BASECAMP ON AIR – Young + Restless: Wie steht es mit der Digitalisierung in Deutschland?
Foto: Screenshot der Veranstaltung
Die letzten Wochen und Monate haben uns vor allem eins gezeigt: Wie bedeutsam die Digitalisierung doch für unser Leben ist. Das stellte Philippe Gröschel, Head of Government Relations bei Telefónica Deutschland, in seiner Einführung zum digitalen young+restless Talk Anfang November gleich klar. Die meisten stimmen ihm mittlerweile in diesem Punkt zu – noch vor drei Jahren war das alles andere als selbstverständlich.
Damals, zu Beginn der 19. Legislaturperiode des Bundestages, fragte young+restless Politikerinnen und Politiker, was sie im Ausschuss „Digitale Agenda“ erreichen wollen. Heute, drei Jahre und eine Corona-Pandemie später, stellte young+restless die Frage nach der Digitalen Agenda erneut: Was haben Politikerinnen und Politiker erreicht? Wo gibt es dringenden Handlungsbedarf? Und was können wir aus der Corona-Krise lernen?
Corona als Brennglas
Diese Fragen diskutierte Moderatorin Alice Greschkow mit Abgeordneten von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP sowie dem Verband der Internetwirtschaft. Die erste Bilanz fiel eher negativ aus. „Corona hat uns wie ein Brennglas vor Augen geführt, was nicht so gut läuft“, stellte der Bundestagsabgeordnete und digitalpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Tankred Schipanski, fest. Vor allem im Bereich der Bildung und der Verwaltung sei der Nachbesserungsbedarf an digitalen Angeboten besonders deutlich geworden. Die Wirtschaft hingegen habe gut reagieren können. Als Beispiel dafür nannte er die Möglichkeit, auch im Homeoffice arbeiten zu können. Die größte Herausforderung läge laut Schipanski allerdings immer noch beim Thema Infrastruktur und Ausstattung. „Schauen wir uns das Dashboard der Bundesregierung an, schneiden wir im Großen und Ganzen aber gut ab.“
Tabea Rößner, Sprecherin für Netzpolitik der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, kritisierte vor allem Lücken in der IT-Sicherheit, die vor allem Videokonferenzen betreffe. Der Bundesregierung fehlt es an Durchsetzungskraft, um hier einen ordentlichen Schub voranzubringen. Viele Menschen würden sich zudem im Internet nicht sicher fühlen. Um dem entgegenzuwirken, müssten die Kompetenzen im Bereich Medienbildung gestärkt werden.
Probleme beim Homeschooling
Mit der Infrastruktur zeigte sich auch Falko Mohrs, Berichterstatter Digitale Wirtschaft der SPD-Fraktion, unzufrieden. Die Corona-Krise habe gezeigt, dass unterversorgte Gebiete weiterhin unterversorgt blieben, was beispielweise für Probleme beim Homeschooling sorgte. Ebenso seien nicht alle Schulen ausreichend darauf vorbereitet gewesen. „Es wurden zwar viele pragmatische Lösungen gefunden, aber es hat sich hier auch gezeigt, wo noch Nachholbedarf besteht“, so Mohrs.
Bei der Verwaltung beispielsweise. Darauf wies der FDP-Bundestagsabgeordnete Manuel Höferlin, Vorsitzender im Ausschuss Digitale Agenda im Deutschen Bundestag, hin: „Es fehlt an ganz einfachen Dingen“. Zum Beispiel wenn Menschen Kontakt zu Behörden aufnehmen wollten oder ihren Anspruch auf Heimarbeitsplätze realisieren wollten. „ Wir wollen überall arbeiten, aber dann braucht man auch überall Möglichkeiten“, so Höferlin. Was das betreffe, gebe es noch wahnsinnig viel zu tun.
Der Föderalismus ist der Sargnagel der Digitalisierung
Der Geschäftsführer des eco Verbandes der Internetwirtschaft, Alexander Rabe, fühlte sich in diesem Punkt jedoch nicht angesprochen. „Als Betreiber digitaler Infrastrukturen bin ich letztlich sehr stolz, denn die Internetwirtschaft hat den Laden am Laufen gehalten.“ Es sei mit Nichten so gewesen, dass sie bei der Datenverarbeitung an die Kapazitätsgrenzen gelangt seien. Dort wo Strukturen vorhanden sind, seien sie auch einwandfrei den Anforderungen gerecht geworden. Dennoch: Vieles seien Lippenbekenntnisse der Relevanz von Digitalisierung. „Den nächsten Schritt, Digitalisierung in politische Entscheidungen mit einzubeziehen, gehen wir oftmals nicht“, so Rabe. Dafür fehle ein federführender Ausschuss. Zwar gäbe es eine Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, aber keine Koordinierung, kein Budget und keinen Durchgriff. „Digitalpolitiker sind jetzt in führenden Ämtern, das hat aber nicht wirklich zur Folge, dass sich die Politik auf die Anforderungen schon eingestellt hat, sondern da sind wir doch noch teilweise im alten Jahrtausend verhaftet.“
Und wer trägt die Schuld dafür? Nach Ansicht von Schipanski ist die Kultusministerkonferenz mit ihrem föderalen System zuständig für diese Misere. „Der Föderalismus ist der Sargnagel der Digitalisierung“, so Schipanski. Mohrs hingegen betonte, dass die Schuldzuweisung das Problem nicht löse und der Föderalismus auch nicht einfach ausgehebelt werden könne. „Wir müssen über Zustände diskutieren und nicht über Zuständigkeiten.“
Digitalministerium – ja oder nein?
Brauchen wir dann überhaupt ein Digitalministerium? In dieser abschließenden Frage von Moderatorin Alice Greschkow waren sich jedoch alle einig: Ja. „Wir brauchen zwingend ein Digitalministerium, denn dahinter steht die digitale Transformation von Politik, die hier in Berlin dringend notwendig ist,“ sagte Höferlin. Es gehe dabei nicht um die Verlagerung von Kompetenz aus anderen Ministerien, vielmehr müsse es einen engen Zuschnitt geben für eigene Aufgaben. Es gäbe bereits viele innovative Ideen, um digital transformierter zusammenzuarbeiten. „Sie müssen im Bundestag umgesetzt werden.“ Auch da bräuchten wir viel mehr Tempo.
Bei aller Kritik steht für Philippe Gröschel auf jeden Fall eines fest: „Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind unsere beiden Verbündeten, um diese Krise zu überstehen.“ In drei Jahren werden wir vielleicht überblicken, wie weit wir mit ihnen gekommen sind.