Das Digital: Der Datenkapitalismus hat längst begonnen (#DigiMinds-Interview)
Foto: Peter van Heesen
Am nächsten Dienstag ist es so weit: Bei unserer Veranstaltungsreihe Digital Masterminds präsentieren wir im Telefónica BASECAMP den neuen Wirtschafts-Bestseller, der bisher bestimmende Theorien über Märkte, Kapital und Preisbildung überprüft und für das Digitalzeitalter aktualisiert. In ihrem Buch Das Digital. Markt, Wertschöpfung und Gerechtigkeit im Datenkapitalismus erklären Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge den aktuellen Übergang von geldbasierten zu datenreichen Märkten, auf denen kaum noch Preise über Transaktionen entscheiden, sondern vor allem das automatisierte Matching einer Vielzahl von Informationen und Präferenzen durch Künstliche Intelligenz (KI).
Die Autoren sind echte Experten: Viktor Mayer-Schönberger war zehn Jahre Professor in Harvard und hält heute den Lehrstuhl für Internet Governance in Oxford. Der mehrfach preisgekrönte Autor ist besonders durch sein Engagement für das digitale Vergessen im Internet bekannt sowie durch seinen weltweiten Bestseller Big Data. Sein Co-Autor ist Thomas Ramge, der unter anderem als Technologie-Korrespondent bei Brand Eins arbeitet und für The Economist schreibt.
Digital Masterminds: Das Digital im Telefónica BASECAMP
Er wurde schon mit zahlreichen Journalistenpreisen ausgezeichnet und hat bisher elf Sachbücher veröffentlicht. Und weil Thomas Ramge außerdem in Berlin wohnt, haben wir ihn gleich einmal getroffen und ein Interview geführt, um mehr über das neue Buch der beiden zu erfahren. Wer ihn auch selbst einmal zusammen mit Viktor Mayer-Schönberger treffen möchte, der kann sich gleich rechts neben diesem Artikel für das Digital Masterminds am kommenden Dienstag anmelden.
Warum haben Sie Das Digital eigentlich geschrieben? Was ist das Ziel des Buches?
Unsere Wahrnehmung ist: Bei den langen Diskussionen über Digitalisierung wird oft ein wesentlicher Punkt übersehen. Daten lassen Märkte zu dem werden, was diese immer sein wollten: nämlich ein extrem effizienter Mechanismus zu Koordinierung menschlicher Zusammenarbeit. Datenreiche Märkte können den Industrie- und Finanzkapitalismus auf die nächste Stufe heben.
Im Datenkapitalismus werden Unternehmen und Geld eine weniger wichtige Rolle spielen. Unser Anspruch beim Schreiben war, den Zoom sehr weit aufzuziehen. Wir wollten die digitalen Veränderungen in eine ökonomische und gesellschaftliche Gesamtperspektive rücken, die noch nicht hundertfach diskutiert wurde.
Neuer Bestseller: Erscheint gleich in 15 Ländern
Wie erfolgreich ist das Buch bisher?
Die Hauptausgabe ist die US-amerikanische. Sie ist seit zwei Wochen auf dem Markt und läuft gut an. Wir haben weltweit rund 15 Lizenzen verkauft und sind nun besonders gespannt, wie das Buch in Asien ankommt. In den Niederlanden ist Das Digital sehr erfolgreich und auch die deutsche Ausgabe verkauft sich gut. Die dritte Auflage ist hier fast ausverkauft, aber für uns ist natürlich auch wichtig, wo und wie das Buch besprochen wird.
Und wie sind die Reaktionen? Was sagen eigentlich Marxisten zu dem Titel, der an Das Kapital erinnert?
Das Neue Deutschland hat das Buch sehr freundlich besprochen, was uns etwas gewundert hat. Denn im Kern plädieren wir ja für eine Renaissance des Ordo-Liberalismus im Datenzeitalter. Die deutsche Ausgabe wurde in vielen relevanten Medien neugierig aufgenommen und meistens gut rezensiert.
Viktor hatte diverse TV-Auftritte und wir werden zu mehr Vorträgen eingeladen, als wir zusagen können. Das freut uns natürlich. Aber wir bekommen auch hin und wieder als Feedback, wir hätten nicht gerade leichte Kost geliefert. Das ist nicht immer nur freundlich gemeint, fürchte ich.
Datenkapitalismus: Übergangsphase läuft schon
Wie lang wird es dauern, bis die im Buch beschriebenen Entwicklungen eintreten?
Viele Beispiele in Das Digital zeigen, dass die Übergangsphase zum Datenkapitalismus längst begonnen hat. Und zwar im guten Sinn wie im problematischen. Transaktionen auf Märkten laufen durch vieldimensionale Daten immer geschmeidiger, dafür ist das Einkaufserlebnis bei Amazon ein alltägliches Beispiel. Und gleichzeitig sehen wir Oligopole und Monopolisierung auf vielen datenreichen Märkten, die das Grundprinzip des freien Marktes in Frage stellen.
Worin besteht das Problem des neuen Datenkapitalismus?
In den vergangenen zwanzig Jahren gelang es einer jungen Generation von Superstar-Firmen, mit digitalen Plattformen neue Quasi-Monopole zu errichten. Dieser „The-Winner-Takes-It-All“-Trend wird sich in den kommenden Jahren weiter verstärken, wenn aus Daten lernende KI-Systeme der Digitalisierung und datenreichen Märkten den Turbo zuschalten. Unser Kartellrecht, das ursprünglich gegen Stahlbarone gerichtet war, zeigt sich schon jetzt als vollkommen machtlos dagegen.
Deshalb schlagen wir eine regulatorische Innovation wider den Datenmonopolkapitalismus vor: eine „progressive Daten-Sharing Plicht“. Das klingt kompliziert, aber im Kern ist das Prinzip einfach. Unternehmen mit extremem Datenreichtum müssen ihre Daten mit Wettbewerbern teilen. Konkret kann das so aussehen: Die Pflicht zum Teilen von Daten setzt ein, sobald die Firma einen bestimmten Marktanteil erreicht, beispielsweise zehn Prozent. Überschreitet ein Unternehmen diese Schwelle, muss es einen Teil seiner Daten mit allen Konkurrenten teilen, die es wünschen.
Quants: Staat braucht hoch qualifizierte Datenanalysten
Wie soll der Staat diese starke Rolle erfüllen, die Sie ihm mit der progressiven Daten-Sharing-Pflicht zuweisen? Kann er das überhaupt?
Der Staat muss seinen digitalen IQ rasch erhöhen. Das ist weder leicht noch billig. Entsprechende Experten und Talente sind rar – und Behörden müssen im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter gegen die dicken Gehaltsschecks und die coolen Arbeitsumfelder antreten, mit denen Startups und digitale Champions in Berlin und London, Paris und Barcelona, in New York und im Silicon Valley locken. Doch wir haben keine Alternative. Der Staat muss „Quants“ rekrutieren, also hoch qualifizierte Datenanalysten und Informatiker, wenn er nicht das Risiko des Versagens der datenreichen Märkte mit unabsehbaren Folgen eingehen will. Es fällt uns nicht leicht, mehr Bürokratie zu fordern. Aber ohne starke Institutionen, die Regeln setzen und durchsetzen können, sind datenreiche Märkte höchst anfällig für eine gefährliche Konzentration von Entscheidungsmacht und Kontrolle.
Der Begriff „Feedback-Effekt“ wird in Ihrem Buch anscheinend zum ersten Mal beschrieben. Stammt dieser neue Fachbegriff von Ihnen?
Die Bedeutung von Feedback bei der Steuerung von Systemen ist freilich seit Norbert Wiener bekannt und beschrieben. Feedback ist der Kern der Kybernetik. Aber es stimmt: Der Begriff „Feedback-Effekt“ ist unsere Wortschöpfung und nach unserer Einschätzung wurde seine Bedeutung für die KI bisher nicht genug gesehen und diskutiert. Wir hoffen, damit ein schlüssiges Analyseraster gefunden zu haben. Der Feedback-Effekt tritt immer ein, wenn Computer-Systeme neue Feedback-Daten zum Lernen nutzen. Jedes Mal wenn wir beispielsweise darauf reagieren, wie Google einen Tippfehler in unseren E-Mails korrigiert, erzeugen wir Feedback-Informationen, welche die Rechtschreibprüfung von Google immer weiter verbessern.
Und die Künstliche Intelligenz von IBM Watson verbessert jedes Mal ihre Diagnosefähigkeit, wenn sie etwa einen Hautkrebs erkennt. Auch wenn ein Tesla-Fahrer in einer bestimmten Situation den Autopiloten korrigiert, wird die Künstliche Intelligenz ein bisschen schlauer. Das bedeutet: Die beliebtesten Produkte und Dienstleistungen verbessern sich am schnellsten, weil sie mit den meisten Feedback-Daten gefüttert werden. Die ständige Optimierung haben sie gewissermaßen eingebaut. Innovation wird damit zumindest teilweise automatisiert, was im Umkehrschluss heißt: Innovative Newcomer werden gegen die Platzhirsche der KI-getriebenen Wirtschaft nur noch selten eine Chance haben, die selbstverbessernde Technologie hebelt den Wettbewerb aus. Auch deshalb ist Daten-Sharing in Zukunft so wichtig.
Dennoch wirkt das Buch extrem positiv. Wie sieht die ideale Zukunft aus, die sich aus den beschriebenen Entwicklungen ergeben kann?
Wir hoffen, dass der Datenkapitalismus eine digitale soziale Marktwirtschaft hervorbringt. Der Staat muss dafür sorgen, dass die großen Digital-Konzerne keine Oligopole und Quasi-Monopole bilden können, sondern fairer Wettbewerb herrscht. Zugleich müssen Menschen lernen, Daten und KI zum Wohl des Einzelnen und für Gemeinschaften zu nutzen. Und beides muss in Einklang gebracht werden. Genau das beschreiben wir in unserem Buch. Das Digital möchte ein Beitrag zu der Diskussion sein, wie wir die digitalen Veränderungen so gestalten, dass sie Wohlstand und Teilhabe für alle mehren – und nicht nur für Digital-Konzerne und ihre Aktionäre.
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