BASECAMP One-to-One: Nachgefragt bei Dr. Linn Selle
Foto: Katrin Neuhauser
BASECAMP ON AIR und young+restless thematisieren am 10. September die Strategie der deutschen EU Ratspräsidentschaft. Unter anderem wird es um die digitalpolitische Agenda gehen, aber auch um die Frage, wie die Leitgedanken der Präsidentschaft in reale Politik umgesetzt werden können. Mitdiskutieren wird unter anderem die Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland, Dr. Linn Selle. Im Vorfeld der Veranstaltung (hier anmelden) haben wir Linn Selle zum Interview gebeten:
Ich freue mich auf die Veranstaltung, weil…
…Europa vom Austausch der Ideen lebt und ich mir von der Debatte neue Impulse im Dialog zu einer zukunftsorientierten Europapolitik erhoffe.
Das Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft lautet: „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“. Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, um dieses Motto in reale Politik umsetzen zu können und Europa tatsächlich zu stärken?
Die erste Herausforderung liegt gleich bei „Gemeinsam“. Wir haben zu Beginn der Pandemie ja gut beobachten können, wie nationales Denken und Grenzschließungen die Politik beherrschten. Das muss sich dringend ändern. Aber jetzt ist schon wieder von einseitigen Grenzschließungen einzelner Mitgliedstaaten die Rede, und eine europaweit funktionierende Corona-Warnapp gibt es, soweit ich weiß, auch immer noch nicht. Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Dann braucht es Geld. Die EU-27 haben sich auf einen langfristigen EU-Haushalt geeinigt, der zu wenig auf die gemeinsamen Prioritäten der EU und ihre Zukunftsthemen setzt. Anstatt wie im guten Kommissionsvorschlag die wichtigen EU-Programme zu Forschung, Jugend und Gesundheit stärker zu fördern, wurden die nationalen Rabatte erhöht. Dies zeugt nicht von europäischer Weitsicht. Und schließlich braucht es eine gemeinsame Idee über die Zukunft Europas. Die EU muss krisenfest gestaltet und institutionell gestärkt werden. Ich persönlich denke, jetzt ist es wichtiger denn je, eine Konferenz zur Zukunft Europas zu organisieren. Dort könnten Bürgerinnen und Bürger, gesellschaftliche Kräften und Vertreterinnen und Vertreter der Politik auf allen Ebenen die institutionelle Weiterentwicklung der EU diskutieren. Dabei darf auch die Gestaltungsaufgabe des digitalen Wandels in Europa und seine Auswirkungen auf Wirtschaft, gesellschaftliches Zusammenleben und Demokratie nicht zu kurz kommen.
Mit welchen Initiativen unterstützt Ihre Organisation die deutsche Ratspräsidentschaft und die Ziele der Bundesregierung?
Mit Informations- und Dialogangeboten für Multiplikatoren aus den Interessengruppen. Für sie schaffen wir Austauschmöglichkeiten mit Vertreterinnen und Vertretern aller EU-Institutionen, seit Mitte März komplett digital. Das hat den Vorteil, dass wir den Dialog auch für internationale Akteure öffnen und jetzt wirklich grenzüberschreitend informieren und diskutieren können. Im Juli haben wir mit der Bundesregierung und fast 300 Teilnehmenden die Ergebnisse des EU-Sondergipfels zum Wiederaufbauplan und dem EU-Haushalt diskutiert – auf Deutsch, Englisch und Italienisch. Das war schon etwas Besonderes. Gleichzeitig stärken wir mit Kontakten oder Know-How die Vernetzung gesellschaftlicher Kräfte – auch grenzüberschreitend – und fördern ihre Auseinandersetzung mit europapolitischen Themen. Mit unserer EBD-Politik möchten wir innerhalb unserer heterogenen Mitgliedschaft einen Konsens zu entscheidenden Zukunftsthemen der europäischen Agenda erarbeiten. Der kann dann auch der Bundesregierung als Orientierung dienen, wie gesellschaftliche Kräfte in Sachen Europapolitik ticken.
Welche Rolle kann die Digitalisierung dabei spielen, Europa und die europäische Gemeinschaft zu stärken?
Digitalisierung ist ein gesellschaftliches und politisches Querschnittsthema. Ich persönlich sehe dabei große Chancen für eine aktive Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern und für neue Beteiligungsmöglichkeiten. Das könnte einer echten, europaweiten Demokratie Auftrieb geben – wenn es uns gelingt, Werte und Grundrechte auch im digitalen Raum zu schützen und Hassreden und digitale Echokammern zu verhindern. Auf der anderen Seite müssen die EU-Institutionen auch das Potenzial der Möglichkeiten nutzen, die digitale Technologien für die Stärkung der europäischen Demokratie und der aktiven Teilhabe bereithalten. Dazu brauchen wir mehr Investitionen in eine leistungsfähige und flächendeckende digitale Infrastruktur, europäische Förderprogramme für digitale Bildung und eine Förderung von digitalen Technologien, die Sprachbarrieren durchbrechen und europäischen Dialog ermöglichen und vertiefen.
Ein Teil des EU-Konjunkturprogramms für die Folgen der Corona-Krise soll in Zukunftsfelder wie die Digitalisierung und den Klimaschutz fließen. Warum ist dies für die zukünftige Rolle und das Wiedererstarken der EU wichtig?
Weil wir nicht allein auf Wiederaufbau oder gar Rückschritt zum Status-quo setzen dürfen. Der Lockdown in der Coronakrise hat zwei Dinge schonungslos aufgedeckt: den Rückstand Europas bei der Digitalisierung, besonders bei der digitalen Bildung und der Bereitstellung digitaler Plattformen und den negativen Einfluss unserer Alltagsmobilität auf Umwelt und Klima. Es ist daher wichtig, dass die EU durch das Wiederaufbauinstrument den grünen und digitalen Wandel beschleunigen möchte und dass auch der europäische Binnenmarkt in diesen Bereichen gestärkt wird. Wir sollten die Krise als Chance sehen, Europa gemeinsam zukunftsfest zu machen – so viele Ressourcen für und so viel Bedarf an digitalen Strukturen wird es so schnell nicht mehr geben, das muss nun genutzt werden.
Anmeldung:
Hier können Sie sich zur Veranstaltung anmelden.
Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind.
Programm:
- Einwahl ab 17:15 Uhr
- Talk von 17:30 bis 18:30 Uhr
- anschließend Networking im Online-Tool
Das Event findet auf Englisch statt.