Cyberagentur vor Gründung: neue Details und viel Kritik
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„Bahnbrechende Technologien“ solle die neue Cyberagentur fördern, wünscht sich das Bundesverteidigungsministerium (BMVg). Einen entsprechenden Beschluss hatte das Bundeskabinett schon im August 2018 gefasst, nun soll der Haushaltsausschuss des Bundestages der Agentur endlich Leben einhauchen. Doch der Bundesrechnungshof hat jetzt in einem Bericht das Konzept des BMVg zerrupft.
Die „Agentur für Innovation in der Cybersicherheit“ ist ein gemeinsames Projekt des BMVg und des Bundesministeriums des Innern (BMI). Finanziell je zur Hälfte von den beiden Ministerien getragen, soll die Agentur zukünftig ambitionierte Forschungs- und Innovationsvorhaben im Bereich der Cybersicherheit anstoßen, fördern und finanzieren. Besonders dabei im Blick: „risikoreiche Forschungsprogramme (> 90% Risiko) mit hohem Disruptionspotenzial“, heißt es in der Vorlage des BMVg für den Haushaltsausschuss, die dem Tagesspiegel vorliegt.
Das Bundeskabinett hatte die Gründung im August 2018 beschlossen, zeitgleich mit der „Agentur für Sprunginnovationen“ (SprinD). Im Gegensatz zu dieser soll sich die Cyberagentur ausschließlich mit IT-sicherheitsrelevanten Technologien beschäftigen, um daraus möglichst schnell operative Maßnahmen zu entwickeln: „Es geht darum, deutliche Geschwindigkeitsvorteile gegenüber den bisherigen Beschaffungsverfahren zu erzielen“, schreibt das BMVg auf seiner Website zur Cyberagentur. Doch bisher war nur wenig Konkretes über die geplante Agentur bekannt.
Themenschwerpunkte der Cyberagentur
In der Vorlage, die das BMVg ausgearbeitet und nun das Finanzministerium (BMF) an den Haushaltsausschuss weitergeleitet hat, finden sich einige Details der Agentur. Auf 130 Seiten legt das Ministerium seine Pläne für die bundeseigene GmbH dar. Zu den Dokumenten gehören Entwürfe des Gesellschaftsvertrags, der Leistungsvereinbarung, die BMVg und BMI mit der Agentur abschließen wollen, und der Ressortvereinbarung zwischen BMVg und BMI zur Aufteilung der Zuständigkeiten. Neben einem detaillierten Finanzplan sind darin Organisationskonzepte der Agentur zu finden.
Aufgabe der Cyberagentur ist laut BMVg-Vorlage, technologische Entwicklungen für die innere und äußere Sicherheit zu fördern. Dabei geht es nicht um selbstständige Forschung – die Agentur soll vielmehr gezielt Forschungsaufträge an externe Forschungseinrichtungen, Wirtschaftsunternehmen, Start-ups oder Einzelpersonen vergeben und Akteure aus der Wissenschaft und den Sicherheitsbehörden dazu strategisch zusammenbringen und koordinieren.
Als erste thematische Schwerpunkte der Forschung nennt die BMVg-Vorlage:
- Grundlagenforschung in der Quantentechnologie,
- Quantenkryptographie und Quantenschlüsselübertragung,
- Postquantenkryptographie,
- Speichertechnologien und Prozessarchitekturen der Zukunft sowie
- Härtung von IT-Systemen
Weitere Themenfelder können rasch hinzukommen, wenn die ersten Analysen durchgeführt wurden. Nach Informationen des Tagesspiegels hat der Aufbaustab der Agentur im BMVg bereits zahlreiche Pläne für Projekte, Ideenwettbewerbe und „Challenges“ erarbeitet, die sofort starten können, sobald der Haushaltsausschuss seine Zustimmung erteilt. Auch steht laut BMVg-Vorlage schon seit April 2019 ein Interimsgeschäftsführer für die Agentur bereit, eine übergreifende wissenschaftliche Leitung ist ab 2020 geplant. Sollte keine Zustimmung vor der Sommerpause erfolgen, dürfte sich die Gründung weiter verzögern. Es stehen jedoch auch schon viele Gelder für den Abruf 2019 zur Verfügung.
Aufsicht durch BMVg mit BMI
Laut dem Entwurf soll das BMVg „nach Abstimmung mit dem BMI“ für die Aufsicht der Cyberagentur zuständig sein. Beide Häuser und das BMF dürfen demnach je ein Mitglied des fünfköpfigen Aufsichtsrats bestimmen, der die Geschäftsführung der Agentur kontrolliert. Die übrigen zwei Aufsichtsratsmitglieder entsenden BMVg und BMI in gemeinsamer Abstimmung. Dass ein Mitglied aus der Wirtschaft und eines aus der Wissenschaft benannt werden, gilt als wahrscheinlich.
Auch die Einrichtung eines Beirats ist laut Gesellschaftsvertrag möglich, allerdings nicht verpflichtend. Laut Ressortvereinbarung sind sich BMVg und BMI jedoch „einig, dass die Agentur unverzüglich nach der Gründung einen wissenschaftlichen Beirat (‚Brain Trust‘) einrichten soll“ – besetzt mit „(namhaften) Vertreterinnen oder Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“.
Standort und Leitung noch offen
Einige wichtige Fragen beantwortet die Regierung in dem Bericht an die Haushälter jedoch immer noch nicht. In dem Entwurf für einen Gesellschaftsvertrag, der als Anlage beigefügt ist, steht beim Standort immer noch „XXXXXX“. Bekannt ist bereits seit längerem, dass die Agentur im Raum Halle/Leipzig angesiedelt wird. Aus Kreisen der Agentur heißt es nun, dass mehrere Interimslösungen für die ersten zwei bis drei Jahre ausgekundschaftet wurden. Zwar sei noch keine finale Entscheidung gefallen, einem schnellen Start der Agentur stünde das jedoch nicht im Weg.
Ein weiteres Fragezeichen dürften die Haushälter nach Studie des Berichts bei der Frage nach der Leitung setzen. Namentlich genannt wird der angeblich schon seit April feststehende Interimsgeschäftsführer nicht. Offenbar soll das Konzept erst vom Haushaltsausschuss abgenickt werden, bevor möglicherweise die Personalie für Unmut sorgt.
Bundesrechnungshof kritisiert Finanzierung
Während das BMVg mit der Cyberagentur auf die Zielgerade einbiegen will, drückt jetzt allerdings der Bundesrechnungshof kräftig auf die Bremse. Dem Tagesspiegel liegt der Bericht der Bonner Rechnungsprüfer an den Haushaltsausschuss vor, in dem die Experten von „erhebliche[n] Risiken“ der Pläne warnen und insbesondere die Finanzkalkulation der Ministerien kritisieren. Denn während die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für die Cyberagentur im Juli 2018 noch 365 Millionen Euro für die Jahre 2019 bis 2022 vorsah, ist das vorgesehene Budget in der aktuellen Finanzplanung auf 222,5 Millionen Euro geschrumpft – bei gleichem Projektumfang. Derzeit steuert das BMVg mit 182,5 Millionen Euro den Löwenanteil bei, obwohl die Ressortvereinbarung vorsieht, dass beide Häuser die Kosten „zu vergleichbaren Teilen“ tragen sollen. Zwar verhandle das BMI derzeit mit dem BMF, um seinen Anteil zu erhöhen, so der Rechnungshof. Die Erfolgsaussichten seien aber ebenso unklar wie die negativen Folgen eines Budgets, das im Vergleich zur ursprünglichen Planung auf 60 Prozent zusammengeschnurrt ist.
Es sei außerdem „ambitioniert“, unter den gegebenen Umständen hochqualifiziertes Personal zu gewinnen, schreiben die Rechnungsprüfer – vor allem, wenn es um konkurrenzfähige Gehälter geht. Denn laut Bericht sind lediglich sieben Stellen in der Cyberagentur nicht an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes gebunden. Zwar wolle das BMVg dort, wo sich kein eigenes Personal gewinnen lasse, unter anderem Leistungen extern zukaufen. Doch das lässt der Rechnungshof nicht gelten: Wo eigenes Personal nicht bezahlt werden könne, seien externe Aufträge gerade keine Lösung sondern vielmehr ein Risiko, unwirtschaftlich zu handeln – ein möglicher dezenter Hinweis auf die hauseigene Berater-Affäre des BMVg.
Zudem wundert sich der Rechnungshof, weshalb das Budget 9 Millionen Euro für „eigen[e] Labs und Forschungsinfrastruktur“ ausweist, wenn die Cyberagentur explizit keine eigene Forschung betreiben soll. Weiter heißt es im Bericht, es gebe noch immer keine Kriterien für eine Erfolgskontrolle, obwohl diese bereits zum Zeitpunkt der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung – also im Sommer 2018 – hätten feststehen sollen. Außerdem sehen die Rechnungsprüfer die Gefahr der Mehrfachförderung und ungenutztes Synergiepotenzial: Überschneidungen mit der Agentur für Sprunginnovationen seien ebenso zu erwarten wie mit der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS).
Im Ergebnis rät der Rechnungshof daher, die Cyberagentur zunächst als Pilotprojekt auf sieben Jahre zu befristen, möglichst bald Kriterien für die Erfolgskontrolle einzuführen und Schnittstellen mit anderen Institutionen zu prüfen und klar zu definieren. Nun müssen die Haushälter im Bundestag entscheiden, welche dieser Empfehlungen sie der Bundesregierung mit auf den Weg geben.
Ausblick und SprinD
Die Vorlage war Ende der vergangenen Woche an die Mitglieder des Ausschusses gegangen – allerdings hatte das für die Übersendung an den Bundestag zuständige Finanzministerium offenbar eine Frist verschlafen. Wegen dieser Formalie steht die Sache vorerst nicht auf der Tagesordnung der letzten Ausschusssitzung vor der Sommerpause. Sollten die Haushälter vor den Ferien kein Votum in Sachen Cyberagentur abgeben, dürfte sich die Gründung der Agentur deutlich verzögern. Nach Angaben des Ausschuss-Sekretariats soll sich in den Sitzungen der Fraktions-Arbeitsgruppen am Dienstagvormittag, 25. Juni, klären, ob das Thema noch kurzfristig auf die Agenda des Haushaltsausschusses am Mittwoch, 26. Juni, kommt.
Die Agentur für Sprunginnovationen, deren Gründung die Bundesregierung 2018 gemeinsam mit der Gründung der Cyberagentur beschlossen hatte, hat einige der formalen Hürden bereits genommen. Wie das Forschungsministerium (BMBF) mitteilte, habe der Haushaltsausschuss bereits im November 2018 der Gründung zugestimmt. Auch die Gespräche mit dem Bundesrechnungshof seien abgeschlossen; die Gespräche mit dem BMF befänden sich auf der Zielgeraden.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Torben Klausa schreibt als Redakteur zur Digitalpolitik.