Bildungsgipfel: Starkes Signal oder nur Kosmetik?
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Bei der Digitalisierung der Schulen hakt es noch an vielen Stellen. Mit einem Bildungsgipfel wollten Bund und Länder gegensteuern. Lehrer sollen mit Laptops ausgestattet, Schulen mit schnellem Netz versorgt und offene Lernmaterialen bereitgestellt werden. Die Regierung handelt zu spät, zu langsam und zu unkonkret, kritisiert die Opposition.
Die Corona-Krise hat die unzureichende Ausstattung der Schulen mit digitalen Werkzeugen und Knowhow offengelegt: Lehrern fehlen Laptops, Schulen WLAN und Bildungsplattformen. Damit sich das ändert müssen Bund und Länder an einem Strang ziehen. Am Montag, 21. September, hat daher ein Bildungsgipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), dem Chef des Bundeskanzleramts Helge Braun (CDU) und der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken gemeinsam mit den Kultusministern der Bundesländer stattgefunden.
Ziel war, „über Maßnahmen zur Stärkung des Schulsystems in der Coronapandemie zu beraten“, wie Regierungssprecher Steffen Seibert sagte. Der Ausgang des Treffens wird – wie so oft – von Regierung und Opposition unterschiedlich bewertet. Was Karliczek als „sehr ambitioniertes Programm“ einschätzt, hält Thomas Sattelberger, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagesfraktion, für „Kosmetik“. Das Fazit der Grünen-Bildungspolitikerin Margit Stumpp: „Diese Absichtserklärungen gepaart mit fehlendem Bewusstsein für die Dringlichkeit werden bereits in Kürze schmerzhafte Konsequenzen haben. Beherztes Handeln ist Fehlanzeige.“
Sieben Maßnahmen von Bund und Ländern
Obwohl die Zuständigkeit für Bildung eigentlich in Verantwortung der Bundesländer liegt, will sich die Bundesregierung an der Digitalisierung der Schulen beteiligen. Bund und Länder haben sich daher auf sieben „Handlungsstränge“ geeinigt. Anfang 2021 will sich die Bildungsgipfelrunde erneut treffen.
Der Inhalt der Absichtserklärung: Erstens soll die Kultusministerkonferenz (KMK) einen einheitlichen Rahmen für den Infektionsschutz in Schulen erarbeiten; zweitens ist ein „zügiger weiterer Ausbau der Glasfaser-Internetanbindung für alle Schulen“ geplant; drittens sollen Lehrkräfte und „bei Bedarf“ auch die Schulkinder mit „geeigneten Endgeräten“, sprich Laptops oder Tablets, ausgestattet werden. Dafür stellt der Bund Mittel aus dem Digitalpakt Schule zur Verfügung, der auf 6,5 Milliarden Euro aufgestockt wurde. Ursprünglich umfasste der Digitalpakt Schule, der am 17. Mai 2019 in Kraft trat, 5,5 Milliarden Euro – wozu der Bund fünf Milliarden Euro, die Länder 0,5 Milliarden Euro beitragen.
Viertens wird sich der Bund an der Ausbildung und Finanzierung von Fachkräften mit 500 Millionen Euro beteiligen, die als technische Administratoren für die digitale Infrastruktur der Schulen zuständig sind. Fünftens sollen Kompetenzzentren für den digitalen Unterricht entstehen. Diese sollen die Schulen vor Ort bei Medienkonzepten und digitalen Schulentwicklungsplänen beraten. Dazu bilden das BMBF und die KMK eine Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene. Sechstens will der Bund schrittweise eine Bildungsplattform entwickeln, damit verschiedene Systeme der Länder vernetzt werden. Ziel ist, Bildungsinhalte in allen Bildungsbereichen zur Verfügung zu stellen. Siebtens sollen „qualitativ hochwertige digitale Bildungsmedien“ entwickelt werden. Dazu zählen insbesondere offene Lernmaterialien (Open Educational Resources (OER)) und „intelligente tutorielle Systeme“, die das Selbstlernen erleichtern sollen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) will eine Strategie für offene Lernmaterialien erstellen, die im Frühjahr 2021 vorliegen soll. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion zur OER-Strategie der Bundesregierung hervor. Bisher sei im Rahmen des Projekts „OpenEduHub“ die Plattform „Wir lernen online„ entstanden, die den zentralen Zugriff auf mehr als 40.000 offen lizensierte Lernressourcen ermögliche, erläutert die Bundesregierung weiter. Daneben soll das länderübergreifende Projekt „SODIX/mundo.schule„ in Kürze starten. Diese Suchmaschine soll Schulen den Zugriff auf zahlreiche offen lizensierte Bildungsmaterialien erlauben.
Eco fordert verbindlichen Ansatz
Die Reaktion der Digitalverbände auf den Gipfel fällt unterschiedlich aus. „Den von Merkel beschworenen ‚Hochdruck‘ vermittelte der Bildungsgipfel nicht“, schreibt der Verband der Internetwirtschaft (eco). Die Digitalisierung der Schulen sei kein „nice to have“ sondern existentielle Grundvoraussetzung. Der Verband fordert einen „verbindlichen Ansatz und zeitnahe Initiativen von Bund und Ländern, um den flächendeckenden Einsatz digitaler Lehr- und Lernkonzepte unabhängig von sozialer Herkunft oder Standort effizient voranzutreiben.“
Bitkom-Präsident Achim Berg äußerte sich hingegen optimistischer. Der Gipfel sei „ein starkes Signal von Bund und Ländern, dass wir der lange Zeit verschleppten Digitalisierung der Schulen in einer gemeinsamen Anstrengung endlich den nötigen Schwung geben.“ Das Geld dafür stehe mit dem DigitalPakt Schule bereit und müsse nun auch bei den Schulen ankommen.
Opposition: Zeit bei digitaler Bildung verbummelt
Deutlich schärfere Kritik kommt von der Opposition und auch der Koalitionspartner sieht Versäumnisse. Die digitalen Kompetenzzentren hätten viel früher realisiert werden können, bemängelt Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Die Zentren seien schon im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU angelegt gewesen „und von Bildungsministerin Anja Karliczek viel zu lange liegen gelassen“ worden. Nun würden sie endlich umgesetzt. Nadine Schön, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, fordert, nicht bei der „Krisenbewältigung“ stehen zu bleiben. Es müsse die Chance genutzt werden, Schule und Bildung neu zu denken.
Das einzige konkrete Ergebnis des Gipfels seien dienstliche Laptops für Lehrer, kritisiert FDP-Bildungspolitiker Thomas Sattelberger. „Es macht fassungslos, dass Deutschland für solche Entscheidungen einen Gipfel im Kanzleramt braucht. Den Gipfelteilnehmern fehlt nicht nur jedes Gespür für die nötige Geschwindigkeit in einer Krise, sondern auch der Wille, ein weiteres verlorenes Schuljahr zu verhindern.“ Für Margit Stumpp von den Grünen sind die Ergebnisse „mehr als enttäuschend“. Die Probleme seien bekannt, das Formulieren von Handlungssträngen helfe da nicht weiter. „Der fehlende Breitbandanschluss wird seit Jahren vom CSU-geführten Infrastrukturministerium verbummelt.“ Die Grünen fordern „eine unbürokratische digitale Grundausstattung aller Schulen, eine Bundeszentrale für digitale und Medienbildung sowie ein klares Bekenntnis zu einem Digitalpakt Plus“.
EU-Parlament: Zu wenig Koordination in der Krise
Auch auf EU-Ebene soll die Digitalisierung des Bildungswesens vorangetrieben werden. Der Bildungsausschuss des Europäischen Parlaments hat am vergangenen Mittwoch eine Resolution verabschiedet, die konkrete Maßnahmen fordert, um die digitale Bildungslücke zu schließen. Während des Lockdowns hätten 32 Prozent der Schüler in einigen Mitgliedstaaten für mehrere Monate keinen Zugang zu Bildung gehabt. Die Parlamentarier befürchten, dass dies das künftige Einkommensniveau einer ganzen Generation senken und sich negativ auf die Arbeitsproduktivität und die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Union auswirken wird. Sie kritisieren auch die fehlende Koordination und den mangelnden Austausch zu bewährten Methoden während der Krise. Über die Resolution soll das Plenum im Oktober abstimmen. Die EU-Kommission will Ende des Monats ein neues Bildungspaket, inklusive eines Aktionsplans für digitale Bildung, vorstellen.
Tagesspiegel Politikmonitoring
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf der Website des BASECAMP.