BEREC-Leitlinien zur Netzneutralität

Foto: CC-By 2.0 Flickr User Omran Jamal. Bildname: Connected. Ausschnitt bearbeitet
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Veröffentlicht am 07.09.2016

Es ist der vorläufige Schlusspunkt unter den jahrelangen Streit um die Netzneutralität auf EU-Ebene: Das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC) hat am 30. August seine finalen „Guidelines on the Implementation by National Regulators of European Net Neutrality Rules“ veröffentlicht. Damit herrscht knapp zwei Monate nach der Vorstellung des Entwurfs am 6. Juni und anderthalb Monate nach Ende des öffentlichen Konsultationsprozess am 18. Juli Klarheit darüber, wie die nationalen Regulierungsbehörden die EU-Verordnung 2015/2120 umsetzen sollen. Die wichtigsten Themen der Leitlinie sind Zero-Rating, Verkehrsmanagement, Spezialdienste und Transparenz gegenüber den Nutzern.

Zunächst galt es zu klären, für wen der Schutz des „offenen Internets“ gilt. In der EU-Verordnung ist von „Endnutzern“ die Rede. Den BEREC-Leitlinien zufolge gelten die „Rechte sowohl für einzelne Verbraucher als auch für Firmen, die Internetzugangsdienste nutzen“. Damit fallen auch Inhalte- und Anwendungsanbieter darunter. Und es wird definiert, was ein Internetzugangsdient eigentlich ist: „ein öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienst“, der „unabhängig von der verwendeten Netztechnologie (z.B. Glasfaser, Kabel, Bildfunk) und unabhängig von den verwendeten Endgeräten (z.B. Handy, Tablet, Laptop) Zugang zum Internet und somit Verbindungen zu praktisch allen Abschlusspunkten des Internets bietet“, so steht es in den von der Bundesnetzagentur übersetzen Erläuterungen der Berec. Zwei Ausnahmen nennen die Leitlinien: Zum einen den Internetzugang von Cafes, Restaurants und in firmeninternen Netzen, also vor allem WLAN-Hotspots. Die seien nämlich „möglicherweise ˈnicht öffentlichˈ zugänglich“. Die zweite Ausnahme sind Geräte, deren Eigenschaften den Internet-Zugang beschränken wie intelligente Zähler und E-Book-Lesegeräte.

 

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Für das Zero-Rating, bei dem das verbrauchte Datenvolumen für eine bestimmte Anwendung oder Anwendungsklasse (z.B. Musikstreamingdienste) nicht auf den Verbrauch angerechnet werden, gibt die Leitlinie detaillierte Beispiele vor, was akzeptabel ist und was nicht. „Likely to be accaptable“ sind z.B. Angebote, die die Beschränkung des Datenvolumens für bestimmte Zeiten (z.B. nachts und am Wochenende) aufheben. Auch kann ein Internet Service Provider (ISP) eine Zeitlang den Internet-Zugang mit Abo-Gebühren für eine App koppeln – wenn der Datenverkehr dieser App „is no subject to any preferential traffic management practice and is not priced diffently than the transmission of the rest of the traffic.“ Ein Zero-Rating bei dem nach Erreichen des vertraglichen Datenvolumens alle Programme geblockt oder verlangsamt werden, die Dienste mit Zero-Rating aber nicht, würde gegen die EU-Richtlinie verstoßen.

Beim Thema Verkehrsmanagement sind sieben Grundprinzipien aufgeführt. „Zwischen konkreten Inhalten, Anwendungen oder Diensten sowie bestimmten Kategorien von Inhalten oder Diensten sollte:

  • keine Blockierung,
  • keine Verlangsamung,
  • keine Einschränkung,
  • keine Störung,
  • keine Verschlechterung und
  • keine Diskriminierung stattfinden.“

Gegen diese Grundprinzipien dürfen die ISP nur verstoßen, wenn einer von drei Ausnahmegründen vorliegt:

  • Einhaltung anderer Rechtsvorschriften
  • Wahrung der Netzintegrität und -Sicherheit
  • Maßnahmen im Fall von Netzüberlastungen

In diesen Fällen dürfen Verkehrsmanagementmaßnahmen „nur so lange angewandt werden, wie es erforderlich ist.“

Die Berec-Leitlinien geben außerdem Beispiele dafür, was Spezialdienste sind: Voice over LTE (VolLTE), lineare IPTV-Rundfunkdienste oder Gesundheitsdienste wie Telechirurgie. Die nationalen Regulierungsbehörden, also in Deutschland die Bundesnetzagentur, prüfen, ob für einen Spezialdienst eine bestimmte technische Qualität der Datenübertragung objektiv erforderlich ist und nicht über das Internet gewährleistet werden kann. Nur dann ist ein Spezialdienst zulässig. In einem zweiten Schritt wird dann geprüft, ob die Netzkapazität ausreichend ist, damit sich durch die Einführung des Spezialdienstes der Internetzugang nicht verschlechtert. Die Regelungen für Spezialdienste sind damit strenger ausgefallen als im Laufe des Prozesses erwartet worden war.

Die Berec-Richtlinen geben den ISP Transparenzanforderungen mit auf den Weg, deren Einhaltung die nationalen Regulierungsbehörden sicherstellen müssen. Sie führen Beispiele an, welche Geschwindigkeiten festgelegt und überwacht werden könnten:

  • die Maximalgeschwindigkeit, die zumindest zeitweise erreicht wird.
  • die „normalerweise zur Verfügung stehende Geschwindigkeit“ im Festnetz mit zwei Parametern (Geschwindigkeit und Anteil der Zeit, in der sie zur Verfügung steht).

Für Mobilfunk könnten zum Beispiel Landkarten den Endnutzern deutlich machen, mit welcher „geschätzten Maximalgeschwindigkeit“ sie an verschiedenen Orten unter realistischen Nutzungsbedingungen rechnen können.

Wirtschaft ist uneinig

Unterschiedlich fallen die Reaktionen des Verbandes der Internetwirtschaft Eco und den großen ISP aus. Oliver Süme, Eco-Vorstand Politik und Recht spricht davon, dass es mit den Leitlinien zur Netzneutralität gelungen ist, „die Interessen der Nutzer und der Anbieter in einen gerechten Ausgleich zu bringen bzw. diese aufrecht zu erhalten. Einerseits garantieren die Leitlinien einen diskriminierungsfreien Internetzugang, andererseits lassen sie aber ausreichend Raum für innovative Dienste, wie beispielsweise Spezialdienste.“ Dagegen ließ sich die Telekom damit zitieren, dass durch die überwiegend restriktiven Auslegungen gesetzlicher Regelungen, „innovative Geschäftsmodelle – insbesondere für den industriellen Anwendungsbereich – gefährdet“ werden. Spiegel Online zitiert einen Telefónica-Sprecher: „Die Berec hat hier in einigen Teilen engere Interpretationen des Regelwerks festgelegt, die der Idee von Markt- und Innovationsförderung zum Teil entgegenlaufen und einem notwendigen Investitionsschub in die Breitbandinfrastruktur Europas nicht so förderlich sind, wie sie im Ursprung der EU-Regelung waren.

Netzaktivisten im Grundsatz zufrieden

Viele Aktivisten für Netzneutralität und ein offenes Internet begrüßen die Leitlinie dagegen im Grundsatz. „Alle Daten müssen gleich behandelt werden – dieses Grundprinzip des Internets wurde heute durch das Gremium der europäischen Telekom-Regulierer (BEREC) weitgehend festgeschrieben.[…] Es ist ein Erfolg für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für Start-ups und nicht-kommerzielle Angebote im Netz, dass sich die Provider nicht vollständig durchsetzen konnten“, so Alexander Sander,  Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft.

Zweifel gibt es aber daran, ob die Regelungen detailliert genug sind, um in der Praxis Einschränkungen der Netzneutralität zu verhindern. So schreibt die Redaktion von Grün-Digital, dem netzpolitischen Blog mehrerer Grünen-Abgeordneter: „In den Jahren der Debatte um die Netzneutralität hat sich immer wieder gezeigt, dass kleinste Rechtslücken und Uminterpretationen von Rechtsbegriffen zur Aufweichung der Netzneutralität genutzt wurden. Daher werden wir die konsequente Umsetzung der neuen Regeln im Sinne des offenen Internets durch die nationalen Regulierungsbehörden und die weitere Debatte eng verfolgen.“

Auch der Bundesverband IT-Mittelstand (Bitmi) befürchtet, dass die Berec-Richtlinien nicht europaweit einheitlich umgesetzt werden. „Die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten könnten […] zu unterschiedlichen Anwendungen der Verordnung in den einzelnen Mitgliedsstaaten führen“, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes, „wie bereits die Verordnung zur Netzneutralität aus 2015 sind die Richtlinien ein weiterer Schritt in die richtige Richtung und ein wichtiger Versuch, die Verordnung enger zu fassen und Lücken, die die Netzneutralität gefährden, zu schließen. Dies gelingt nur bedingt: Spezialdienste und Zero Rating sind weiterhin nicht ausgeschlossen und unbestimmte Rechtsbegriffe erfordern eine Auslegung durch die Regulierungsbehörden.“

Wenn die Befürchtungen zutreffen, dass die Regelungen nicht eindeutig genug formuliert sind, um die Umsetzung in den EU-Staaten vergleichbar ausfallen zu lassen und Streitpunkte im Einzefall auszuräumen, dann werden die nächsten Kapitel im Streit um die Netzneutralität möglicherweise nicht  Parlamente oder Regulierungsbehörden schreiben, sondern Gerichte.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Sascha Klettke ist Chef vom Dienst und Analyst für Netzpolitik.

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