Dating digital?: Ein Interview mit Jan Tillmann von mbrace
„Es vernetzen sich keine Avatare, sondern Menschen“
Eine neue Entwicklungsphase im Social Networking ist eingeläutet: Immer mehr Menschen auf der ganzen Welt nutzen ihr Smartphone zur Partnersuche. Nach Angaben des BITKOM sind 4 Millionen Deutsche derzeit im Online bzw. Mobile Dating aktiv. Doch was bedeutet das für die Art und Weise, wie wir mit Freundschaft und Liebe umgehen? Dazu haben wir mit Jan Tillmann, Co-Founder und CMO der mobilen Kontaktbörse mbrace, gesprochen.
Jan, ihr habt mbrace entwickelt. Warum?
Die ursprüngliche Idee zu mbrace kam uns im Sommer 2013 bei einem Abendessen mit meinen Mitgründern Ruben und Lukas. Ruben und ich waren damals Single, sehr mobile-affin und interessiert, neue Kontakte in Berlin zu knüpfen. Von den verfügbaren Apps und Websites am Markt konnte uns aber keine Lösung überzeugen, der allseits versprochene Mehrwert „Kontakt zu neuen, coolen Leuten“ trat nie ein. Die neuen Kontakte und Chats haben sich immer sehr schnell platonisch und gezwungen angefühlt, ganz anders als ein authentisches Kennenlernen im echten Leben.
Um das zu ändern, haben wir damals mbrace gestartet. Wir waren überzeugt von dem enormen Potenzial neuer technischer Lösungen mit dem Smartphone als Brücke zwischen der digitalen und „echten“ Welt.
Nutzt Du Dein Smartphone ebenfalls, um neue Leute kennenzulernen?
Ja, fast täglich und in vielen verschiedenen Situationen. Das ist ja auch das Spannende beim Kennenlernen neuer Personen. Es geht ja nur in den seltensten Fällen um ein Date oder sogar die große Liebe. Oft finden sich erst einmal nur zwei oder mehrere Personen, die sich gegenseitig einen Mehrwert bieten und sich sympathisch sind. Das gilt natürlich umso mehr im Beruf, dem Sport oder der Freizeit. Dating Apps sind dabei nur eine von vielen Möglichkeiten.
Social Dating und Social Networking sind mehr als nur Trends. Was passiert da gerade in unserer Gesellschaft?
Ich finde „Social“ als Begriff schon sehr verbraucht und meiner Meinung nach oft irreführend. Viele der Produkte, die wir aktuell mit den Begriffen assoziieren, sind alles andere als sozial. Sie orientieren sich kaum an den zwischenmenschlichen Bedürfnissen der Nutzer.
In den vergangenen fünf bis sieben Jahren ging es stark darum, eine große, vielseitige und respektable Online-Präsenz aufzubauen. 1000 Facebook-Kontakte sind ja kaum noch eine Seltenheit. Aber wie soll man denn da noch über den Newsfeed sinnvoll kommunizieren?
Wir glauben an einen bevorstehenden Wechsel zu relevanteren, kleineren und schnelleren Interaktionen zwischen zwei oder mehr Personen, basierend auf gemeinsamen Interessen oder dem aktuellen Kontext.
Das Smartphone bietet dafür erstmals die ideale Plattform mit genügend Informationen zu dem Nutzer und der Situation in der er sich gerade befindet. Erste Trends zu diesen eher vertikal angelegten Produkten zeigen sich schon mit der Facebook Groups App oder Rooms. Auch wir testen bereits erfolgreich eine Schwester-App zu mbrace in diesem Segment.
Die Welle an „Social Dating“ und „Social Networking“ Apps beschreibt somit vielleicht gut dieses Verlangen der Nutzer nach mehr persönlicher Relevanz, das aktuell noch keine App nachhaltig erfüllt.
Überbrücken Social-Apps die Barriere zwischen Online- und Offline oder kommen die User aus zwei verschiedenen Welten?
Meiner Meinung nach stehen wir gerade genau an der Schwelle. Joe Gebbia, der Gründer von Airbnb, hat dazu eine spannende These aufgestellt und beschreibt die Entwicklung des Internet in drei Phasen: Die erste Phase in den 90ern wurde von wachsender Reichweite und immer mehr Personen mit Zugang zum Netz dominiert. Danach kam ziemlich schnell die Phase der Sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram. Die Leute wollten schließlich auch eine Identität in dieser neuen Welt. Als dritte Phase kommt nun, da teile ich die Meinung von Joe Gebbia, die digitale Vernetzung von Personen in der echten Welt, also offline.
Darin sehe ich per Definition den höchsten Mehrwert eines angeblich „sozialen“ Produktes. Der Start dieser Phase zeigt sich immer mehr durch eine wachsende Anzahl von „Context aware“ Apps oder „Ambient Social“ Netzwerken. Tolle neue Schlagwörter gibt es also schon ;-)
Wie sehen die Geschäftsmodelle der Zukunft aus?
Der Mehrwert und damit die Grundlage für die Geschäftsmodelle dieser Apps liegen in der echten und tiefen Verzahnung zwischen dem digitalen Hilfsmittel auf dem Smartphone und der aktuellen Situation des Nutzers im echten Leben. Freemium wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen, um den Einstieg in die neuen Innovationen für die Nutzer zu vereinfachen.
Situationsbezogene Werbung liegt natürlich nah, kann aber auch im starken Gegensatz zu der vom Nutzer verlangten Relevanz stehen. Da wird es also spannend. Ein Trend wird auch das Öffnen dieser neuen Plattformen sein, um lokalen Partnern einen neuen Kommunikationskanal zur Verfügung zu stellen.
Viele kritisieren, dass durch die Digitalisierung die Realität zum Warenlager wird. Ich suche mir Menschen nach Belieben aus. Was sagst Du dazu?
Ich würde aktuelle Trends im App Store nicht mit der gesellschaftlichen Realität gleichsetzen. Ultimativ werden sich Apps und andere digitale Lösungen so weit es geht an den Nutzer anpassen, um so den höchstmöglichen, individuellen Mehrwert zu bieten. Nicht jede App die sich „Social“ oder „Dating“ auf die Fahnen schreibt, strebt auch nach diesem Mehrwert für den Nutzer.
Der entscheidende Punkt bei Dating-Apps wird auch in Zukunft das Kennenlernen im echten Leben sein. Da vernetzten sich ja keine zwei digitalen Avatare, sondern Menschen. Mit mbrace haben wir dafür als ersten Relevanz-Filter bereits die Challenges erfolgreich etabliert, also kleine und vom Gegenüber gestellte Aufgaben die man vorab erfüllt, um sein Interesse zu signalisieren und das Eis zu brechen.
Jan Tillmann (27) war vor mbrace bei der Berliner HitFox Group tätig und am Aufbau verschiedener Portfolio-Firmen im Mobile Marketing Segment beteiligt, zuletzt als Head of Business Development für AppLift in San Francisco. Bei mbrace verantwortet er als CMO den Bereich Marketing und somit das Wachstum der App.