AI-Hub Europe & BASECAMP ON AIR: „Wir dürfen nicht an der Ecke sparen, die uns in Zukunft trägt“

Hintergrundfoto der Montage: CC0 1.0, Pixabay / geralt
Hintergrundfoto der Montage: CC0 1.0, Pixabay / geralt
Veröffentlicht am 22.05.2020

Hintergrundfoto der Montage: CC0 1.0, Pixabay / geralt
Die Bundesregierung hat einen Rettungsschirm für Start-ups aufgespannt, aber wie geht es den jungen Digitalunternehmen in der aktuellen Situation? Darüber diskutierte Daniel Abbou von AI-Hub Europe am 19. Mai bei BASECAMP ON AIR unter anderem mit den beiden Abgeordneten und Mitgliedern der KI-Enquete-Kommission Falko Mohrs und Mario Brandenburg.

Wie geht es jungen Digitalunternehmen und insbesondere KI-Start-ups in der aktuellen Krisensituation und was ist zu tun, damit sie diese meistern? Darum ging es am Dienstag beim Online-Event „Schaffen wir das? KI nach Corona – Die Herausforderungen einer Branche“ vom AI-Hub Europe und BASECAMP ON AIR. Moderator Daniel Abbou diskutierte mit den Bundestagsabgeordneten Falko Mohrs (SPD) und Mario Brandenburg (FDP), Tina Klüwer, Gründerin des KI-Start-ups parlamind und Mitglied im Vorstand des KI-Bundesverbands, sowie Florian Bogenschütz, Geschäftsführer von Wayra Deutschland, dem Open-Innovation-Hub von Telefónica.

Auch die KI-Branche ist betroffen

Gleich zu Beginn stellte Tina Klüwer vom KI-Bundesverband klar: „Grundsätzlich gilt, dass auch die KI-Branche wie andere Branchen von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage betroffen ist“. Schaue man dann genauer hin, hänge die Situation immer davon ab, worauf der Schwerpunkt einer KI-Anwendung liegt, da diese oftmals branchenspezifisch sind – also beispielsweise für den Tourismus- oder Veranstaltungsbereich entwickelt wurden. Das seien wiederum Branchen, denen es aktuell sehr schlecht geht. Darüber hinaus zeige eine Umfrage des KI-Bundesverbandes eine insgesamt große Sorge unter den Mitgliedsunternehmen.

Ein zentraler Grund dafür: „KI ist als Spitze des Eisbergs Digitalisierung ein Innovationsprojekt“ und Innovationsprojekte, erklärte Klüwer, werden von den Kunden der Start-ups aktuell nach hinten geschoben, da diese selbst im Krisenmodus operieren. Vor diesem Hintergrund berichten 80 Prozent der Verbandsunternehmen, dass sie Projekte verschieben müssen und zudem Schwierigkeiten haben, neue zu akquirieren. Dies führe wiederum dazu, dass viele Mitglieder aktuell damit rechnen, in zwei bis drei Monaten in eine existenzgefährdende Situation zu geraten.

Neue Hilfsinstrumente

Die Soforthilfen der Bundesregierung seien „gerne angenommen und auch viel gelobt worden“, berichtete Klüwer. Was für jüngere Unternehmen aber nicht gut funktioniert habe, sei die klassische Kreditunterstützung. Deshalb sei sie froh, dass die Bundesregierung Mitte Mai ein gesondertes Hilfsprogramm für Start-ups mit neuen Instrumenten aufgelegt hat. Auch Falko Mohrs bestätigte, dass die Zuschüsse als Soforthilfe „großen Anklang gefunden“ haben. Ihm persönlich waren die Bundesländer, so habe er das zumindest in seiner Heimat Niedersachsen wahrgenommen, bei der Bearbeitung und Auszahlung zumindest am Anfang aber nicht ganz so schnell, wie er sich das gewünscht hätte.

Auf Nachfrage von Moderator Daniel Abbou ging Mohrs dann auf die neuen Hilfen für Start-ups ein. Diese, erklärte er, haben „zwei Säulen“. Die erste ziele darauf, Unternehmen und private Geldgeber wieder zusammenzubringen. Eine sogenannte „Corona-Matching-Fazilität“ soll Wagniskapitalfonds zusätzliche öffentliche Mittel bereitstellen, damit diese weiterhin in der Lage sind, Finanzierungsrunden von Start-ups mit ausreichenden Mitteln zu begleiten. Die zweite Säule, so Mohrs, richte sich an „kleine Start-ups“ und sehe vor, dass die Landesbanken den Unternehmen – über KfW-Kredite finanziert – Wagniskapital zur Verfügung stellen.

„Dies geschieht bewusst dezentral“, erklärte er, „weil vor Ort die Nähe, zu dem was an Unterstützung gebraucht wird, größer ist, als wenn wir das zentral vom Bund aus mobilisieren würden“. Auch aus Sicht seines Abgeordnetenkollegen Mario Brandenburg von der FPD „ist es richtig, was jetzt kommt“, es müsse jetzt „aber auch schnell gehen und bei den Leuten ankommen“.

Auf das Cash Flow Management kommt es an

Wayra-Geschäftsführer Florian Bogenschütz ging dann auf Nachfrage von Abbou darauf ein, worauf es in der jetzigen Krise auf Seiten der Start-ups ankommt und erklärte: „Cash Flow Management ist immer mein ‚Nummer eins‘-Thema, wenn ich mit Start-ups zusammenarbeite“. Er sage dann immer, „ihr müsst so tun, als wenn ihr sicher wisst, die nächsten neun Monate kommen keine neuen Aufträge rein“. Es könne passieren, dass man dann feststellt, das Unternehmen wäre nach drei Monaten pleite, „aber dann kann man Gegenmaßnahmen einleiten“.

Dazu könne gehören, mit den eignen Kapitalgebern zu sprechen oder auf die Programme der Bundesregierung zurückzugreifen. Tina Klüwer unterstützt diesen Ansatz: „Ziel muss es sein, möglichst lange zurecht zu kommen“. Und natürlich könne das auch bedeuten, das habe sie selbst bei einigen Start-ups schon mitbekommen, dass diese Leute entlassen müssen. Und wenn Unternehmen merken, dass sie Investitionen tätigen müssen, rät Klüwer, sich in der aktuellen Situation möglichst frühzeitig auf die Suche nach Wagniskapital zu begeben.

Datensouveränität könnte Wachstumsfeld sein

Den Blick auf die Zukunft gerichtet, fragte Moderator Abboud dann nach dem Mehrwert einer europäischen Datensouveränität für die KI-Start-ups. Klüwer bestätigte, dass es ein klares Interesse von Kunden an europäischen Lösungen und Standards gebe. Gleichzeitig sehe sie schon, wie die Unternehmen darauf reagieren. Bogenschütz sieht das ähnlich, gerade in Bereichen mit hochsensiblen Daten. Er rät deshalb, an einer europäischen Cloud zu arbeiten, denn er „glaube fest daran, dass wir davon profitieren“. Insgesamt, so Bogenschütz, gehe es nicht darum, China und die USA zu kopieren, um im Technologiewettbewerb aufzuholen. „Wir müssen gucken, was wir gut können und was uns die Leute auch abnehmen“. Und da sehe er selbst ganz klar das Thema Datensicherheit. Dafür gebe es auch Kundschaft, die bereit wäre, etwas mehr auszugeben.

Daniel Abbou, Florian Bogenschütz, Dr. Tina Klüwer, Mario Brandenburg und Falko Mohrs | Foto: Screenshot

Auch Falko Mohrs betonte: „Wir haben als Europa eine Chance, aktiv zu werden und können auch mithalten“. Voraussetzung sei, sich auf bestimmte Bereiche zu konzentrieren. Er riet deshalb dazu, sich auf eigene Stärken wie die Industrie und die mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur zu besinnen und auf dieser Basis eine eigene Strategie zu verfolgen, anstatt zu versuchen, die USA oder China nachzuahmen. Entsprechend sollte die KI-Strategie der EU noch stärker auf jene der Mitgliedstaaten abgestimmt und der Weg des europäischen Verbunds, wie er beim Projekt GAIA-X verfolgt wird, weiter gegangen werden.

Mario Brandenburg geht auch davon aus, dass für viele Mittelständler, die sich aktuell noch mit der Nutzung von Cloudspeichern schwertun, dezentrale Lösungen mit einem europäischen Governance-Modell, das Datenschutz hochhält, attraktiv wäre. Am Ende ist auch Brandenburg der Ansicht, dass nicht alles, was am US-Digitalmarkt mit seinen großen Konzernen entstanden ist, auf das föderale Deutschland und Europa übertragen werden kann. „Ich glaube, wir müssen die Struktur, dass wir Hidden-Champions haben, retten“, betonte er.

Es wird heftig

Abschließend ging es in der Debatte dann noch einmal um die aktuelle Krise. Mohrs rechnet mit einer „tiefen Rezession“, die „heftig“ werde. Er hoffe jedoch, dass man den aktuellen Pragmatismus bei der Nutzung digitaler Lösungen in die Zeit nach Corona mitnehmen kann. Brandenburg warnte davor, dass der Aufschub oder die Einstellung von Innovationsprojekten das kaputt macht, was uns „in Zukunft tragen soll“ und unterstrich: „Wir dürfen nicht an der Ecke sparen, die uns in Zukunft trägt“.

Schlagworte

Empfehlung der Redaktion