Bundesregierung: Die Kontroverse um das Sicherheitspaket

Foto: istock / ArtemisDiana
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Veröffentlicht am 29.10.2024

Der islamistisch motivierte Anschlag in Solingen im August, bei dem drei Menschen getötet wurden, sorgte in Deutschland für ein Wiederaufflammen der Debatte um Migration, Asyl und innere Sicherheit. Im Zuge dessen entwickelte die Bundesregierung das sogenannte Sicherheitspaket, das sowohl für viel Zuspruch als auch viel Kritik sorgte. Doch was beinhaltet das Paket eigentlich, gerade an digitalen Aspekten – und wie geht es im Gesetzgebungsprozess weiter? 

Das Sicherheitspaket, das erstmals am 12. September dem Bundestag vorgelegt wurde, ist grundsätzlich kein eigenes Gesetz, sondern besteht aus zwei einzelnen Gesetzentwürfen, die Änderungen für eine Reihe anderer Gesetze formulieren: So sollen etwa Teile des Bundeskriminalamtsgesetzes und des Bundespolizeigesetzes geändert bzw. neue Normen hinzugefügt werden. Gleichzeitig sind auch Änderungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts enthalten.

Die Rolle biometrischer Überwachung

Grundsätzlich zielt das Sicherheitspaket auf vereinfachte Abschiebungen, einen stärkeren Kampf gegen gewaltbereiten Islamismus und ein härteres Waffenrecht. Schnell zeigte sich jedoch, dass viele der Inhalte durchaus kontrovers sind. Zu den diskutablen Punkten zählt etwa eine vorgeschlagene Neuregelung – und Engerfassung – der Härtefallregelung für Geflüchtete. Zudem sah das ursprüngliche Paket eine Verschärfung des Waffenrechts vor, insbesondere in Form von Waffenverbotszonen.

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Eine große Rolle spielten jedoch auch geplante Änderungen mit digitalem Bezug: So sollten die Befugnisse der Behörden bei der biometrischen Überwachung und Fahndung stark ausgeweitet werden, um strafrechtliche Verfolgung zu erleichtern. Es sollten nun auch öffentlich zugängliche Daten, etwa Fotos und Stimmproben aus dem Internet, für den biometrischen Abgleich verwendet werden dürfen. Zudem ist für das Bundeskriminalamt die automatisierte Analyse großer Datenmengen aus diversen BKA-Datenbanken vorgesehen, wobei auch Daten von Zeug:innen verwendet werden dürfen.

Zum Teil benötigen diese Regelungen zwar noch eine technische Konkretisierung bzw. Ausgestaltung durch die Bundesregierung. Sicher war aber bereits: Aus den Plänen ergeben sich weitreichende Befugnisse für das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Heftige Kritik aus der Zivilgesellschaft

Bei vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen stieß das Sicherheitspaket deshalb auf Ablehnung und Kritik. Prominent war dabei etwa ein offener Brief diverser NGOs, der sich explizit gegen das „Unsicherheitspaket“ positioniert. Neben Organisationen der Geflüchtetenhilfe, Seenotrettung und Menschenrechtsarbeit sind daran auch digitalpolitische Akteure wie D64, AlgorithmWatch, Wikimedia oder der Chaos Computer Club beteiligt.

Kritisiert werden vor allem die stark ausgeweiteten Befugnisse der Sicherheitsbehörden im digitalen Bereich, besonders die vorgesehene biometrische Gesichtserkennung als neues „Standardinstrument“ von Bundespolizei und BKA. Die dafür benötigten „Gesichtsdatenbanken“ seien laut AI Act eine verbotene Praxis: Massenüberwachung und schwere Verstöße gegen die Grundrechte, etwa das Recht auf Privatsphäre, wären die Folge, so die Argumentation. Zudem bestehe die Gefahr des Machtmissbrauchs durch erstarkende rechtsextreme Parteien. Weiterhin haben sich die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich explizit gegen biometrische Überwachung ausgesprochen.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte prüfte hingegen die juristischen Aspekte des Pakets auf Herz und Nieren und fällte ein vernichtendes Urteil:

„Jede einzelne Neuerung greift massiv in die Grundrechte ein. Viele der Regelungen berücksichtigen nicht die verfassungsrechtlichen Maßstäbe und lassen eine europa- und völkerrechtliche Sicht außer Acht.“

Die neue Bundesdatenschutzbeauftragte äußerte Bedenken in Bezug auf mögliche Eingriffe in die Rechte Unbeteiligter, etwa durch die Eingriffsnormen zur Gesichtserkennung. Die Opposition im Bundestag in Form von CDU und AfD kritisierte dagegen eher, dass die Maßnahmen nicht weit genug gehen würden, während die Linke die Inhalte des Pakets als „Scheinlösungen“ bezeichnete.

Die Reaktion auf die Reaktionen

Infolge dieser massiven Kritik sowie einer Anhörung im Bundestag, bei der auch Expert:innen diverse verfassungsrechtliche Bedenken vorbrachten, hing das Sicherheitspaket zunächst einige Wochen im Bundestag fest und kam nicht zur Abstimmung. Dies lag auch daran, dass die Einbindung der Datenschutzbeauftragten und des Bundesrates noch geklärt werden musste.

Als Reaktion wurden besonders kontroverse Teile durch eine SPD-Initiative neu formuliert und inhaltlich entschärft. Dazu gehören etwa die neu geregelten Leistungsausschlüsse und die Härtefallregelungen, zudem wurden die Regelungen zur biometrischen Fahndung enger gefasst und mit erhöhter Eingriffsschwelle versehen: Sie darf nun nur noch bei besonders schweren Straftaten genutzt werden.

Beschlossen – und jetzt?

Nach diesen Anpassungen wurde das Paket am 18. Oktober mit den Stimmen der Koalition im Bundestag beschlossen, nur vereinzelte Abgeordnete der Ampel-Parteien stimmten mit der Opposition dagegen. Überaschenderweise scheiterte der Gesetzentwurf zu den erweiterten Befugnissen der Sicherheitsbehörden jedoch wenige Stunden darauf im Bundesrat: In der Länderkammer verhinderten Bayern und Berlin als unionsgeführte Länder eine Mehrheit, weil das Gesetz „unzureichend“ sei und nicht dazu diene „irreguläre Migration“ zu bekämpfen.

Bundestag und Bundesregierung haben nun die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um für das von vielen Seiten kontrovers diskutierte Gesetz zur Terrorismusbekämpfung doch noch eine Zustimmung des Bundesrats zu erreichen. Ob dies gelingt, ist momentan allerdings fraglich.

Zumal bald die nächste digital- und sicherheitspolitische Kontroverse folgen könnte – die Vorratsdatenspeicherung, die bislang nicht Teil des Sicherheitspaketes war. Justizminister Marco Buschmann hat sich dem Druck der Länder gebeugt und einen neuen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung, die seit September 2022 wegen eines EuGH-Urteils ausgesetzt ist, angekündigt. Er schlägt das Quick-Freeze-Verfahren vor, das statt anlassloser Speicherung das grundrechtsschonendere Einfrieren von Daten vorsieht. Somit kommt ein weiterer Schwerpunkt in die Debatte, der in der Zivilgesellschaft erneut kritisch diskutiert werden dürfte.

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