Bundestagswahl 2025: Warum Desinformation weiterhin von Bedeutung ist
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Von Hannah Schimmele und Benjamin Triebe
Nur wenige Tage vor der Bundestagswahl stellt sich einmal mehr die Frage, welche Auswirkungen Desinformation und (digitale) Beeinflussungsversuche bei demokratischen Wahlen eigentlich entfalten können. Hannah Schimmele und Benjamin Triebe, die bei polisphere zum Thema forschen, geben einen Überblick über die Debattenlage und warum der Einfluss von gezielten Falschinformationen nicht immer messbar ist.
Bevor am Sonntag der Bundestag neu gewählt wird, hat Deutschland in den letzten Wochen eine bisher unbekannte Bandbreite an digitalen und hybriden Beeinflussungsveruchen und Desinformation erlebt: von gefälschten Nachrichtenwebseiten und Instagram-Videos, über Bot-Netzwerke und KI-generierte Influencerinnen, bis hin zu mutmaßlich russisch koordinierten Bauschaum-Attacken auf Autos.
Lang erwartete Beeinflussungsversuche
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Angesichts der seit längerem bekannten Doppelgänger-Kampagne aus Russland und Ereignissen wie in Rumänien oder Moldau war bereits seit Monaten eine Intensivierung der Aktivitäten illegitimer Einflussnahme hierzulande erwartet worden. Gleichzeitig wird nun aber auch vermehrt darüber diskutiert, ob die Warnungen vor Manipulation und Beeinflussung durch Desinformation nicht übertrieben sind.
So wurde zum einen im Kontext von Metas Entscheidung, Fact-Checking auf seinen US-Plattformen abzuschaffen, der Sinn solcher Faktenchecks angezweifelt. Zum anderen wecken jüngste Studien Zweifel an den Auswirkungen von Desinformation und stellen damit indirekt auch die Maßnahmen zu deren Bekämpfung infrage.
Desinformation ohne Effekt auf die Demokratie?
Größeren medialen Widerhall fand zuletzt beispielsweise eine Studie des International Observatory on Information and Democracy, aus der teilweise abgeleitet wurde, dass es keine empirischen Belege für einen Effekt von Desinformation auf die Demokratie gebe. Tatsächlich konstatierte diese Meta-Auswertung von mehr als 1500 Publikationen vor allem, dass kein direkter Wirkzusammenhang zwischen dem Konsum von Desinformation und dem Misstrauen in Medien aufgezeigt werden kann.
Medial wurde im Kontext der Studie zudem behauptet, dass die Angst vor Desinformation oft mehr Schaden anrichte als Falschinformationen selbst, weil durch ständige Hinweise das grundsätzliche Vertrauen in die Medien untergraben werde. Dieser Aspekt scheint bedenkenswert, da das Säen von Zweifeln an Medien und politischen Institutionen oft ein zentrales Ziel von gezielten Falschinformationen ist, wie besonders der seit Jahren praktizierte “Flood the zone with shit”-Ansatz zeigt.
Tipp der Redaktion:
Reelle Auswirkungen von Falschinformationen
Was bei der Berichterstattung über die Meta-Studie allerdings vergessen wurde: Viele der betrachteten Teilstudien und auch der Bericht selbst betonen, dass Desinformation ein immenses Problem unserer Gegenwart ist und Wahlkämpfe sowie politische Debatten durchaus beeinflussen kann: Demnach schwächen Falschinformationen und Hate Speech demokratische Strukturen und gefährden insbesondere die Rechte von Minderheiten.
Hinzu kommt, dass die Auswirkungen von Desinformation hinsichtlich der Online-Erfahrungen und Wahlentscheidungen von Menschen nur schwer objektiv erhoben werden können. Genauso lässt sich empirisch kaum untersuchen, wie gestreute Falschinformationen in der Summe den politischen Diskurs verändern und zur gesellschaftlichen Polarisierung beitragen. Dass sie es dennoch tun, lässt sich allerdings an vielen einzelnen Beispielen zeigen, in denen Gerüchte und Falschbehauptungen nicht nur zu Empörungswellen im digitalen Raum führen (etwa jüngst in Großbritannien, Spanien oder Kalifornien), sondern auch Radikalisierungsprozesse, echte Proteste und Gewaltausbrüche provozieren können. Oder auch demokratische Abstimmungen beeinflussen, wie das Brexit-Referendum 2016 gezeigt hat.
Die wehrhafte Demokratie nicht aufgeben
Seitdem ist das gesellschaftliche Bewusstsein für Desinformation und ihr Zusammenspiel mit den Funktionsweisen der digitalen Plattformen spürbar gewachsen. Trotzdem muss weiterhin auf die Gefahren hingewiesen, zum Thema geforscht und mehr Medienkompetenz vermittelt werden. Denn der ausbleibende oder nicht messbare Erfolg von Falschinformationen sollte kein Maßstab für deren Eindämmung sein – nach dem Motto: Man muss erst handeln, wenn es bereits zu spät ist.
Nicht zuletzt muss unsere liberale Demokratie zwar Kritik und sogar Gegnerschaft ihr gegenüber aushalten, gezielte Unterminierung demokratischer Strukturen und ausländische Beeinflussungsversuche sollten jedoch nicht widerstands- und folgenlos hingenommen werden.
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Denn auch, wenn der Einfluss von Social Media auf das Wahlverhalten noch umstrittener ist: Die digitalen Plattformen spielen heute bei vielen Menschen eine große, wenn nicht sogar größere Rolle als klassische Medien für die Wahrnehmung von Politik und Gesellschaft. Das versuchen alle politischen Akteure für sich zu nutzen – insbesondere aber diejenigen, die auf Desinformation und Diskursverschiebung als Strategie setzen. Deshalb haben sie auch ein erhöhtes Interesse daran, dass die Bekämpfung von Desinformation in Form von Faktenchecks, Prebunking, Medienkompetenzförderung und Plattformregulierung zurückgefahren wird.
Dieser Zusammenhang sollte bei der Bewertung der Thematik nicht vergessen werden. Selbst wenn sich Beeinflussungen durch Desinformation bei der Bundestagswahl und künftigen Wahlen nicht explizit am Wahlergebnis messen lassen.
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