Automatisiertes Fahren: Gesetzentwurf verpflichtet Fahrzeugführer
Eine ruhige Weihnachtspause gab es für die Stakeholder nicht, die ihre Stellungnahme zum automatisierten Fahren abgeben wollten: Am 21. Dezember mailte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) den Gesetzentwurf an die Verbände. Am 5. Januar folgte bereits die Erörterung im Ministerium. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) äußerten sehr deutliche Kritik. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hingegen sei zu einer positiven Bewertung gekommen, hieß es von Teilnehmern der Anhörung.
Der VCD fordert in seiner Stellungnahme „der vorliegende Gesetzesentwurf sollte (..) zurückgezogen, mindestens aber gründlich überarbeitet werden.“ Der vzbv kritisiert, dass der Referentenentwurf
„die berechtigten Interessen der Verbraucher weitestgehend unberücksichtigt lässt. Statt für alle Seiten Rechtssicherheit beim Betrieb von automatisierten Systemen herzustellen, dient der Entwurf nach Einschätzung des vzbv in erster Linie dazu, die Hersteller von automatisierten Fahrsystemen weitestgehend aus der Verantwortung zu nehmen und diese den Verbrauchern als Autofahrer und Autohalter zu übertragen. Der Referentenentwurf in dieser Form wird dazu führen, dass automatisierte Fahrfunktionen in Deutschland nicht genutzt werden.“
Einer der Hauptkritikpunkte in den Stellungnahmen sind die Pflichten, die Fahrzeugführern bei der Nutzung von „hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktionen“ auferlegt werden sollen. In §1b heißt es: „Der Fahrzeugführer ist verpflichtet, die Fahrzeugsteuerung unverzüglich wieder zu übernehmen,
- wenn das hoch- oder vollautomatisierte System ihn dazu auffordert.
- wenn er technische oder sonstige Störungen des Systems erkennt oder erkennen muss oder
- wenn er erkennt oder auf Grund offensichtlicher Umstände erkennen muss, dass die Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktionen nicht mehr vorliegen oder
- wenn er erkennt oder auf Grund offensichtlicher Umstände erkennen muss, dass die Übernahme der Fahrzeugführung zum Zweck der Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften erforderlich ist.“
Der vzbv schreibt dazu: „(…) Die Pflichten des Fahrzeugführers enthalten viel zu unbestimmte und auslegungsbedürftige Begriffe. Es wird nicht deutlich, was dem Fahrzeugführer während einer automatisierten Fahrt überhaupt erlaubt und verboten ist.“ Der VCD kommt sogar zu dem Schluss, dass „durch §1b 1-3 immer der Fahrzeugführer verantwortlich“ ist.
„Er wird zu einem Maschinenüberwacher, er wird mehr als heute gefordert. Die Anforderung, `technische oder sonstige Störungen des Systems´ zu erkennen, ist eine hochkomplexe Aufgabe, die in Maschinenhallen qualifizierte Kräften übernehmen.“
Möglicherweise wäre das Urteil der beiden Verbände freundlicher ausgefallen, wenn es beim Regelungsvorschlag aus dem Arbeitsentwurf von Ende Juni geblieben wäre. Dort hieß es in §1b „Die Pflichten eines Fahrzeugführers bei der Führung eines nach §1 Abs. 1 zugelassenen Fahrzeuges gelten im Fall der Führung eines Fahrzeuges nach §1a mit der Maßgabe, dass sich der Fahrzeugführer während der Fahrzeugführung mittels automatisierter Fahrfunktionen vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abwenden darf, soweit der Fahrzeugführer während dieser Phase derart wahrnehmungsbereit bleibt, dass er sowohl die Fahrzeugführung nach Aufforderung durch das automatisierte System im Kraftfahrzeug wieder übernehmen als auch auf erkennbare technische Störungen angemessen reagieren und notfalls die Fahrzeugführung wieder übernehmen kann.“
Vom „Abwenden von der Fahrzeugsteuerung“ ist weder im nun vorliegenden Gesetzestext noch in der Begründung mehr die Rede. Auch bei den Haftungsregelungen hat sich seit dem Arbeitsentwurf aus dem Sommer etwas getan: So sollen die Schadenersatzbeträge bei „Verursachung des Schadens aufgrund der Verwendung einer hoch- oder vollautomatischen Fahrfunktion“ gegenüber Unfällen mit menschlichen Fahrern verdoppelt werden – bei Personenschäden von fünf Millionen auf zehn Millionen Euro, bei Sachschäden von ein auf zwei Millionen Euro.“
In der Gesetzesbegründung heißt es zum Verfahren im Schadensfall: „Die Inanspruchnahme des Halters im Wege der Gefährdungshaftung wird dazu führen, dass die Haftpflichtversicherung des Halters und die Versicherung des Herstellers klären, wer im Ergebnis die Kosten des Unfalls zu tragen hat.“ Der VCD kommentiert das:
„Es ist zwar richtig und für die Unfallopfer enorm wichtig, dass die Halterhaftung auf jeden Fall greift. Aber die Herstellerhaftung hier nicht per Gesetz einzuführen und lediglich anzunehmen, dass verschiedene Versicherungen sich einigen, entspricht nicht den Ansprüchen an eine eindeutige gesetzliche Regelung.“
Und der vzbv ist der Auffassung, dass die im Entwurf vorgeschlagene Regelung „eine unnötige Mehrbelastung des Verbrauchers bzw. Halters (höhere Haftpflichtbeiträge, erster und direkter Anspruchsgegner für Verkehrsopfer) bedeutet, selbst für den Fall, dass am Ende der Hersteller wegen Systemfehlern haften muss.“
Um bei einem Unfall zweifelsfrei klären zu können, ob in dem Moment der Fahrer oder das automatisierte Fahrsystem die Kontrolle über das Fahrzeug hatte, sollen die Autos mit Speichermedien ausgestattet werden, die ähnlich einer Blackbox die Systemaktivität „korrespondierend mit einer durch ein globales Navigationssatellitensystem ermittelten Orts- und Zeitbestimmung“ aufzeichnen. Ebenfalls gespeichert werden soll, ob das System den Fahrzeugführer dazu aufgefordert hat, die Fahrzeugführung zu übernehmen oder ob eine technische Störung des automatisierten Systems aufgetreten ist.
Die Ressortabstimmung des Gesetzentwurfes ist noch nicht abgeschlossen. Einzelne Wörter im „Pflichten-Paragraf“ §1b sind noch zwischen Verkehrs- und Justizministerium umstritten, wie aus der Einladung zur Verbändeanhörung hervorgeht.
Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Sascha Klettke ist Chef vom Dienst und Analyst für Netzpolitik.