#DataDebates: Eine digitale Genfer Konvention für den Cyberspace
Fotos: Henrik Andree
„Es ist wichtig, dass wir nicht in Angst vor neuen Technologien erstarren“, sagte Wolfgang Ischinger bei der jüngsten Ausgabe der Tagesspiegel Data Debates. „Wir müssen damit umgehen, aber nicht alle negativen Folgen akzeptieren“, empfahl der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz bei der Diskussion über Cybersicherheit und den Schutz von Wahlen, Wirtschaft oder Behörden vor Angriffen aus dem Internet. „Kann man Demokratie hacken?“, war die große Frage für die Debatte am Donnerstagabend.
Es war bereits die siebente Ausgabe der Veranstaltungsreihe. Bei den Tagesspiegel Data Debates diskutierte Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff mit ausgewiesenen Experten vor mehr als 250 Gästen. Neben Wolfgang Ischinger saß auch Guido Eidmann, Chief Information Officer und Mitglied des Vorstands von Telefónica Deutschland, auf der Bühne im Telefónica BASECAMP sowie Dr. Sandro Gaycken, Direktor des Digital Society Institute der ESMT Berlin und Dr. Karsten Nohl, Geschäftsführer der Security Research Labs. Die Vertreter von Politik, Telekommunikation und Sicherheitsexperten wollten einen Konsens darüber finden, wer für den Schutz vor Cyberattacken verantwortlich ist und wie dieser verbessert werden kann.
Karsten Nohl: Cyberattacken als neue Steuer?
Das ist gar nicht so einfach. „Wenn die Fachleute anfangen, dann schaltet der normale Bundestagsabgeordnete nach drei Minuten ab“, kritisierte Wolfgang Ischinger gleich am Anfang. „Technologie-Experten haben die Neigung zu einer gewissen Überheblichkeit, weil Normalbürger ihnen nicht folgen können.“ Wir brauchen „bessere Dolmetscher in beide Richtungen„, mahnte der lang gediente Diplomat. Doch zu Missverständnissen kam es kaum im Telefónica BASECAMP, was besonders an der geschickten Moderation durch Stephan-Andreas Casdorff lag. Dabei kam es oft zu überraschenden Argumenten.
Die Verwundbarkeit durch Cyberattacken sei einfach nur eine „Nebenwirkung der Digitalisierung“, sagte Karsten Nohl. Es funktioniere wie eine Steuer, erklärte der professionelle Hacker, der als Sicherheitsexperte für viele Firmen arbeitet: Mit dem Grad der Vernetzung nimmt auch der Missbrauch zu, doch prozentual bleibe der Anteil gleich. Allein bei den schlimmsten drei Attacken in diesem Jahr hätten Unternehmen einige Milliarden verloren, aber durch die Digitalisierung würden eben auch tausende Milliarden verdient. Noch vor fünf Jahren habe er anders gedacht – und vor der Vernetzung wichtiger Infrastrukturen wie bei der Industrie 4.0 gewarnt. „Doch dann würden wir heute einfach nur weiter zurückliegen im internationalen Wettbewerb“, sagte Nohl.
Guido Eidmann: Alle Beteiligten sind gefordert
„Absoluter Schutz ist in der digital vernetzten Welt nicht möglich“, erklärte Guido Eidmann. „Hohe Sicherheit schon.“ Damit das Sicherheitsniveau steige, müsse das Bewusstsein dafür zunehmen. Und dafür sei jeder Einzelne verantwortlich: „Wenn es um Datensicherheit und Datensouveränität geht, sind wir alle gefordert: der Einzelne sowie Gesellschaft, Wirtschaft und Staat“, sagte der CIO von Telefónica Deutschland. Ein allgemeiner Verzicht auf Vernetzung sei aber der falsche Weg, weil die Wirtschaft dann „auf alten Produktionsverfahren sitzen bleibt.“
Viel wichtiger sei, dass Industrien sich besser vernetzen und über Bedrohungen austauschen, um beispielsweise die Infektionsketten von Computer-Viren schnell zu unterbrechen. Die Schäden durch den Krypto-Trojaner Wannacry hätte es im Mai gar nicht geben müssen, wenn die Systeme der betroffen Unternehmen auf dem neuesten Stand gewesen wären. Wir brauchen einen „aktiveren Umgang“ mit diesem Thema, sagte der CIO, und müssten „schneller, konsequenter und intensiver die Anwendung von Sicherheitstechnik lernen„.
Sandro Gaycken: Gefährliche Angriffe auf Medizintechnik
Sandro Gaycken sah die aktuelle Entwicklung kritischer und warnte besonders vor Angriffen auf Medizintechnik. Als Beispiel nannte er den Rückruf von 500.000 Herzschrittmachern, der in den USA im August nötig wurde, weil Fremde die Geräte durch Funkbefehle manipulieren konnten. „In vielen Bereichen wurde viel zu naiv digitalisiert“, warnte er wieder.
Die neuen Bedrohungen „unterhöhlen das klassische Machtmonopol des Staates“, sagte Wolfgang Ischinger. Denn plötzlich könnten alle möglichen Akteure jenseits der Grenze angreifen, ohne Panzer oder Flugzeuge zu schicken. Diese Entwicklung sei ein „großer Gleichmacher“, der jeden Staat zu Attacken befähigt. Aus diesem Grund plädierte er für mehr Regeln und Gesetze. Nicht nur national, sondern auch global: eine „digitale Genfer Konvention“, weil es im Digitalbereich noch viel zu oft „wie im Wilden Westen“ zugehe. Die Europäische Union sei mit 500 Millionen Einwohnern und ihrer guten Infrastruktur hoch qualifiziert, eine Führungsrolle in dieser Entwicklung zu übernehmen.