#BTW21: Was fordert die digitale Zivilgesellschaft?

Foto: CC0 1.0, Pixabay / geralt / Ausschnitt bearbeitet
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Veröffentlicht am 29.07.2021

Was wünscht sich die digitale Zivilgesellschaft von der nächsten Bundesregierung? Nach Einblicken in die Positionen der Digitalverbände und dem digitalpolitischen Vergleich der Parteiprogramme schauen wir nun auf die Forderungen und Vorschläge der Zivilgesellschaft.

Tausende Vereine, Verbände, NGOs und Initiativen bilden die teils heterogene Zivilgesellschaft in Deutschland, mit verschiedensten Forderungen an die Politik. Doch insbesondere in den letzten Jahren hat sich die digitale Zivilgesellschaft zusehends organisiert und auch gemeinsame Forderungen formuliert. So betrachten wir die Initiative „Digital für alle“ ebenso wie das Netzwerk Digitale Zivilgesellschaft, zwei solcher Zusammenschlüsse. Aber auch einzelne Organisationen sollen zu Wort kommen.

Digital für alle: Ein intersektoraler Appell

Bereits zu Beginn des Superwahljahres stellte die Initiative Digital für alle Leitlinien zur Digitalisierung auf. Als Zusammenschluss von 27 Organisationen aus politischen Initiativen, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Hand vertritt sie ein breites Spektrum der Zivilgesellschaft. Dabei sind zum Beispiel große Wohlfahrtsverbände, der deutsche Kulturrat, aber auch Digitalverbände wie der bitkom. Ihr Appell „Digitale Teilhabe jetzt umfassend ermöglichen!“ umfasst vier Grundsatzvorschläge für eine erfolgreiche und gerechte Digitalisierung:

  • Digitale Spaltung überwinden: Eine Teilhabe soll konsequent verwirklicht werden. Dazu gehört der Zugang zu digitaler Grundausstattung für jeden. Insbesondere Hilfestellung für ältere Menschen müssten ausgebaut und Barrierefreiheit konsequent mitgedacht werden.
  • Digitale Kompetenzen in den Fokus rücken: Digitale Medien- und Informationskompetenz müsse gestärkt werden, damit alle Menschen digitale Medien und Technologien mündig und souverän anwenden können. Dabei sollen Arbeitnehmende durch Fortbildungen Digital fit für die Zukunft der Arbeit gemacht werden.
  • Digitales Engagement stärken: Die Möglichkeiten der Digitalisierung für die Gestaltung des Ehrenamts soll genutzt werden, denn digitale Angebote könnten mehr Anerkennung und Sichtbarkeit für Engagement schaffen.
  • Digitalisierung überall erlebbar machen: Es müsse Erfahrungs- und Erprobungsräume für neue Technologien geben, auch auf dem Land.

Mit den Forderungen für eine digitale Grundausstattung, digitale Mündigkeit, die Digitalisierung des Ehrenamts oder der breiten Erprobung neuer Technologien setzt die Initiative vor allem Leitlinien für eine digital erfolgreiche, mündige und gerechte Gesellschaft. Aber wie könnte die politische Umsetzung solcher Ideale funktionieren? Zur Bundestagswahl formuliert insbesondere ein junges Netzwerk weitergehende und konkrete Handlungsempfehlungen für politische Akteure:

Digitale Zivilgesellschaft 2021: Vier Forderungen für eine digital-souveräne Gesellschaft

2020 schlossen sich im Netzwerk Digitale Zivilgesellschaft Organisationen zusammen, die für eine offene und gemeinwohlorientierte digitale Infrastruktur und freien Zugang zu Wissen eintreten. Im Zeichen der Bundestagswahl stellt der Zusammenschluss in diesem Jahr konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik unter vier Leitlinien auf: Digitale Souveränität der Gesellschaft, Transparente Entscheidungsprozesse, Schutz und Schaffung von öffentlichem Gut sowie digitale Nachhaltigkeit.

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Foto: Fotolia / Maksim Kabakou

Die Digitale Souveränität der Gesellschaft soll als zentrale Maxime in der Digital­politik gelten. So fordert das Netzwerk, dass die „Bundesregierung gemeinsam mit einem Runden Tisch (…) eine digitale Mission mit digitaler Souveränität als Leitprinzip“ verfasst. Digitale Souveränität bedeutet dabei die selbstbestimmte Nutzung digitaler Mittel und die Gestaltung des Digitalen im gesellschaftlichen Interesse. Die Umsetzung dieser Digitalmission auf Bundes- und Länderebene soll dabei von einem transparenten Monitoring begleitet werden.

Elisa Lindinger und Julia Kloiber von der Superrr Lab gGmbH und Mitglieder des Netzwerks begründen die Forderung:

Der Zugang zu Wissen und digitaler Infrastruktur entscheidet, wer in Zukunft mitgestalten kann und wer abgehängt wird. Digitale Selbstbestimmung ist deshalb eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Außerdem soll die Zivilgesellschaft systematisch paritätisch beteiligt werden und so Transparenz schaffen. Gefordert wird eine verbindliche Zivil­gesellschafts-Quote in Beratungs­gremien ebenso wie bei der Aus­arbeitung von Gesetzes­vorschlägen. Transparente Entscheidungsprozesse mit ausreichend langen Fristen für Konsultationen seien dafür notwendig ebenso wie die Maschinenlesbarkeit von Dokumenten und ein finanzieller Ausgleich des Arbeitsaufwands der Zivilgesellschaft. Anna Wohlfahrt und Stefan Heumann von der Stiftung Neue Verantwortung e. V. machen deutlich:

Die politische Gestaltung der Digitalisierung braucht Expertise. Dabei zählt die Expertise aus der Zivilgesellschaft genauso wie die aus Wissenschaft und Wirtschaft. Das ist derzeit nicht so. Um die digitale Entwicklung unserer Gesellschaft sozial, gerecht und nachhaltig zu gestalten, muss sich das ändern.

Zur Bundestagswahl positioniert sich das Netzwerk zudem mit einem deutlichen Motto für die Verwendung von Steuergeldern:Öffentliches Geld, öffentliches Gut. Ob nun bei Software (Public Money, Public Code), Daten der öffentlichen Verwaltung (Open Data) oder freies Wissen und offene Bildungsmaterialien (Open Educational Resources), überall dort, wo Steuergelder eingesetzt werden, soll es feste Vorgaben bei Lizenzen geben. Beauftragungen für digitale Tools sollen ausschließlich über offene Verfahren vergeben werden.

Schließlich wird das Netzwerk auch deutlich in seiner Gundsatzkritik der deutschen Digitalpolitik. Markus Sauerhammer, 1. Vorstand des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e. V., pointiert:

„Die Digitalisierung bietet enorme Potenziale für gesellschaftliche und ökologische Mehrwerte. Damit sich diese entfalten können, muss die Politik bei der Unterstützung digitaler Lösungen aus der Zivilgesellschaft endlich von einem ‚so tun als ob‘ zu entschlossenem Handeln übergehen!“

Und für die Abrufung der gesellschaftlichen Potenziale müsse die Digitalisierung wirtschaftlichökologisch und sozial nachhaltig umgesetzt werden, so das Netzwerk. Um die Digitalisierung nachhaltig zu gestalten, müsse man Aufbau und Wartung von sicherer, dezentraler digitaler Infrastruktur für die Gesellschaft langfristig fördern, also zum Beispiel Free and Open Source Software oder die Wartungsarbeiten an bestehenden Werkzeugen unterstützen. Für die Förderung von Diversität sollten verbindliche Zielvereinbarungen bei Förderungen angesetzt und Forschungsmittel für Technikfolgenabschätzung für die Gesellschaft bereitgestellt werden.  Mit einem Nachhaltigkeitsindex Digitalisierung sollen Status Quo und Fortschritte zum Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit beschrieben werden.

Digitalisierung als Querschnittsthema: Weitere Forderungen aus der Zivilgesellschaft

Während sich Zusammenschlüsse wie die Initiative Digital für alle oder das Netzwerk digitale Zivilgesellschaft wirkmächtig Gehör verschaffen können, bleibt auch ein breites Spektrum einzelner Organisationen nicht stumm.

Der unabhängige Jugendverband BUNDjugend engagiert sich beispielsweise vor allem für den Umweltschutz. Vor der Bundestagswahl 2021 hat er acht Forderungen an die zukünftig neu gewählten Abgeordneten veröffentlicht. Eine Forderung ist: Öffentliche Daten nutzen – Private Daten schützen. Die BUNDjugend fordert außerdem das Recht auf Reparatur und die Verpflichtung für Unternehmen, Produkte so zu gestalten, dass sie einfach zu reparieren und dauerhaft nutzbar sind.

Die Stiftung Aktive Bürgerschaft hingegen fordert mit neun Vorschlägen einen Neustart in der Engagementpolitik. Dabei solle unter anderem die Spaltung bei der Digitalisierung verhindert werden. Der gemeinnützige Sektor dürfe bei Unterstützungsangeboten nicht schlechter gestellt werden als Staat und Wirtschaft. Beispielsweise sollen gemeinnützigen Organisationen durch Gigabit-Gutscheine für schnelles Internet und Digital-Voucher für Weiterbildungen oder spezielle IT-Lösungen unterstützt werden.

Germanwatch, das sich für globale Gerechtigkeit und Klimaschutz einsetzt, stellt gar zehn Forderungen unter dem Motto Handeln für den Wandel! vor. Eine davon: Digitalisierung für das Gemeinwohl. Dabei gehe es darum, einen politischen Rahmen für Digitalisierung zu schaffen, der den Schutz der Lebensgrundlagen mit dem Schutz der Demokratie verknüpft, so die NGO.

Im Wahljahr zeigt sich so einmal wieder: Die Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, das viele Anknüpfungspunkte an die Arbeit verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure hat. Ihre diversen Expertisen werden einen entscheidenden Beitrag für ein Gelingen des digitalen Miteinanders leisten müssen.

Lautstarke digitale Zivilgesellschaft, hellhörige Politik?

Bis zur Bundestagswahl werden noch weitere Positionspapiere und Wahlprüfsteine der digitalen Zivilgesellschaft folgen. Die lautstarken Zusammenschlüsse und gemeinsamen Stellungnahmen einer breiten Vielfalt von Initiativen, Organisationen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zeigt die Lebendigkeit des Diskurses und wie zentral das Thema der Digitalisierung für die Zivilgesellschaft geworden ist. Besonders natürlich im Superwahljahr 2021.

Aber ist die Umsetzung von Forderungen wie einer paritätischen Beteiligung in allen Beratungsgremien realistisch? Das hängt auch davon ab, wie hellhörig Parteien und Abgeordnete des 20. Bundestags gegenüber den zivilgesellschaftlichen Forderungen sein werden. Was die Parteien bereits versprechen, können Sie in unserer Serie zum digitalpolitischen Vergleich der Wahlprogramme nachlesen.

Mehr Informationen:

Digital für alle: Der Appell der Initiative zum Nachlesen
Netzwerk Digitale Zivilgesellschaft: Die vier Forderungen des Netzwerks im Wahljahr 2021
BASECAMP ON AIR #3 Nachgefragt!: Digitaler Wahlkampf – Fair verloren oder schmutzig gewonnen?

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