Anhörung zum Wettbewerbsrecht: Experten loben „mutigen Impuls“ des BMWi

Veröffentlicht am 27.01.2017

Viel Lob für den neuen Ordnungsrahmen der digitalen Wirtschaft, aber auch Kritik für die Ausnahmeregelung der Pressekooperation äußerten am 23. Januar die Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie am Neunten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Mit der GWB-Novelle will die Bundesregierung das Wettbewerbs- und Kartellrecht an die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft anpassen. Der Entwurf stellt u.a. klar, dass auch bei einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung ein Markt vorliegen kann. Erfasst werden sollen vor allem mehrseitige Märkte, wie sie für Online-Plattformen typisch sind. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, enthält der Gesetzentwurf aus dem Hause von Sigmar Gabriel außerdem eine Ausnahme vom Kartellverbot für verlagswirtschaftliche Kooperationen.

Lob für Anpassung des Ordnungsrahmens

Nach Ansicht von Rechtswissenschaftler Rupprecht Podsun „setzt die Bundesregierung mit § 18 Abs. 3a GWB einen fortschrittlichen, mutigen Impuls, der – soweit ersichtlich – in der EU bislang einzigartig ist. Die Herausforderungen der Digitalisierung werden angenommen und an einer Schlüsselstelle des Gesetzes aufgegriffen.“ Damit werde für alle Verfahren, auch bei den Gerichten, eine moderne, ökonomisch basierte Würdigung mehrseitiger Märkte und Netzwerke verpflichtend. Der Professor der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf lobt insbesondere, dass die Effizienz der Kartellanwendung durch die Neuregelung erhöht werde. Er begrüßt außerdem, dass die Bundesregierung die Frage der Bezugsgröße für den Marktanteil bei unentgeltlich erbrachten Leistungen offen lässt und damit dem Suchprozess der Praxis überantwortet, da für eine gesetzgeberische Festlegung das Fallmaterial noch nicht ausreiche.
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Auch der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt wertet den Gesetzentwurf der Bundesregierung als „einen wichtigen Beitrag zur Anpassung des Ordnungsrahmens an die Entwicklungen der Internetökonomie“. Die Erweiterung der Aufgreifkriterien für die Fusionskontrolle entsprächen „sehr weitgehend den Empfehlungen des Think Tanks Internetplattform des Bundeskartellamts“. Sie stellen nach Ansicht von Mundt sicher, dass das Bundeskartellamt künftig gesamtwirtschaftlich bedeutende Zusammenschlüsse auch dann auf ihre wettbewerblichen Auswirkungen hin untersuchen kann, wenn sich das wettbewerbliche Potential der Unternehmen noch nicht in konkreten Umsätzen widerspiegelt, so der Verwaltungsjurist in seiner Stellungname.

Auch Jürgen Kühling von der Monopolkommission bewertet die Einführung eines auf das Transaktionsvolumen abstellenden Aufgreifkriteriums. Bedenken, dass dadurch die Entwicklung von Start-ups in Deutschland behindert und ein Anti-Exit-Gesetz geschaffen werde, das Investoren abschrecke, sind nach Einschätzung der Monopolkommission unbegründet. Schließlich gelte das zusätzliche Aufgreifkriterium branchenübergreifend und für alle Unternehmen mit Inlandswirkung, betont Kühling. Zudem seien die Schwellenwerte vergleichsweise hoch angesetzt und lägen über denen in anderen Rechtsordnungen, z. B. in den USA, sodass seiner Meinung zu erwarten ist, dass nur wenige zusätzliche Transaktionen durch das neue Aufgreifkriterium erfasst werden, schreibt er in seiner Stellungnahme.

Kritik an Kriterien

Ulrich Schwalbe von der Universität Hohenheim kritisiert ebenso wie die Monopolkommission in seiner Stellungnahme hingegen die Kriterien, die bei einer Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens berücksichtigt werden sollen, als zum Teil „unzureichend“, „wenig aussagekräftig“ und „sprachlich unglücklich“. Er plädiert dafür, eine alternative Listung in das Gesetz aufzunehmen:

  1. direkte und indirekte Netzwerkeffekte,
  2. seine Größen- und Verbundvorteile im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten,
  3. sein exklusiver Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten,
  4. Heterogenität der Nutzer, Kapazitätsbeschränkungen und Differenzierungsgrad der Unternehmen,
  5. die parallele Nutzung mehrerer Dienste und der Wechselaufwand für die Nutzer,
  6. innovationsgetriebener Wettbewerb.

Darüber hinaus bemängelt der Volkswirtschaftswissenschaftler ebenso wie Professor Podsun die Formulierung, mit der das BMWi den Markt der unentgeltlichen Leistung definiert, als problematisch. „Der Annahme eines Marktes steht nicht entgegen, dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird“ insinuiere, dass diese eine Seite eines an sich größeren Marktes bereits einen eigenständigen relevanten Markt darstellen würde. Bei Suchmaschinen z.B. könne jedoch die Marktseite der Internetsuche, die unentgeltlich angeboten wird, nicht unabhängig von der anderen Marktseite, den Werbung treibenden Unternehmen, betrachtet werden, weil zwischen beiden Wechselwirkungen bestehen, die bei einer Marktanalyse zu berücksichtigen sind, erläutert der Sachverständige in seiner Stellungnahme. Als alternative Formulierung schlägt er „Der Annahme eines Marktes steht nicht entgegen, dass eine Leistung auf einer oder mehreren Marktseiten unentgeltlich erbracht wird“ vor.

Kritik an Ausnahmen für Pressekooperation

Helmut Verdenhalven begrüßt im Namen von BDZV, VDZ und VDL den Novellierungsvorschlag der Bundesregierung zur Freistellung von verlagswirtschaftlichen Kooperationen im Pressebereich. Sie sei ein „äußerst wichtiger Schritt, um den Gefahren für die Pressevielfalt im Zuge der Digitalisierung der Medien zu begegnen“. Die Verbände sehen in der Freistellung von verlagswirtschaftlichen Kooperationen „eine Linderung der bestehenden Benachteiligungen der Presseverlage durch engere Fusionsgrenzen, zum Beispiel in Gestalt äußerst kleinteiliger Marktdefinitionen“, wie sie in ihrer Stellungnahme zu Protokoll geben. Da missbräuchliches Verhalten verboten bleibe, sei nach Ansicht von Verdenhalven sichergestellt, dass ein Marktmissbrauch zu Lasten der Nachfrageseite oder zu Lasten anderer, nicht an der jeweiligen Kooperation beteiligter Verlage ausgeschlossen ist. Mit dieser Einschätzung stehen die drei Zeitungs- und Verlegerverbände in der Runde der geladenen Sachverständigen allerdings allein da.

Ver.di sieht in der Ausnahme vom Kartellrecht eine Gefahr für die Pressevielfalt. Die mit dem Gesetzesvorhaben zu erwartenden negativen Folgen für die journalistische Qualität und die publizistische Vielfalt seien absehbar. Das eigentliche Ziel der Pressefusionskontrolle, die Vielfalt der Presse als unabdingbare Säule einer demokratischen Gesellschaft zu erhalten, werde mit dem vorliegenden Gesetzentwurf konterkariert, so Stephan Kolbe, Koordinator für Medienpolitik bei ver.di in der Stellungnahme der Gewerkschaft. Seiner Ansicht nach sind Kooperationen der falsche Anreiz. Es liege vor allem in der Verantwortung der Verlage, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle voranzutreiben. Erleichterungen im Kartellrecht dürften nicht als Ausgleich für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit dienen. Ver.di regt an, stattdessen über sinnvolle Maßnahmen der Presseförderung zu diskutieren. Darüber hinaus fordert die Gewerkschaft die Einführung einer Medienstatistik einzuführen, um die Entwicklung der Medienmärkte besser beurteilen zu können.

Auch andere Sachverständige haben Vorbehalte. So konstatiert Professor Podsun einen doppelten Systembruch im Kartellrecht. Das Universalitätsprinzip des Kartellrechts und der Gleichklang mit dem europäischen Recht werden aufgegeben, erläutert der Experte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, und sieht darin ein „zweifelhaftes ordnungspolitisches Signal an andere Mitgliedsstaaten“. Die Monopolkommission weist in ihrer Stellungnahem aber darauf hin, dass in der digitalen Wirtschaft häufig das europäische Kartellverbot eingreifen dürfte, weshalb sie mit nur wenigen praktischen Auswirkungen des geplanten Ausnahmevorschriften im Pressebereich rechnet.

Das Bundeskartellamt hält den Regierungsentwurf in puncto Freistellung von Kooperationen unter Presseverlagen für „wettbewerbspolitisch nicht überzeugend“. Für eine solche Sonderregel bestehe aus der Sicht der Behörde kein Bedarf, so Präsident Mundt. Professor Schwalbe von der Universität Hohenheim sieht die Sonderregelung auch aus ökonomischer Sicht „aus mehreren Gründen kritisch“. Seiner Ansicht nach müsse in dem Gesetz deutlich gemacht werden, dass sich der Begriff „verlagswirtschaftliche Zusammenarbeit“ nur auf die Anzeigenseite beziehe, nicht jedoch Preiskartelle bei den Verkaufspreisen ermögliche, so der Volkswirtschaftswissenschaftler. Allerdings hält er es auch unter diesen Voraussetzungen für problematisch, eine Trennung auf der redaktionellen Ebene sicherzustellen. Und er warnt, dass eine Freistellung vom Kartellverbot für eine Branche die Forderung anderer Branchen nach ebensolchen Ausnahmen nach sich ziehe.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Nadine Brockmann ist Analystin für Verkehrs- und Netzpolitik.

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