BASECAMP FishBowl: KI ist nicht Zukunft, sondern ist heute
„Wir haben noch lange nicht zu viel über Künstliche Intelligenz gesprochen, denn es ist die ganz grundsätzliche Technologie der Zukunft. Aber manchmal dauert es Jahrzehnte, bis eine Technologie ihre ganze Wirkung entfaltet, wie etwa beim Strom“, erklärte der Netzökonom von der TU Darmstadt, Holger Schmidt, der die FishBowl zum Thema „Potenziale der KI für die deutsche Wirtschaft“ am 24. Mai im BASECAMP von Telefónica Deutschland moderierte. „Wir wollen heute fragen, wo kann KI helfen, wo ist sie nützlich und wo ist sie overhyped.“ Und wo die typischen Anfangsfehler in Unternehmen seien, „weil sie zu blauäugig dran gehen“.
Doch was ist mit der KI heute, was machen Unternehmen bereits damit, war die erste Frage in die Runde. Markus Rolle, Finanzvorstand von Telefónica Deutschland, unterstrich, dass bei Telefónica die KI bereits in fast allen Bereichen des Unternehmens in unterschiedlichen Entwicklungsstufen im Einsatz ist. Sie spielt eine Rolle als Tool für Mitarbeiter:innen. Sie dient zur Optimierung der Kühlung im Netz, um weniger CO2 auszustoßen. Sie hilft bei der Job-Besetzung, existiert als Bots im Finanzbereich, um Prozesse zu optimieren und dient bei der Kundenbetreuung und –bindung, „soweit erlaubt“ im Rahmen des Datenschutzes.
Wie sehr KI nicht nur Zukunft, sondern bereits heute Alltag ist, unterstrich Michael Koch, Director Artificial Intelligence bei Lufthansa Industry Solutions ebenfalls. Auch er konnte eine lange Liste aufzählen, wo KI bei der Planung von Frachtgewicht, von benötigten und bevorzugten Mahlzeiten, beim Lebensmitteleinkauf, bei der optimalen Stationierung der Crews und beim Vorsortieren der zehntausenden von Kommentare zur Arbeit der Lufthansa im Monat durch Kunden und Mitarbeiter:innen. Sie hilft bei der Bildverarbeitung um Besucherströme zu leiten. Die KI-Abteilung, die auch eine Plattform aufbaut um neue KI-Themen zu entwickeln, bietet ihr Knowhow inzwischen auch im Tourismus- und Veranstaltungsbereich an. Um bereits den Schulkindern zu zeigen, wo es schon heute überall KI gibt, ist Koch auch im Vorstand vom Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC) engagiert.
Denn: „KI ist nicht Zukunft, KI ist heute.“
Wie es mit der KI in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aussieht, wollte Schmidt von Stefanie Kästle, Geschäftsführerin Mader GmbH & Co, einer Firma für Drucklufttechnik und Pneumatik, wissen. Die Firma mit ihren 80 Beschäftigten setze KI zur Prozessoptimierung ein und zum Finden von Leckagen. 2018 habe man ein Startup zur Digitalisierung ausgegründet, das auch anderen Herstellern beratend zur Verfügung stünde. Außerdem werde KI zur Meeting-Vorbereitung eingesetzt.
Als Vertreter eines Startups, wo KI oft von Beginn an dazugehört, war Lukas Rintelen, Gründer & CEO tucan.ai, in der Runde. Tucan ist eine Firma, die Meeting Software anbietet, die automatisiert Transkripte, Zusammenfassungen und Notizen von Meetings erstellt und dokumentiert. Dafür gebe es vielfältige Einsatzmöglichkeiten, nicht nur bei Firmenbesprechungen, sondern auch in Callcentern oder etwa bei Gericht. Tucan könne helfen, das Gedächtnis der Firmen zu verbessern und das ganze Wissen zu archivieren, so dass jederzeit systematisch darauf zugegriffen werden könne, quasi „ein perfektes zweites Gehirn für ein Unternehmen“.
Als Vertreterin der Politik war die hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Professorin Kristina Sinemus, zugeschaltet, deren Projekte und Förderungen am besten über die Plattform digitales.hessen.de zu finden sind. Hessen habe ein Zentrum für verantwortungsvolle KI aufgebaut sowie Förderprogramme, eine Anschubfinanzierung für eine neue Recheninfrastruktur gegeben, und versuche, die Digitalisierung über alle Ressortgrenzen in ihrem Ministerium zu bündeln.
Was die typischen Anfangsfehler sind, waren sich die Diskutant:innen ziemlich einig: Die Einführung nicht von oben überstülpen, sondern die Beschäftigten eigene Ideen, die ihrer Arbeit dienen, entwickeln lassen, sagte Rolle. „Runter vom Gas, bissel ruhiger sein, keine Luftsprünge machen“, meinte Rintelen, denn oft stelle sich heraus, dass die perfekte Lösung für einen Kunden nicht eine für alle sei. Mut, nicht nur neue Produkte mit KI entwickeln zu wollen, sondern auch die eigenen Prozesse damit zu optimieren, fügte Sinemus hinzu.
Ob die Weiterentwicklung von KI durch eine schlechte Konjunktur gebremst werde, ließe sich kaum abschätzen. Während der Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns waren gegensätzliche Trends gleichzeitig zu beobachten bei der Digitalisierung, hieß es. Und wo wird der nächste große Schritt in der KI sein? „Das wissen wir nicht zu 100%“, erklärte Rolle kurz und knapp. Telefónica versuche zurzeit weitgehend das „Brot-und-Butter-Geschäft“ damit zu optimieren. Koch erklärte, es sei vor allem wichtig, mehr Vertrauen in die KI zu schaffen, die uns ja schon ganz selbstverständlich umgebe, was vielen nicht bewusst sei.
Der erste Gast auf dem freien Stuhl war Alexander Kiock vom Bundesverband Digitale Wirtschaft, der sich sehr skeptisch zu den deutschen und europäischen Regulierungsabsichten samt Datenschutz äußerte. Rintelen sah darin eher eine Chance gegenüber der extremen Datenausbeutung in China und dem laxen Umgang in den USA. Auch Koch sieht im AI-Act der EU die Möglichkeit, dass die soziale Verantwortung, die in der EU beim Umgang mit Daten, Software und KI eingefordert werde, ein Argument für den Export werden könne. Und die Ministerin fügte hinzu: „Das ist genau die Chance, die wir in der EU haben.“
Eine ganz andere Frage warf ein Rechtsreferendar und Informatikstudent aus:
„Müsste man die ganze Energie, die jetzt zum Posten und ähnlichem aufgewandt wird, nicht lieber für das Heizen im nächsten Winter sparen?“
Rintelen kommentierte: „Gute Frage, schwierige Frage.“ Bezogen auf KI meinte er aber: „KI-Training komplett abzudrehen, halte ich für falsch.“ Kästle und Sinemus verwiesen auf die langfristigen Energieeinsparungen, die mit KI erzielt werden können. Es sei das Mindset, betonte Rolle. Nachhaltigkeit als grundsätzliche Orientierung müsse in den Unternehmen verankert werden. Mit klaren Zielen könne man KI sehr genau einsetzen wie eben bei beim Plan von Telefónica, bis 2025 bei CO2-Emissionen nettoneutral zu werden.