BASECAMP FishBowl: „Agilität ist nicht Schwarz-Weiß“
„Agil arbeiten“ ist ein Schlagwort, das in den vergangenen Jahren von vielen im Munde geführt wurde, am wenigsten allerdings von denen, für die Prinzipien des agilen Arbeitens selbstverständlich sind, ohne sie deshalb so zu nennen. Agiles Arbeiten ist weniger eine Herausforderung für Startups als für große Unternehmen mit eingefahrenen Abläufen und bisher selbstverständlichen Hierarchien. Die Umstellung verlangt vor allem von Führungskräften die psychologische Stärke, mehr Selbstständigkeit bei Mitarbeiter:innen zuzulassen.
In der „FishBowl“-Veranstaltung im Berliner BASECAMP von Telefónica leitete Joachim Pehlke, „Agile enthusiast“ des Unternehmens, die Diskussion „Wir sind Agil! Aber wie genau geht das? Über Mindset, Haltung und Kultur“. Bereits in der Begrüßung nannte Telefónica-Personalvorständin Nicole Gerhardt die Leitlinien für agiles Arbeiten, auf die die Diskussionsteilnehmer:innen in den anderthalb Stunden immer wieder zurückkamen: Mut zum Experiment, Neuland wagen und Retrospektive, nicht um Kritik zu verteilen, sondern um daraus für künftige Projekte zu lernen:
„Agilität kann nur als Haltung erfolgreich sein.“
Dass in der Gründerszene „Agilität kein Thema“ ist, zeigte nicht nur der Beitrag von Melisa Manrique, Mitgründerin von „My Migrant Mama“, einem Serviceunternehmen von Migrantinnen, sondern auch von Florian Bogenschütz, CEO Wayra Deutschland, einem Open Innovation Hub von Telefónica in München, der Startups betreut:
„Wenn man von agil redet, ist man es sicher gerade nicht.“
Denn Startups agieren nicht nach einem festgelegten Plan, der unbedingt umgesetzt werden muss, sondern reagieren – zwangsläufig – schnell auf Markt- und Personalentwicklungen, um zu überleben. Große Konzerne haben dagegen einen Kapitalpuffer, der sie auch mal magere Jahre überstehen lässt. Würden die Entscheidungen, die zu den mageren Zeiten führten, aber nicht irgendwann überprüft, dann stünden sie bald ohne konkurrenzfähige Produkte und ohne Kunden da.
Für Karl-Heinz Busch, Head of Events & Communities of Learning Organization bei der Siemens AG, gilt deshalb eine eigentlich uralte Regel, die er „PDCA repeat“ nannte: Plan, do, check, adjust: „Überprüfen und anpassen, das tun wir nicht so gerne, aber es muss immer wieder sein.“ Das dürfe dann aber nicht als „Lessons learned“ abgehakt und in die Schublade gepackt werden, mahnte Pehlke.
Agiles Arbeiten bedeutet für Barbaros Kaman, Agile Coach, und Scrummaster bei der Deutschen Telekom, nicht „Scrum“ oder „Kanban“, oder wie die Schlagworte zur Optimierung von Arbeitsprozessen alle heißen, sondern „Committment“, vielleicht hier am besten zu verstehen als gemeinschaftliches Engagement. Das, so Kaman, sei überall umsetzbar, von der Bäckerei bis zum Konzern.
Drei Schritte sind für Kaman wichtig, will man zum agilen Arbeiten gelangen: die eigene Arbeit visualisieren, die Tätigkeiten malend zu Papier bringen. Dabei würde am ehesten deutlich, wo es vielleicht hakt. Regelmäßige Treffen des Teams, nicht zwischen Tür und Angel und Kundentelefonaten und – wieder – die Rückschau, ohne Schuldzuweisung, wenn was nicht geklappt hat. Einer jungen Mitarbeiterin, die sich im offenen Teil der Diskussion zu Wort meldete und um Tipps für die Einführung von Agilität bat, riet er, das Team möge sich einen Coach suchen, und zwar von außerhalb und aus einem anderen Bereich.
Für Pehlke bedeutet agiles Arbeiten, mehr Spaß bei einer selbstbestimmteren Arbeit zu haben, mehr Motivation durch Verantwortung und konkrete Ziele. Dabei, so ein Gast, solle man aber nicht verdrängen, dass das Ziel der Unternehmen und ihrer Arbeit, egal nach welcher Methode, das Geldverdienen sei, und nicht die Zufriedenheit der Belegschaft.
Die größte Herausforderung bei der Einführung agiler Prinzipien sieht Kaman in der Anpassung der Führungskräfte: „‘Command and Control‘ funktioniert nicht mehr.“ Ohne Vertrauen in die Mitarbeiter:innen, die beim agilen Arbeiten mehr Freiraum und mehr Eigenverantwortung brauchen, gehe eine solche Umstellung nicht. Allerdings müssen auch diese mehr eigenes Engagement einbringen. Wer wieviel Führung oder Hilfestellung braucht, das zu erkennen, sei die schwierige Aufgabe moderner Führungskräfte, die ihrem Team Sicherheit vermitteln müssen, ihre Leute auch mal glänzen lassen und bei Rückschlägen nicht gleich zu Strafmaßnahmen greifen sollten. „Das Bild von Führungskräften wird sich verändern, Macht wird anders“, davon zeigte sich Pehlke überzeugt. Dafür müsse man als Chef psychologisch sehr stark sein.
„Es ist ein ständiger Kampf mit mir selbst“, sagte Busch über seine Mitarbeiterführung.
Agilität werde nicht nur im Arbeitsleben verlangt, erklärte Philippe Gröschel, Head of Government Relations bei Telefónica, auf dem Gaststuhl, denn Klimawandel und Pandemie seien Herausforderungen, die agiles Verhalten auch außerhalb des Berufs verlangten. Viele junge Leute hätten außerdem andere Erwartungen an ihr Arbeitsleben, andere Schwerpunkte wie Nachhaltigkeit oder Work-Life-Balance, war man sich einig.
In Deutschland werde aber immer noch zu viel in Schwarz-Weiß-Schablonen gedacht, sagte die gebürtige Peruanerin Manrique. Doch die Wirklichkeit sei vielfältiger: „Agilität ist nicht schwarz-weiß.“