Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Was erwartet die Digitalwirtschaft?
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Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft steht im Zeichen von Corona. Es gilt, die Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen und gleichzeitig den Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union sicherzustellen. Wie kommen wir nachhaltig und digital aus der Krise?
Kaum ein Industriezweig kommt unbeschadet durch die Coronakrise. Die Digitalisierung ist Gewinner und Verlierer zugleich. Einerseits offenbart die Ausnahmesituation die Schwachstellen der Digitalisierung, andererseits nimmt die Bedeutung digitaler Anwendungen, egal ob im Berufs- oder Privatleben, immer weiter zu – ob Fernunterricht per Computer, Videokonferenzen oder Kontaktverfolgungs-Apps. Seit dem 1. Juli hat Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union für sechs Monate inne. In den Mittelpunkt rückt die Bundesregierung das Konzept der digitalen Souveränität. Anlässlich der Ratspräsidentschaft formulierte der Branchenverband Bitkom neun Eckpunkte, die aus digitalpolitischer Sicht in der EU-Ratspräsidentschaft erreicht werden sollten, um sich langfristig von den Folgen der Coronakrise zu erholen und die Digitalisierung EU-weit zu stärken.
Programm geht in die richtige Richtung
In ihrem 28-seitigen Programm zur EU-Ratspräsidentschaft gibt die Bundesregierung ein „innovatives Europa“ als Ziel aus, „das auf den zentralen Säulen Ausbau digitaler und technologischer Souveränität, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Gestaltung einer nachhaltigen und stabilen Finanzarchitektur fußt“.
Der Bitkom begrüßt, dass die Digitalisierung eines der Hauptanliegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden soll. „Die Ausnahmesituation befördert wichtige Zukunftsthemen, die lange brachlagen“, erklärt Bitkom-Präsident Achim Berg. Bewegung käme jetzt vor allem in die Digitalisierung des Gesundheitssektors. Es sei daher längst überfällig, „dass der Europäische Rat einen Code of Conduct zur datenschutzkonformen Nutzung von Gesundheitsdaten in seine Schlussfolgerungen aufnehmen will“. Außerdem sei es richtig, „dass Deutschland seinen Einfluss nutzen will, um die Corona-Tracing-App europaweit interoperabel zu gestalten“.
Digitale Souveränität
„Digitale Souveränität muss das Leitmotiv sein“, erklärt der Bitkom. Im Zuge der Coronakrise habe sich gezeigt, wie wichtig stabile Lieferketten und staatliche Souveränität seien. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft solle demnach eine einheitliche Definition digitaler und technologischer Souveränität sowie ein Monitoring-Konzept entwickelt werden. Auch die Bundesregierung betont, die Pandemie habe die Bedeutung einer „sicheren und vertrauenswürdigen, souveränen europäischen Dateninfrastruktur noch einmal verdeutlicht“. Neben GAIA-X müsse auch über die „Effekte von Krisen auf Netzkapazitäten und Breitbandziele“ diskutiert werden.
Doch für eine langfristige und wirtschaftliche Regeneration Europas empfiehlt der Bitkom in seinem Positionspapier den stärkeren Ausbau von Schlüsseltechnologien. Besonders der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitsbereich sei für die Prävention von Pandemien entscheidend. Beispielsweise ließe sich mit Mikroprozessoren, Quanten- oder Blockchain-Technologien frühzeitig vor Krankheitsausbrüchen warnen, die Entwicklung eines Impfstoffes beschleunigen oder könnten mit automatisierter Bilddiagnostik Rückschlüsse auf bestimmte Erkrankungen gezogen werden. Doch KI hilft nicht nur bei der Prävention von Krankheiten, sondern auch bei der Beseitigung von Sprachbarrieren bei der EU-Ratspräsidentschaft. Damit die Kommunikation auch bei 24 offiziellen EU-Sprachen reibungslos läuft, werden die zahlreichen Übersetzer*innen zukünftig von einem KI-Übersetzungstool unterstützt.
Klimaneutralität bis 2050
Um KI nach eigenen nationalen Regeln und Maßstäben gestalten zu können, bedarf es laut Bitkom eines klaren, einheitlichen Rechtsrahmens – in Form des KI-Weißbuches. Auch ein europaweiter Zugang zu und Austausch von gesundheitsbezogenen Daten sei erforderlich, um zukünftige EU-weite Gesundheitskrisen noch besser im Auge zu behalten. Die deutsche Präsidentschaft sollte sich außerdem für „freiwilligen Datenaustausch und Vertragsfreiheit“ einsetzen, etwa bei den Verhandlungen über den geplanten Data Governance Act oder bei einem zweiten Anlauf für eine E-Privacy-Regulierung.
Doch die EU-Kommission will nicht nur den europäischen Staatenverbund für die Digitalisierung rüsten, sondern auch die Wirtschaft klimaneutral umbauen. Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Beratungen des Rates über den Entwurf der Kommission für ein europäisches Klimagesetz, das die europaweite Klimaneutralität bis 2050 rechtsverbindlich festschreibt, noch während ihrer Präsidentschaft abzuschließen. Um künftig von sektorenübergreifenden Emissionseinsparungen Gebrauch zu machen, verweist der Bitkom auf die Potenziale digitaler Technologien und wertet den Schritt zur Klimaneutralität bis 2050 als „richtiges Signal“.