung nötig.
Mit der eIDAS-Verordnung haben wir seit 2014 zudem einen europäischen Rechtsrahmen für digitale Identitäten. Wir setzen uns dafür ein, den Wettbewerb zu wahren, die gegenseitige Anerkennung und Interoperabilität vorhandener Identifizierungsmittel sicherzustellen, getätigte Investitionen zu schützen und die Nutzung hoheitlich herausgegebener Identitäten in Anwendungen der Wirtschaft zu stärken.
Werden wir in Zukunft eine zentrale digitale Identität haben oder werden wir verschiedene Identitäten in Bereichen wie Wirtschaft, Verwaltung und Gesundheitswesen nutzen?
Wir alle haben Eigenschaften, die Teil unserer Identität sind, z. B. Ausbildung, Beruf, Familienstand. Wann immer wir Teile unserer Identität digital bestätigen, brauchen wir dafür digitale und vertrauenswürdige Nachweise. Bewerbe ich mich, brauche ich meine Zeugnisse. Werde ich in der Bahn kontrolliert, brauche ich mein Ticket, miete ich einen Pkw, brauche ich meinen Führerschein. Ein echter Fortschritt wäre es, wenn ich diese Nachweise sicher mobil speichern, einfach sowie selbstbestimmt nutzen und nach Bedarf teilen könnte.
Wir sollten Technologien und Standards weiterentwickeln, um Identitätsdaten z. B. im Secure Element des Smartphones sicher unter Kontrolle des Nutzers abzulegen – insbesondere für Sicherheit und Schutz sensibler Daten. So sollen Nutzer ihre Nachweise nahezu jeder Herkunft, nahezu jeder Anwendung zuführen können. Ein solches Identitäts-Ökosystem wollen wir gemeinsam mit der Wirtschaft entwickeln, so dass Bürger ihre digitale Identität einfach, sicher und selbstbestimmt mit den jeweils benötigten Nachweisen nutzen können – im Kontakt mit Unternehmen und der Verwaltung.
Welche konkreten Anwendungsfälle sind so attraktiv für die Bürgerinnen und Bürger, dass eine staatliche eID zum Erfolg werden kann?
In 2020 wurde der Online-Ausweis deutlich häufiger genutzt: Zwischen Februar und Dezember stiegen die Transaktionen um 380 Prozent. Die Akzeptanz für den digitalen Identitätsnachweis mit dem Online-Ausweis wächst also. Mit der OZG-Umsetzung bietet die föderale Verwaltung immer mehr digitale Leistungen an, die mit dem Online-Ausweis genutzt werden können. Ein großes Potenzial sehe ich zudem in der Privatwirtschaft. Immer wenn vertragsrelevante Prozesse sicher, gesetzeskonform, sekundenschnell und für die Anbieter kostengünstig geregelt werden sollen, bietet sich der Online-Ausweis an.
Für Wirtschaft und Verwaltung gilt: Je komfortabler der Online-Ausweis ist, desto mehr Anwendungen wird es geben. Deshalb machen wir ihn in 2021 einfacher, attraktiver und bekannter. Wir entwickeln die AusweisApp2 weiter und erarbeiten eine nutzerfreundliche Lösung, mit der es möglich wird, den Online-Ausweis direkt im Smartphone sicher zu speichern und damit zu nutzen, ohne die Karte erneut aufzulegen.
Digitale Souveränität ist ein Thema, welches die politische Debatte schon seit Jahren beschäftigt. Welche Maßnahmen sind sinnvoll, um die digitale Unabhängigkeit Deutschlands und Europas weiter auszubauen?
„Digitale Souveränität“ beschreibt „die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen und Institutionen, ihre Rolle(n) in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben zu können“. Für den Einsatz sicherheitskritischer Technologien sind notwendige regulatorische Vorgaben zu schaffen, die Grundlage für die Bewertung der Informations- und Kommunikationstechnologie schafft. Erforderlich ist die Forschungs- und Entwicklungsfähigkeit von Hard- und Software zu Zukunftstechnologien und -trends, um vertrauenswürdige Produktionskapazitäten zu erhalten bzw. aufzubauen.
Seitens des BMI sind folgende Maßnahmen geplant:
- Eine Verwaltungscloud-Strategie,
- die Erarbeitung von „Anforderungen von IT-Lösungen und deren IT-Anbieter“,
- eine Förderung wettbewerbsfähiger, vertrauenswürdiger IT-Systeme (Fokus Cybersicherheit),
- eine Förderung von Schlüsseltechnologien mit hohem Innovationspotential,
- die IT-Sicherheit der 5G Netze,
- die Konzeption eines Zentrums für Digitale Souveränität, das leistungsfähige Open-Source-Alternativlösungen sicherstellt und
- die Schaffung eines Informationsverbunds der öffentlichen Verwaltung (gem. Netzstrategie 2030).