Politische Kommunikation: Erkenntnisse zum jüngsten Wahlkampf in den sozialen Medien
Von Richard Schwenn und Benjamin Triebe
Soziale Medien spielen bei Wahlkämpfen eine immer größere Rolle – auch wenn häufig noch unklar ist, wie groß der Einfluss auf Wahlentscheidungen tatsächlich ist. Im Nachgang der jüngsten Wahlen auf europäischer und kommunaler Ebene sind mittlerweile mehrere Analysen zum Social-Media-Wahlkampf erschienen. Welche Ergebnisse und Erkenntnisse sie bereithalten, betrachten Richard Schwenn und Benjamin Triebe, die bei polisphere unter anderem Daten zur politischen Kommunikation im digitalen Raum untersuchen.
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Dies gilt umso mehr in diesen Wochen, in denen wir uns zwischen der Europa- und den Kommunalwahlen sowie den Abstimmungen zu den Landesparlamenten von Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September bewegen. Für die deutschen Parteien bedeutet das eigentlich ständigen Wahlkampf, gerade auch in den sozialen Medien, die die politische Kommunikation durch den direkten Zugang zur Wählerschaft weiterhin verändern.
Politische Werbung auf Facebook und Instagram
Doch welche Erkenntnisse gibt es zu den Strategien, Inhalten und Auswirkungen des jüngsten Social-Media-Wahlkampfs? Mithilfe verschiedener Analysen, die bisher dazu erschienen sind, möchten wir ein paar (vorläufige) Ergebnisse und Antworten zusammentragen.
Bereits mehrere Wochen vor der Europawahl war das Targeting der Parteien ein Thema, nachdem der Berliner Datenschutzbeauftragte sie aufgefordert hatte, auf gezielte Werbung auf den digitalen Plattformen – auch bekannt als Microtargeting – zu verzichten. Bis dahin hatten die deutschen Parteien allein auf Facebook und Instagram in diesem Jahr schon mehrere hunderttausend Euro für politische Werbung ausgegeben, auch wenn unklar ist, wie kleinteilig die adressierten Zielgruppen tatsächlich ausfielen.
Betrachtet man die Ausgaben der Parteien für Werbung auf den Meta-Plattformen bis Anfang Juni etwas genauer, so wie es Fabio Votta getan hat, fällt auf, dass ein Großteil des Geldes in “detaillierte Kategorien” fließt. Durch solche Kategorien können Personen genauer erreicht werden, die sich für bestimmte Themen interessieren. Zugleich wurden Menschen mit gewissen Interessen von manchen Anzeigen gezielt exkludiert, zum Beispiel bei einer Vorliebe für politisch rechtsgerichtete Bands. Bei Who targets me wird zudem deutlich, dass die Ausgaben von Anfang April bis kurz vor der Wahl stark anstiegen: Volt, Grüne, CDU, FDP und BSW gaben hier jeweils sechsstellige Summen aus, während die AfD auf Facebook und Instagram vergleichsweise wenig Werbung schaltete.
Plattform ist nicht gleich Plattform
Dass die unterschiedliche Bespielung der Plattformen durch die Parteien durchaus sinnvoll ist, zeigt eine Kurzanalyse zur politischen Informationsnutzung, die Kommunikationswissenschaftler Pablo Jost vorgelegt hat. Demnach nutzen Menschen ab 18 Jahren mit AfD-Präferenz eher TikTok und weniger Instagram sowie TV/Nachrichten, um sich politisch zu informieren. Diese Unterschiede werden besonders deutlich, wenn man die übrigen Ergebnisse von Parteineigungen und Infonutzung betrachtet: So nutzen Anhänger:innen der CDU offenbar stärker Tageszeitungen zur Information als die Wähler:innen der übrigen Parteien, während AfD-Anhänger:innen nach TikTok auch auf Facebook und X/Twitter häufiger als der Durchschnitt zurückgreifen. Um diese Zusammenhänge zu bestätigen, sind laut Jost allerdings weitere Untersuchungen mit längerfristigen Daten notwendig.
Eine umfangreiche Analyse der Digitalagentur Universum zum EU-Wahlkampf auf Social Media bestätigt zudem, dass die Aktivitäten der Parteien auf den verschiedenen Plattformen auch verschiedene strategische Schwerpunkte reflektieren. So waren Volt und BSW als relativ junge Parteien auf Instagram erfolgreich, während “die FDP auf X, die CDU auf Facebook und Instagram sowie die SPD auf YouTube am aktivsten” waren. Die Grünen seien, was die Zahl der Posts angeht, im Vergleich zu den anderen Parteien allerdings erst ab Mitte April aktiver geworden.
Die AfD zeigte laut der Analyse auf allen Plattformen hohe Interaktionsraten. Auffällig war auch, dass ihr umstrittener Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah seine Social-Media-Aktivität nach der Reichweiten-Drosselung durch TikTok im März stark auf YouTube verlagerte. Die höchsten Interaktionen pro Post erreichte auf TikTok und YouTube allerdings Martin Sonneborn (DIE PARTEI). Insgesamt zeigte sich, dass visuelle und videobasierte Plattformen an Relevanz gewinnen, besonders gegenüber eher textbasierten Angeboten. Bei den Inhalten kamen außerdem kurze, lustige und plakative Botschaften im Wahlkampf besonders gut an.
“Unabhängig von der gewählten Strategie zeigt sich immer wieder: Eine frühzeitige und konsequente Nutzung der Plattformen verschafft einen nachhaltigen Vorteil in der digitalen politischen Kommunikation.” (aus der Universum-Analyse)
Instagram und TikTok gewinnen an Bedeutung
Das Followerwachstum der EU-Parteien und Kandidat:innen sowie die diskutierten Themen der EU-Fraktionen auf Social Media beleuchtet darüber hinaus ein Dashboard von Fanpage Karma. So erreicht zum Beispiel EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf X/Twitter und Instagram die meisten Follower:innen, auf Facebook aber die Europäische Volkspartei, der sie angehört. Insgesamt fand das größte Followerwachstum auf TikTok und Instagram statt, wo sich auch die meisten tatsächlichen Interaktionen mit Beiträgen abspielten.
Bei den aufgegriffenen Themen dominierten von Jahresanfang bis zur Europawahl Beiträge zu Ukraine/Russland, zum Rechtsextremismus, zu Diversität und Gleichberechtigung sowie zum Klima. Die höchsten Interaktionsraten erreichten allerdings Posts zu den Wahlen und zum Nahostkonflikt. Interessant sind auch die Top-Themen der europäischen Fraktionen: Bei der konservativen EVP liegt deutlich das Thema Ukraine/Russland vorn, ebenso bei der EKR-Gruppe, bei den Sozialdemokraten ist es Rechtsextremismus, bei den Grünen der Klimawandel, während die Liberalen diese drei Themen fast gleichmäßig bespielt haben. Die Linke hat hingegen vor allem zum Nahostkonflikt gepostet, die rechte ID-Fraktion hatte die meisten Beiträge zum Thema Landwirtschaft.
TikTok-Analyse zu den deutschen Parteien
Aber zurück zu den Plattformen: In Deutschland steht seit Jahresbeginn besonders TikTok im medialen Fokus, nachdem speziell die AfD dort eine große Präsenz aufbauen konnte. Bei polisphere haben wir das zum Anlass genommen, die Reichweiten, Inhalte und das Mobilisierungspotential der Parteien auf TikTok zu untersuchen. So zeigt der Vergleich zum Engagement (Likes, Shares, Kommentare) ab 2022, dass die AfD besonders im vergangenen Jahr ihre Dominanz gegenüber CSU und FDP, die ebenfalls früh auf der Plattform aktiv waren, ausbauen konnte. Unter den “TikTok-Langschläfern” wie CDU und Grünen, die erst sehr spät mit Accounts dazu kamen, konnte zuletzt vor allem das BSW merklichen Zuwachs verzeichnen. Bei der SPD gibt es trotz hoher und kontinuierlicher Postfrequenz seit 2022 insgesamt selten Inhalte mit mobilisierender Wirkung; auch die Linke und Volt weisen unverändert niedrige Werte auf.
Betrachtet man nur die letzten Monate und den Europawahlkampf, werden bei der AfD Verluste beim Engagement deutlich. Trotzdem dominiert sie in ihrer Gesamtheit mit dem fraktionseigenen sowie persönlichen Accounts den parteipolitischen Diskurs auf TikTok. Erfolgreich sind dabei oft Videos zu aktuellen polarisierenden Themen und Ereignissen wie dem Messerangriff von Mannheim, der “Sylt-Skandal” oder Anfang des Jahres die Bauernproteste. Diese Videos gehen in unseren Beobachtungszeiträumen auch Monate nach Erscheinen noch viral, wenn sie laut TikTok-Algorithmus wieder Relevanz haben.
Im Wettkampf um Engagement auf der Plattform fallen aber auch andere Parteien und Politiker:innen auf. So führt beispielsweise die SPD durch zwei sehr erfolgreiche Videos im Rahmen der Demonstrationen gegen Rechtsextremismus nach der CORRECTIV-Recherche Anfang des Jahres beim Engagement. Die AfD-Fraktion hat hingegen die größten und kontinuierlichsten Wachstumsraten und entsprechend die Einzelerfolge der SPD wieder fast aufgeholt. Maximilian Krah, der oft als Paradebeispiel für eine erfolgreiche AfD-Kommunikation und Ansprache junger Menschen und insbesondere junger Männer auf der Plattform angeführt wird, konnte dieses Jahr auch aufgrund der erwähnten Reichweitenbeschränkung nur überschaubare Zahlen erzielen.
Die TikTok-Guerilla der AfD
Die These vom Vorsprung der AfD auf Social Media kann für TikTok also soweit bestätigt werden. Dahinter steht eine Strategie, die Pascal Fiedel hier zusammengefasst hat. Dazu zählt unter anderem eine Grassroot-Taktik: Um die Reichweitendrosselung zu umgehen, startete die Partei eine “Guerilla-Gruppe” mit fast zweitausend Menschen auf Telegram, um diese mit Master-Videos, vorgegebenen Themen und Anleitungen zur Modifizierung zu versorgen. Die Mitglieder passen die Videos dann entsprechend an, damit TikTok diese nicht sperrt, und verbreiten sie auf der Plattform. Diese Vorgehensweise einer dezentralen peer-to-peer-Kommunikation, die ganze Suchwörter und Hashtags mit rechtem Content besetzt, wurde auch von der Bildungsstätte Anne Frank beobachtet:
“Eine unüberschaubare Zahl an User:innen mit wenigen Dutzend bis mehreren 10.000 Follower:innen posten täglich und ausschließlich Schnipsel aus Interviews oder Reden von AfD-Politiker:innen, meist unterlegt mit pathetischer Musik und einem dramatischen Videofilter.”
Wie relevant TikTok und andere soziale Medien für den Wahlerfolg von Parteien und Kandidat:innen tatsächlich sind, bleibt allerdings eine komplizierte Frage. Digitalexperte und Politikberater Martin Fuchs hat in einer Kurzanalyse zur Thüringer Kommunalwahl versucht, eine Antwort am Beispiel des reichweitenstärksten SPD-Politikers auf TikTok, Lutz Liebscher, zu geben. Dieser bekam im digitalen Raum zwar viel Sichtbarkeit und Zuspruch, schnitt bei der Kommunalwahl aber trotzdem schlecht ab. Auf kommunaler Ebene seien die Streuverluste von TikTok-Reichweiten einfach riesig, so Fuchs. Trotzdem sei die TikTok-Präsenz für die Wahrnehmung der Partei auf Landes- und Bundesebene relevant.
“Eine große digitale Reichweite bedeutet nicht unbedingt, dass man dieses Potential in Stimmen transferieren kann.” (Martin Fuchs)
Analysen vom IW Köln und der FES
Dem EU-Wahlkampf auf TikTok widmete sich darüber hinaus eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft. Diese zeigt, dass die Top-10-Kandidierenden der FDP die meisten Likes auf Plattform sammeln konnten, noch vor der AfD. Demnach sind häufig einzelne Accounts “ausschlaggebend für Erfolge bei den Followern”, zum Beispiel der von Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die 95 % der Likes für FDP-Beiträge bekam. Die SPD landet bei den Likes abgeschlagen auf dem dritten Platz, obwohl sie mit Abstand die meisten Videos (272) im Untersuchungszeitraum gepostet hat. Bei den Themen der insgesamt 774 Videos dominiert die Auseinandersetzung mit der AfD (177 bzw. 23 %) vor dem Themenkomplex EU (93 bzw. 12 %) und Klimawandel (76 bzw. 10 %). Persönliches zu den Kandidierenden machte dagegen nur 9 % aus.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat ebenfalls eine Analyse der Europawahl in Deutschland vorgelegt, bei der Social Media aber nur ein Teilaspekt ist. Auch hier steht TikTok im Mittelpunkt, das sich als zentrale Wahlkampf-Plattform für junge Wähler:innen etabliert und wo die AfD als “First Mover” immer noch einen Wettbewerbsvorteil habe. Die anderen Parteien hätten zwar nachgezogen, müssten aber noch einiges aufholen. Die gerade beschriebene Studie des IW wird ebenso erwähnt – unter anderem mit dem Hinweis, dass sich der TikTok-Erfolg von FDP und Strack-Zimmermann jedoch nicht in Jungwähler:innen-Stimmen für die Partei niedergeschlagen habe. Die Zugewinne für die AfD werden dagegen “in Teilen auf eine erfolgreiche Social-Media-Strategie” zurückgeführt, während die Stimmengewinne und -verluste der anderen etablierten Parteien mit Themenkonjunkturen verknüpft werden.
Instagram-Followerrace und Ausblick
Die anderen Social-Media-Plattformen haben in Deutschland zuletzt bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen wie TikTok. Trotzdem gibt es auch zu ihnen gelegentlich Analysen, zum Beispiel von Datenanalyst Benjamin Laepple, der das „Followerrace“ auf Instagram ausgewertet hat. Ergebnis: Die AfD führt nun nicht nur auf Facebook, Youtube & TikTok, sondern auch bei Instagram hinsichtlich der Followerzahl. Seit Februar hat die Partei auf der Plattform mehr als 35.000 Follower hinzugewonnen und die Grünen knapp überholt; momentan liegen beide fast gleichauf bei ca. 241.000. Volt (von 28.000 auf nun 68.000) und BSW (von 14.000 auf nun 51.000) konnten ebenfalls stark zulegen.
Bei letzteren korrespondiert der Zuwachs auf Social Media sicherlich auch mit den guten Ergebnissen bei der Europawahl und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Wahlergebnisse, zum Beispiel der Grünen, zeigen aber auch, dass der Erfolg von Parteien weiterhin stark davon abhängt, welche Themen Konjunktur haben – und vor allem welche Stimmung jeweils gegenüber den Parteien im Wahlvolk herrscht.
So hatten es SPD, Grüne und FDP aufgrund der allgemeinen Wahrnehmung und Performance der Ampel-Koalition grundsätzlich schwer. Da hilft auch der beste Social-Media-Wahlkampf nicht viel. Allerdings tragen soziale Medien ohne Zweifel dazu bei, entsprechende Stimmungen zu verstärken oder zu erzeugen. Dies dürfte auch bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg deutlich werden, wo die AfD großen Zuspruch erfährt. Ob Social Media hier als (Mit-)Ursache oder nur als Katalysator fungiert, bleibt eine spannende Frage – gerade auch für künftige Analysen.
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation mit polisphere auf der Webseite BASECAMP.digital erschienen.
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