BASECAMP ON AIR Nachbericht: „Wir setzen uns für eine andere Online-Welt ein“
Foto: Henrik Andree
Digitale Gewalt, insbesondere gegen Frauen, ist Realität und trauriger Alltag. Für Bundesfrauenministerin Franziska Giffey steht aber fest: „Das ist nicht normal, das muss nicht hingenommen werden.“ Aus Anlass des Aktionstages gegen digitale Gewalt an Frauen diskutierte sie darüber bei BASECAMP ON AIR mit Influencer*innen und zwei Frauen, die sich in der Hilfe für Betroffene engagieren.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat den 15. Oktober zum Aktionstag gegen digitale Gewalt an Frauen erklärt. Bundesweit engagiert sich das Ministerium seit November 2019 mit der Initiative „Stärker als Gewalt“ auch gegen jedwede Form der Gewalt im Netz – von der aber in den meisten Fällen Frauen und Mädchen betroffen sind. Am Donnerstag diskutierte Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) dazu bei BASECAMP ON AIR mit Katja Grieger, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid, sowie Cheyenne Ochsenknecht, Influencerin und Unterstützerin der Initiative „Stärker als Gewalt“. Moderatorin war Diana zur Löwen.
„Unser Ziel ist, digitale Teilhabe für alle zu sichern. Gleichzeitig sollen sich aber auch alle angstfrei im Netz bewegen können“, sagte Gastgeberin Valentina Daiber, Vorständin für Recht und Corporate Affairs von Telefónica Deutschland, in ihrem Grußwort. Telefónica engagiere sich deshalb unter anderem mit der Kampagne #LOVEMOB und der Videoreihe WAKE UP! gegen Cybermobbing. „Damit wollen wir einen Beitrag leisten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und einen sicheren digitalen Raum zu schaffen“, erklärte Daiber.
Aktiv gegen digitale Gewalt
Wie groß diese Herausforderung ist, schilderte Anna-Lena von Hodenberg: „Digitale Gewalt ist kein deutsches oder europäisches, sondern ein weltweites Problem“. Eine neue Studie von Plan International belege, dass 50 Prozent aller Frauen und Mädchen schon einmal im Netz angegriffen wurden. Aus der Studie gehe auch hervor, dass die digitale Gewalt schlimmer geworden ist als die analoge. Digitale Gewalt gegen Frauen, ob in Form von Beleidigungen oder Bedrohungen, habe außerdem in vielen Fällen eine sexuelle Komponente, so von Hodenberg weiter. Betroffen seien oftmals Frauen, die sich für eine Sache öffentlich engagieren – sei es für Themen wie den Klimaschutz, den Feminismus oder in der Politik.
Cheyenne Ochsenknecht ist als Influencerin auf Online-Plattformen unterwegs. „Ich habe nicht mit diesem Ausmaß an digitaler Gewalt gerechnet“, erklärte sie. Entgegen ihrem Charakter habe sie dies „sprachlos und leise gemacht“. Sie habe mittlerweile auch Angst, vor die Tür zu gehen, aus Sorge, dass aus der digitalen Gewalt physische werden könnte. Bundesministerin Franziska Giffey sieht in der digitalen eine vergleichsweise neue Form der Gewalt, die aber schon für viel zu viele Frauen zur Normalität geworden sei. Ihr sei daher wichtig zu sagen, „das ist nicht normal, das muss nicht hingenommen werden“. Notwendig sei daher die Initiative der Politik und aus der Zivilgesellschaft heraus. Dies sei auch der Anlass dafür gewesen, „Stärker als Gewalt“ ins Leben zu rufen. Dort kommen alle Akteure, die sich in Deutschland gegen Gewalt und Gewalt gegenüber Frauen engagieren, zusammen und den Betroffenen werde eine zentrale Informations- und Anlaufstelle für Hilfe geboten.
Auch Katja Grieger beobachtet bei ihrer Arbeit eine Zunahme der geschlechterspezifischen Gewalt sowie eine Verknüpfung von analoger und digitaler Gewalt. „Es geht bei dieser Form von Gewalt ganz häufig darum, Frauen zu kontrollieren“, betonte Grieger. Bei Trennungen drohten Partner beispielsweise damit, intime Fotos online zu stellen. Ein großes Problem sei auch das Trennungs-Stalking – beispielsweise unter Zuhilfenahme von Spionage-Apps. Die Studie von Plan International habe aber auch gezeigt, dass digitale Gewalt oftmals anonym von Menschen aus dem sozialen Umfeld der Opfer ausgeübt werde – zum Beispiel von Mitschüler*innen, Arbeitskolleg*innen oder Menschen aus dem Bekanntenkreis. „Die Phase der Ohnmacht, nicht zu wissen, wer der Täter ist, was noch kommt und welche Geräte möglicherweise betroffen sind, ist unglaublich schrecklich für Frauen“, unterstrich Grieger.
Da es bei Gewalt darum gehe, Menschen zum Schweigen zu bringen, sei in der Hilfsarbeit wichtig, zu fragen, „was brauchst Du, um wieder mehr Stimme, mehr Handlungsmöglichkeiten und Kontrolle über dein Leben zu erlangen“. Cheyenne Ochsenknecht hat angefangen, die schlimmsten Kommentare zur Anzeige zu bringen. Gemeinsam mit ihrer Mutter hat sie außerdem ein Buch geschrieben, das Jugendliche und ihre Eltern über digitale Gewalt informieren soll. Auch Anna-Lena von Hodenberg plädiert dafür, in jedem Fall Anzeige zu erstatten. Es sei wichtig, dass alle Fälle in der Statistik auftauchen, um Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. „Ich weiß aber auch, dass viele Frauen bei der Polizei nicht die besten Erfahrungen machen“. Es fehle an vielen Stellen die Sensibilität und die Erfahrung mit dem Thema digitale Gewalt – hier gelte es bei Polizei und Staatsanwaltschaften noch zu lernen.
Frauen im Netz sicherer machen
Neben der Strafverfolgung sei es wichtig, dass Betroffene Solidarität und Hilfe erfahren. Die Mitglieder ihres Verbandes arbeiteten aber auch daran, „Frauen im Netz sicherer zu machen“. Dabei geht es um ganz praktische Fragen wie die richtigen Datenschutzeinstellungen im Browser und auf Online-Plattformen. Auch Franziska Giffey setzt auf die Vermittlung von Medienkompetenz. Gleichzeitig sollten Anwendungen direkt mit den richtigen Voreinstellungen ausgestattet sein. „Wir müssen aber auch ganz viel machen, um Frauen zu ermutigen, sich als Konsequenz aus negativen Erfahrungen nicht aus der Online-Welt zurückzuziehen, sondern stattdessen zu sagen, wir setzen uns für eine andere Online-Welt ein“, betonte die Ministerin. Der Rückzug von immer mehr Menschen aus öffentlichen Diskursen sei nämlich eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft.
Es gab aus dem Kreis der Diskutantinnen aber auch noch Wünsche in Richtung Politik. Aus Sicht von Anna-Lena von Hodenberg sind von digitaler Gewalt betroffene Frauen heute viel zu sehr in der Bringschuld: „Sie werden angegriffen im Netz, müssen dann Screenshots von allen Kommentaren machen, sich alles noch einmal durchlesen und rechtssicher machen sowie eine Anzeige bei der Polizei und Löschanträge bei den Plattformen stellen.“ Das, so von Hodenberg, müsse sich dringend ändern.
Franziska Giffey machte darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung an verschiedenen Stellen aktiv ist. Neben der Initiative „Stärker als Gewalt“ gebe es für die nächsten fünf Jahres erstmals ein 150 Millionen Euro umfassendes Aktions- und Förderprogramm gegen Gewalt an Frauen. Mit dem Geld sollen Beratungsstellen und Frauenhäuser unterstützt werden. Ein wichtiger Punkt dabei sei, diese Stellen auch bei der Digitalisierung fitter zu machen. „Denn wer sich selber nicht so gut auskennt, kann auch nicht so gut helfen“, unterstrich Giffey. Darüber hinaus will die Bundesregierung, die Strafverfolgung verschärfen, darauf ziele auch die am 14. Oktober vom Kabinett beschlossene Änderung des Jugendschutzgesetzes. Außerdem werde ihre Kabinettskollegin, Justizministerin Christine Lambrecht (CDU), demnächst Gesetzesverschärfungen gegen Straftaten im Netz vorlegen – wobei auch das sogenannte Cybergrooming ein wichtiges Thema sei.